Das Hochwasser ist längst fort. Doch das Leben vieler Menschen hat sich nicht normalisiert. In Gemeinden wie Fischbeck in Sachsen-Anhalt türmen sich noch die Schuttberge in den Straßen. Und das Warten auf Hilfsgelder verschärft die Lage.

Fischbeck - Siegfried Schröder glaubte, er sei clever. Als die Flutwelle der Elbe Anfang Juni der Gemeinde Wust-Fischbeck näher kam, zog der gelernte Maurer kurzerhand eine Mauer vor seiner Haustür hoch. Gebracht hat es dem 63-Jährigen nichts: „Über Nacht war alles vorbei – unbegreiflich!“ Schröder kann es noch immer nicht fassen. Das Wasser ist einfach über die Mauer geschossen.

 

Tagelang stand der Elbe-Havel-Winkel im Norden Sachsen-Anhalts großflächig unter Wasser, ein Deich war gebrochen. Um die Lücke halbwegs zu schließen, sprengte die Bundeswehr schlagzeilenträchtig drei Lastkähne. Die Wracks landeten mittlerweile auf einem Schrottplatz in Stendal – gut 400 Tonnen Altmetall. Anstelle des geborstenen Deiches ragt nun eine Spundwand aus dem aufgeschütteten Erdwall. Die Elbe ließ hier lediglich einen Tümpel zurück.

80 Prozent der Häuser sind beschädigt

Lägen nicht immer noch Sandsäcke herum – knapp acht Wochen nach der Flut –, man könnte meinen, das Leben habe sich normalisiert. Doch für Schröder und die meisten in Fischbeck ist nichts mehr, wie es vorher war. 80 Prozent der Häuser sind beschädigt. Noch immer türmen sich Schutt- und Möbelberge in den Straßen, leben Dutzende Familien in Notunterkünften, fürchten Unternehmer um ihre Existenz. Bewohner klopfen den Putz von durchweichten Wänden und reißen faulige Dielen heraus. Aus vielen Häusern dröhnen die Trocknungsgeräte.

Und nur nahezu jeder zweite Betroffene ist versichert. „Trotzdem kommt das verfluchte Geld nicht an“, schimpft Schröder. Bereits am 5. Juli gab der Bundesrat grünes Licht für die Fluthilfe, doch die Auszahlung stockt. Der Bürgermeister der Gemeinde, Bodo Ladwig, fordert nun in einem offenen Brief im Namen aller Einwohner, dass man die Schäden in voller Höhe ersetzt bekommt. Denn in den betroffenen Gegenden haben die Menschen das Gefühl, man sei geopfert worden, um bedrohte Gebiete im Norden und Westen zu retten. Auch Sachsen, woher das Wasser der Elbe kam, kommt dabei nicht gut weg: Dort habe man sich abgeschottet, statt dem außer Rand und Band geratenen Fluss einiges von seiner Wucht zu nehmen, heißt es immer wieder.

Dieses Mal fielen die Flutschäden geringer aus als befürchtet

Am Ende vermeldete Sachsen-Anhalt mit rund 2,7 Milliarden Euro die deutlich höchsten Schäden aus jener zweiten „Jahrhundertflut“ binnen elf Jahren. Sachsen (1,9 Milliarden) und Bayern (1,3 Milliarden) folgen. In Niedersachsen, wohin die Elbe von Sachsen-Anhalt aus fließt, waren es 76,4 Millionen Euro. Dabei fielen die Flutschäden diesmal geringer als befürchtet aus. 2002 summierten sich die Verluste auf 13 Milliarden Euro.

