Hundert Jahre ist es her, dass den Waiblingern aufgrund eines Hochwassers ihr Hab und Gut davonschwamm. Wasserschöpfen statt Weihnachten war die Devise am 24. Dezember 1919. Eine Ausstellung in Waiblingen erinnert an dieses Ereignis und andere Flutkatastrophen.

Waiblingen - Das Telegramm mit der Warnmeldung aus Schorndorf ist nie beim Empfänger angekommen. Und so hat das Remshochwasser die Waiblinger am Morgen des 24. Dezember 1919 kalt erwischt. Telefonisch hätten die Schorndorfer die remsabwärts gelegene Kommune damals nicht vorwarnen können, erklärt Kristina Kraemer, die Waiblinger Stadthistorikerin: „Schorndorf war nicht durch eine Nachtverbindung an das Fernsprechnetz angeschlossen.“

 

Hier geht es zur multimedialen Reportage über die Rems und das Remstal:

Auf 3,60 Meter über dem Normalpegel belief sich der Höchststand in Waiblingen an Heiligabend. „85 Gebäude waren vom Hochwasser betroffen, die meisten davon in der Weingärtner Vorstadt und der Badstraße, der heutigen Neustädter Straße“, berichtet der Stadtarchivar Matthias Gandlau, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Das Ergebnis ist die Sonderausstellung „Als Weihnachten ins Wasser fiel: Remshochwasser 1919“, die bis zum 23. Februar im Haus der Stadtgeschichte läuft.

Ruderbootfahren in der Altstadtgasse

Sie setzt einen Schwerpunkt auf die Situation in Waiblingen, beleuchtet aber auch die Lage im übrigen Remstal und weitere Hochwasserereignisse der Vergangenheit. Historische Fotos im Großformat zeigen, wie Waiblingen 1919 und während der Überschwemmungen 1959 unter Wasser stand. In Ruderbooten bahnen sich Menschen einen Weg durch die Altstadtgassen, in denen das Wasser teils bis zum ersten Stock reicht. Die Winnender Straße beim heutigen Kulturhaus Schwanen gleicht einem riesigen See. Ein Bild zeigt inmitten der Wassermassen etliche in einer Reihe aufgestellte Leiterwagen, die als provisorische Brücke dienten – vorausgesetzt, man war gelenkig und konnte gut balancieren.

Ein uralter Leiterwagen steht nun exemplarisch in der Ausstellung, sogar etwas Treibholz haben die Ausstellungsmacher herangeschafft. Eine stark vergrößerte Karte der Rems aus den 1820er-Jahren bedeckt fast den gesamten Boden des Ausstellungsraums – und beweist, dass man sich im Remstal schon damals Gedanken über Korrekturmaßnahmen am Fluss machte: Auf dem Plan sind Begradigungen der noch kurvenreichen Rems eingezeichnet. Diese wurden im Laufe der Jahrzehnte immer wieder vorgenommen.

Auch das Hochwasser 1919 war Anlass für eine sogenannte „Remsverbesserung“, in deren Zuge sich das Aussehen des Gewässers radikal veränderte, aus heutiger Sicht zu seinem Nachteil, denn die Eingriffe in die Natur waren gewaltig. „Durch die Begradigungen hat man sich erhofft, dass das Wasser schneller abfließen kann und weniger Schaden anrichtet“, sagt Gandlau. Ein Trugschluss, wie sich in späteren Jahren zeigen sollte.

Mitten in der Ausstellung zieht ein von Schülern gebautes interaktives Modell Waiblingens die Aufmerksamkeit auf sich: Per Knopfdruck können Besucher eine Wasserpumpe in Gang setzen und in den folgenden vier Minuten beobachten, wie sich die Flut im Jahr 1919 ihren Weg durch die Altstadtgassen bahnte.

Starkregen mit 60 Liter pro Quadratmeter

Starkregen, rund 60 Liter pro Quadratmeter, sei die Ursache für die Überschwemmungen 1919 gewesen, sagt Matthias Gandlau, der auf eine dicke Akte mit Dokumenten zum weihnachtlichen Hochwasser gestoßen ist. Ein Sammelsurium aus Schadenslisten, Merkblättern zur Gebäudetrocknung, Spendenaufrufen und Tabellen, in denen Spender und die Höhe ihrer Zuwendungen erfasst sind. „Ein Auswanderer nach Amerika hat 100 Mark überwiesen“, erzählt Kristina Kraemer, „die Spendenbereitschaft war enorm. Es sind fast 20 000 Mark zusammengekommen.“ Zudem gab es Hilfslieferungen mit vergünstigten Briketts. Die Spenden seien bitter nötig gewesen, sagt Matthias Gandlau, angesichts eines Gesamtschadens in Waiblingen von 160 020 Mark. „Das klingt vielleicht nicht nach so viel, aber die Wirtschaft lag darnieder und die Inflationsrate war enorm“, sagt der Archivar und merkt an, dass eine Umrechnung von Mark in Euro nicht wirklich möglich sei.

Doch das Hochwasser, das im Januar 2011 den Landkreis heimsuchte, habe beispielsweise einen Schaden von 42 Millionen Euro verursacht. Immerhin sei in Waiblingen 1919 niemand verletzt worden. Andernorts schon: zwischen Haubersbronn und Welzheim entgleiste eine Lok mit Waggon, weil die Gleise unterspült worden waren, etliche Passagiere erlitten Knochenbrüche.