Hochwasser im Rems-Murr-Kreis Nach der „Apokalypse“ nonstop im Helfermodus

Manuel Siegle hilft, wo er kann. Foto: Käser

Das Hochwasser hat im Kreis Leid und Tote verursacht. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, solidarisieren sich die Bürger und helfen, wo es geht – unter ihnen der Hauptfeuerwehrmann Manuel Siegle und die AWO-Pflegefachkraft Ute Reweland.

Rems-Murr: Simone Käser (sk)

Bevor Manuel Siegle die jüngsten Ereignisse Revue passieren lassen kann, muss er erst mal kurz überlegen, welcher Tag eigentlich ist. Mittwoch, Donnerstag? Die letzten Tage verschwimmen ineinander, sind zu einer kräftezehrenden Einheit geworden. Seit der Dauerregen kombiniert mit schwerem Gewitter in der Nacht von Sonntag auf Montag im Rems-Murr-Kreis zu einer verheerenden Unwetter-Katastrophe geführt hat, ist der Hauptfeuerwehrmann der freiwilligen Feuerwehr Schorndorf, Abteilung Miedelsbach, mehr oder weniger im Dauereinsatz. „Es ist gerade alles eine Endlosschleife aus Gefahrenlagen, Besprechungen und Einsätzen, man hat gar kein Zeitgefühl mehr“, sagt Manuel Siegle.

 

Man merkt dem Hauptfeuerwehrmann an, dass er an seine Grenzen kam

Der 36 Jahre alte Hauptfeuerwehrmann ist einer von vielen Helfern, die seit dem verheerenden Unwetter förmlich über sich hinauswachsen. Und auch wenn es als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr sein Job ist und er dafür ausgebildet wurde, man merkt dem zweifachen Familienvater an, dass die letzten Tage alles andere als Dienst nach Vorschrift waren und er öfters an seine Grenzen kam. „Es geht einem sehr nah, all das Leid zu sehen und zu erleben. In unserem Freundes- und Familienkreis sowie unter den Kameraden sind so viele selbst betroffen. Die wollen eigentlich bei der Feuerwehr mithelfen, dabei haben sie daheim ihre eigene Katastrophe zu bewältigen“, sagt Manuel Siegle.

Der Tannbach entwickelte sich zur reißenden Flut und hinterließ Zerstörung in Schorndorf-Miedelsbach. Foto: 7aktuell.de/Oskar Eyb/7

Manuel Siegle nennt das Unwetter „Apokalypse“

Der Albtraum, den er selbst „Apokalypse“ nennt, begann für den 36-Jährigen am Sonntag erst mal noch recht entspannt mit seiner Frau auf dem Sofa. „Wir haben die Meldungen verfolgt, und ich hatte so ein Bauchgefühl, dass es in der Nacht richtig losgehen würde.“ Das sollte sich bewahrheiten. Um 21.40 Uhr – der Hauptfeuerwehrmann weiß es noch ganz genau, hatte er die erste Meldung auf dem Handy. Eine Meldung, die sich als harmlos herausstellte. Zurück auf dem Sofa dauert es nicht lange, bis sein Funkmeldeempfänger Alarm schlug. „In dem Moment regnete es nicht stark, und wir dachten uns nichts Böses.“ Als dann aber die gesamte Feuerwehr Schorndorf mit allen Abteilungen zur Unterstützung nach Rudersberg angefordert wurde, war sofort klar, jetzt ist mehr passiert. „Das ist wirklich alles andere als normal, und wir ahnten Schlimmstes.“

Ab diesem Moment war der Helfer der freiwilligen Feuerwehr praktisch im Dauereinsatz. Er und seine Kameraden kämpften gegen das Wasser an. Der kleine Tannbach in Miedelsbach, normalerweise nicht einmal einen Meter hoch, hatte sich zur reißenden Flut entwickelt. Der schnell ansteigende Pegel überraschte die Menschen im Ort, und auch die Feuerwehrleute. Mit ihrem Fahrzeug kamen sie weder an den Einsatzort noch zu eingeschlossenen Menschen, die ihre Hilfe angefordert hatten. „Wir saßen erst mal selbst fest, und es gab keine Chance, mit dem Auto oder zu Fuß durch die Flut zu kommen, die Strömung hätte uns mitgerissen. Auch Kameraden aus Haubersbronn, die festsaßen, konnten wir nicht helfen.“ Manuel Siegle und seine Kollegen blieb also nichts anders übrig, als zu warten, bis sich die Fluten beruhigten. „Das ist immer die erste Phase, quasi die Chaosphase. Es herrscht Hilflosigkeit und man muss Herr der Lage werden.“

Sobald ein Durchkommen möglich war, arbeiteten die Kameraden die Einsätze ab

Sobald ein Durchkommen möglich war, arbeiteten die Feuerwehrkameraden Einsatz für Einsatz ab, halfen Menschen aus ihren Häusern, gaben Tipps zum richtigen Verhalten, fingen an Keller leer zu pumpen und sich einen Überblick zu verschaffen. Kollegen von Manuel Siegle fanden auch die zwei Menschen, für die jede Hilfe zu spät kam. „Irgendwann schickten wir einige heim zum Pause machen. Auch ich ging ein paar Stunden nach Hause, mehr als eine Stunde Schlaf hatte ich aber nicht. Nach kurzer Pause ging es wieder los, denn überall türmten sich Schlamm und Müll. Das Adrenalin hilft, dass man weiter macht“, sagt der Schorndorfer. Die Hilfsbereitschaft im Ort sei von Anfang an groß gewesen. „Uns wurde Trinken gebracht, und auch für Essen war gesorgt.“

Ute Reweland versorgt die Betroffenen mit Essen und hat ein offenes Ohr. Foto: privat

Hier kommt Ute Reweland ins Spiel. Wie Manuel Siegle rutschte auch sie direkt nach dem Unglück in einen Helfermodus und war seitdem nonstop im Einsatz. „Wir sind selbst nicht betroffen, deshalb war es für mich ganz klar, dass ich mitmache, wo Hilfe benötigt wird.“ Die 41-jährige Schorndorferin hätte am Montagmorgen eigentlich in der Frühschicht als Awo-Pflegefachkraft ihre Touren fahren sollen, um Klienten medizinisch und pflegerisch zu versorgen. Doch schon in den frühen Morgenstunden war kein Durchkommen mehr. „Es war unglaublich, überall Wasser und gesperrte Straßen. Wir haben eine kleine Notfalltour hinbekommen, und dann sind wir zurück zur Ambulanten Pflegestation der Awo Rems-Murr in der Wiesenstraße in Schorndorf. „Dort wurde ziemlich schnell beschlossen, dass wir eine Notversorgung aufbauen, mit Strom, Lademöglichkeiten für Handys, Wasserflaschen und Kaffee, später auch warmem Essen für die Seele und der Möglichkeit, durchschnaufen und sich alles von der Seele zu reden.“

Letzteres wird stark genutzt. „Wir sind wie eine kleine Seelsorgeeinheit. Viele kommen vorbei und erzählen von den Geräuschen, dem Wasser, das ständig stieg, den Schreien und der Angst. Das nimmt einen sehr mit. Aber es tut gut, etwas zu können“, sagt die dreifache Mutter, die auch beim Ausgeben der warmen Mahlzeiten tätig ist. Wenn sie nicht gerade mithilft, Keller leer zu kriegen, schöpft sie Maultaschen, Gulaschsuppe und Reis auf die Teller der Menschen, die teils so zerstörte Häuser haben, dass an Kochen wohl noch lange nicht zu denken ist.

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