Das ganz große Hochwasser ist am Neckar zum Glück ausgeblieben. Doch wegen des Klimawandels bewertet das Land in einem aktuellen Bericht die Risiken für die Menschen an den Flüssen neu. Auch Stuttgart wäre bei einer extrem Flut nicht sicher – ganz Bad Cannstatt stünde dann unter Wasser.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Am Neckar und seinen Nebenflüssen ist das jüngste Hochwasser einigermaßen glimpflich verlaufen – die Experten reden für Stuttgart von einer Flut, wie sie statistisch gesehen knapp alle 50 Jahre vorkommt. Doch die Behörden denken längst weiter: Da mit dem Klimawandel starker Regen häufiger wird, sind die Regierungspräsidien dabei, für alle Flüsse – in Text und Karten – darzustellen, welche Risiken bei einem extremen Hochwasser bestehen und welche Maßnahmen nötig sind, um die Gefahren zu minimieren. Heute sind die Dämme auf ein Jahrhunderthochwasser ausgerichtet: „Das reicht aber eigentlich nicht mehr aus“, sagt ein Mitarbeiter des Stuttgarter Tiefbauamtes.

 

Zu solchen Studien hat die EU schon 2007 alle Mitgliedstaaten verpflichtet, wie man in der – schönes Wort – „Hochwasserrisikomanagementrichtlinie“ nachlesen kann. Für Stuttgart ist der Bericht jetzt fertig; die Karten sind zumindest für den Neckar und das Flusssystem um die Körsch (und auch für viele andere Flüsse in der Region) im Internet einsehbar. Die Karten für Glems und Feuerbach folgen Anfang 2014.

Mehr als 60 Regenrückhaltebecken

Die gute Nachricht vorneweg: die Menschen in Stuttgart sind durch die Dämme selbst gegen ein Hochwasser, wie es im Schnitt alle hundert Jahre vorkommt, geschützt. Anders sieht es mit vielen Bächen im Stadtgebiet aus. Zwar wird mit mehr als 60 Regenrückhaltebecken versucht, die Schäden zu begrenzen. Dennoch stünden die Gebiete zum Beispiel am Zusammenfluss von Körsch und Ramsbach bei Hohenheim bereits einen Meter unter Wasser, wenn nur ein Hochwasser aufträte, wie es einmal in zehn Jahren zu beobachten ist.

Gefährdet sind laut Bericht die bebauten Gebiete an diesen Bächen: Aischbach, Feuerbach, Körsch, Kraftwerkskanal Untertürkheim, Metzgerbach, Sindelbach, Sommerhaldenbach, Weidachbach, Rennenbach und Lachgraben/Lindenbach.

Mehr als zwei Meter tief unter Wasser

Dramatisch wird es aber auch am Neckar, wenn sich ein extremes Hochwasser ereignet. Darunter versteht man eine Flut, die vorstellbar ist, wenn alle ungünstigen Faktoren, wie Regen, Schneeschmelze oder gefrorener Boden, zusammenkämen – der GAU quasi. Auf den entsprechenden Karten sind dann weite überflutete Gebiete zu erkennen. Insgesamt wären 20 100 Menschen in Stuttgart betroffen; die Häuser von 4200 Personen stünden mehr als zwei Meter tief unter Wasser. Vor allem Bad Cannstatt (10 900 Personen) und Obertürkheim (2330 Personen) wären stark in Mitleidenschaft gezogen.

Kulturgüter von landesweiter Bedeutung bedroht

Daneben hat das Land auch untersucht, welche Gewerbegebiete und welche kulturellen Denkmäler oder Einrichtungen bei einem extremen Hochwasser gefährdet wären. Entlang des Neckars könnten dann 342 Hektar an Gewerbegebieten überflutet sein; betroffen wären auch sechs sensible Unternehmen wie zwei Kraftwerke der EnBW oder das Daimlerwerk in Untertürkheim. Zudem müssten die Klärwerke in Mühlhausen und Möhringen den Betrieb einstellen. Und es wären neun Kulturgüter von landesweiter Bedeutung bedroht, so die Stadtkirche in Bad Cannstatt, das Mercedes-Museum oder das neue Stadtarchiv.

Die Stadt ist angesichts dieser Szenarien im Bericht aufgefordert, ihre Vorkehrungen auszuweiten. Das zuständige Tiefbauamt will nichts dramatisieren, aber mit einer Erhöhung der Dämme oder mit weiteren Rückhaltebecken sei es nicht mehr getan.

Bessere Information gefordert

Vielmehr müssten Alarm- und Einsatzpläne entwickelt werden, um die überfluteten Wohnquartiere und zum Beispiel auch Pflegeheime oder Kindergärten zu evakuieren. Die Bevölkerung müsse viel besser informiert werden. Es müsse überlegt werden, wie man Unternehmen und Kulturgüter schützt. Und Risiken durch Hochwasser müssten noch stärker als bisher beim Bau von Häusern und Betrieben berücksichtigt werden.

Daneben ist es tatsächlich notwendig, auch an den Dämmen und Rückhaltebecken zu arbeiten – das hat die Stadt bereits Ende vergangenen Jahres in ihrem „Klimawandel-Anpassungskonzept“ (auch ein schönes Wort) angemahnt. So wurde schon an drei Stellen – am Mühlsteg, am Wasen und bei Daimler – der Damm erneuert, weil dessen Zustand kritisch war.

Unpopulären Maßnahme

So rät das Tiefbauamt auch zu der unpopulären Maßnahme, möglichst alle Bäume auf den Dämmen zu fällen, da die Wurzeln die Anlage beschädigen könnten. Und aufgrund neuer Normen müssen sowieso viele der Rückhaltebecken in Stuttgart, von denen manche 60 Jahre alt sind, saniert werden. Allein dies könnte bis zu sechs Millionen Euro kosten.

Die Stadträte im Stuttgarter Gemeinderat werden sich so schon im Herbst bei den Haushaltsberatungen Gedanken machen müssen, ob sie das notwendige Geld für Pläne und Sanierungen bewilligen wollen.