Mithin war die Kurzvisite von Angela Merkel nicht zufällig gewählt, als sie vergangene Woche in Fischbeck einflog. Zwischen Wagner in Bayreuth, Wahlkampf an der Küste und Wandern in Südtirol gab die Kanzlerin noch einmal fix die Deichgräfin. Kurz bevor ihr Kabinett den acht Milliarden Euro schweren Fluthilfefonds von Bund und Ländern auf den Weg brachte, wollte sie sich vor Ort ein Bild machen. Sie hörte zu, gab sich betroffen, lächelte aufmunternd, doch sie versprach nichts. Lediglich die vage Zusage, „noch im August“ würde das erste Geld aus dem Fonds fließen, ließ sie zurück.

Der Bahnverkehr ist noch immer eingeschränkt

Diese Woche kam dann auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer nach Fischbeck, um sich über die akuten Infrastrukturprobleme zu informieren. Dabei verkündete die Deutsche Bahn, dass sie bis Ende September ein Reparaturkonzept für die vom Juni-Hochwasser beschädigte ICE-Trasse in Sachsen-Anhalt vorlegen will. Erst dann lasse sich prognostizieren, wann die ICE-Verbindung von Hannover nach Berlin wieder in Betrieb genommen werden könne.

Unabhängig von den Zusagen aus Berlin hatte es in Sachsen-Anhalt Soforthilfen des Landes gegeben, rund 27 Millionen Euro. 90 Prozent davon erhielten Privatleute und Kommunen, etwa für das Auspumpen von Kellern oder das Säubern von Wohnraum. Erwachsene konnten ein Handgeld von 400 Euro beantragen, für Kinder gab es 250 Euro. Hinzu kamen weitere 3,3 Millionen Euro für insgesamt 161 flutgeschädigte Unternehmen.

Bund und Länder einigten sich auf die Verteilung der Fluthilfe

Dass die Flut Sachsen dieses Mal weniger schlimm erwischte als im Jahr 2002, zieht auch weniger Anträge nach Soforthilfe nach sich, die bis Ende Juni eingereicht sein mussten. Die Sächsische Aufbaubank zahlte bisher rund 14 Millionen Euro aus. Knapp drei Fünftel davon erhielten Unternehmen. Laut Wirtschaftsministerium kamen bisher 6000 Gewerbetreibende, Freiberufler, Agrar- und Forstbetriebe in den Genuss von jeweils 1500 Euro.

Immerhin einigten sich Bund und Länder nun auf die Verteilung der Fluthilfe. Konkret bedeutet das, dass zu Schaden gekommene Privathaushalte mit Zuschüssen von bis zu 80 Prozent der Schadenssumme rechnen können. Bisher lag die Höchstgrenze bei 50 Prozent.

„Geld ist indes nur das eine“, sagt Friedhelm Fürst, Vorstand der Diakonie Sachsen. Er beobachtet eine „andere Stimmung als 2002“. Damals sei man zunächst geschockt gewesen, doch es folgte der „feste Wille zum Wiederaufbau“. Nun wären jene Menschen oft schon Rentner, es fehle ihnen die Kraft für einen weiteren Neuanfang. „Sie sind deprimiert“, so Fürst, bei dem diesmal auch „deutlich weniger Spenden“ als 2002 eingegangen waren: rund 2,5 Millionen Euro. Viele Ältere bekämen auch keine Kredite mehr, zumal sich auch der Staat weniger kulant zeige.

Der BUND macht schwere Mängel in der Flusspolitik aus

Dabei nennen Umweltexperten gerade politische Fehlentscheidungen als wesentliche Ursache für die erneute schwere Katastrophe. Der Bundesvorsitzende des BUND, Hubert Weiger, entdeckt etwa in der Flusspolitik Sachsen-Anhalts „schwere Mängel“. Dass in dem Land die Schäden diesmal fast dreimal so hoch liegen wie 2002 rührt für ihn auch daher, dass man zuletzt klar den technischen Hochwasserschutz an der Elbe favorisierte. Wirkungsvoller wäre jedoch die Schaffung neuer Überflutungsflächen gewesen, erzählt Weiger. Während man hierfür 30 Millionen Euro einsetzte, sei die Ertüchtigung der Deiche eine halbe Milliarde Wert gewesen.