Die Wahl-Stuttgarterin Marie-Laurence Jungfleisch rückt immer näher an die Weltspitze heran. Die 24-Jährige hat mit 1,96 Meter das Hochsprungmeeting in Eberstadt gewonnen – und will bei der WM in Peking noch höher hinaus.

Eberstadt - Marie-Laurence Jungfleisch reckt den Siegerpokal in den Eberstädter Sommerhimmel, über ihren Schultern hängt die schwarz-rot-goldene Fahne. Erstmals erklingt für die in Paris geborene Hochspringerin die deutsche Nationalhymne. Ein Sieg mit der deutschen Jahresbestleistung von 1,96 Meter im Mekka des Hochsprungs ist etwas Außergewöhnliches. Jungfleisch ist im Glück, sie hat ihr Sommermärchen geschrieben, jetzt schon – und die WM in Peking kommt ja erst noch (22. August bis 30. August).

 

Ariane Friedrich war 2010 die letzte deutsche Hochspringerin, die in Eberstadt gewonnen hatte. „Ich habe vor den Leistungen von Ariane großen Respekt“, sagt Jungfleisch über ihre Vorgängerin in der Eberstädter Ahnengalerie. „Aber genau da möchte ich hinkommen“, ergänzt die Wahl-Stuttgarterin, die für die LAV Tübingen startet. Dafür müsste sie allerdings die magische Zweimetermarke überqueren.

Höhenflug mit langem Anlauf

Für ihren Höhenflug hat Marie-Laurence Jungfleisch einen langen Anlauf genommen. In Paris geboren – ihr Vater stammt aus Martinique – kam sie mit drei Jahren nach Freiburg und mit 20 nach Stuttgart. Als Zehnjährige wurde die kleine Marie ihrer Hautfarbe wegen gehänselt, sie wechselte deshalb die Schule. „Ohne die Gene meines Vaters wäre ich keine so gute Hochspringerin“, verweist sie auf ihre Herkunft.

Auch deshalb hat sie im Rahmen der Initiative „Foul von Rechtsaußen – Sport und Politik verein(t) für Toleranz, Respekt und Menschenwürde“, die unter anderem vom Bundesinnenministerium getragen wird, ein Zeichen gesetzt und warnt auf Plakaten („Hoch hinaus mit Respekt“) vor der Ausgrenzung und der Diskriminierung von Menschen durch Rechtsextreme.

Mit Chemie will Jungfleisch ebenfalls nichts zu tun haben. Ohne zu murren, sitzt sie eine Stunde nach ihrem bislang größten Sieg deshalb in den Räumen der Eberstädter Winzergenossenschaft vor der Toilette und versucht mit mehreren Flaschen Wasser nachzuhelfen, um endlich eine Urinprobe abgeben zu können. Die Dopingkontrolleurin weicht nicht von ihrer Seite. Erst eine Stunde nach der Pressekonferenz ist Jungfleisch erleichtert und kehrt auf die Sprunganlage zurück. Die Familie vor Ort, die Nähe zum Publikum, die Musik, die euphorischen Zuschauer – „aus diesen Gründen ist Eberstadt mein Lieblingsmeeting“, sagt Marie-Laurence Jungfleisch.

Die magische Zweimetermarke soll bald fallen

„Hochsprung beginnt beim Überspringen der eigenen Körpergröße“, sagt die Bundestrainerin Brigitte Kurschilgen. Und über diese Klippe ist Marie-Laurence Jungfleisch (Körpergröße 1,80 Meter) schon vor sechs Jahren gesprungen. Nach ihrem Siegessprung von 1,96 Meter rannte sie freudenstrahlend direkt in die Arme ihres ungarischen Trainers Tamas Kiss. Dem war aber irgendwie anzusehen, dass an diesem Tag, an dem unterm Eberfürst eigentlich alles stimmte, die zwei Meter hätten fallen müssen. Und auch die Springerin erwähnt diese Schallmauer zur absoluten Weltklasse mehrmals – inzwischen liegt sie in der Weltjahresbestenliste auf Rang acht. „Ich habe keine Angst mehr vor dieser Höhe“, sagt sie – und: „Ich werde alles tun für die zwei Meter.“ Das ist ein Versprechen. Ein solcher Sprung im Vogelnest bei der WM Peking käme dem ganz großen Karrieresprung gleich.

Marie-Laurence Jungfleisch tritt in den Weinbergen sehr entspannt auf, die Erfolge geben ihr Sicherheit. Ihre Familie – sie hat insgesamt sechs Geschwister – ist ihre große Stütze, ihr Freund, der Dreispringer Martin Jasper vom VfB Stuttgart, gibt ihr emotionalen Rückhalt. Zuletzt hat sich Jungfleisch zu einem Fotoshooting entschlossen. Herausgekommen sind ästhetisch anspruchsvolle Fotos. „Nein, nein, erotische Fotos würde ich nicht machen lassen“, wiegelt sie aber ab, „bestimmte Körperstellen müssen bedeckt sein.“

Nachdem sie in Cannstatt als Erzieherin im Kindergarten gearbeitet hat, macht sie jetzt auf der Cotta-Schule in Stuttgart die Fachhochschulreife. Sicherheit gibt ihr die Zugehörigkeit zur Sportfördergruppe der Bundeswehr in Todtnau-Fahl im Schwarzwald. Nachdem sie 2012 die Olympischen Spiele in London verpasst hatte, weil sie die Olympianorm von 1,95 Meter neun Tage zu spät gesprungen war, träumt sie jetzt von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im nächsten Sommer. Es wäre die Verlängerung ihres Sommermärchens.