In den letzten Jahren wurde viel für den Hochwasserschutz getan – auch auf Drängen der EU. Doch immer neue „Jahrhundertfluten“ zeigen, dass dies noch nicht ausreicht. Nun muss über weitergehende Maßnahmen nachgedacht werden.

Stuttgart - Schlimme Hochwasserereignisse gab es schon immer. Und zwar auch zu Zeiten, als der Mensch als Mitverursacher noch lange nicht die Rolle spielte, die er in der modernen Agrar- und Industrielandschaft eingenommen hat. So stand beim berüchtigten Magdalenenhochwasser im Juli 1342, dem vermutlich schlimmsten mitteleuropäischen Hochwasser des vergangenen Jahrtausends, das Wasser selbst im Mainzer Dom einem Mann bis zum Bauch. Doch nun, so scheint es, häufen sich die „Jahrhundertfluten“. Was sind die Ursachen?

 

Die Natur

Besonders gefährlich wird es, wenn zwei Ereignisse zusammenkommen, etwa wenn sehr viel Regen auf gefrorenen Boden oder eine Schneedecke fällt. Oder wenn sintflutartige Niederschläge – wie jetzt – auf einen äußerst nassen oder, wie beim Magdalenenhochwasser, von einer Hitzeperiode ausgetrockneten, steinharten Boden niederprasseln. Berüchtigt sind die früher Vb-Wetterlagen genannten Genua- oder Adriatiefs, bei denen mit Feuchtigkeit getränkte Regenwolken von Mittelmeer kommen und sich hier tagelang abregnen.

Bodenversiegelung

Zu den natürlichen negativen Bodenfaktoren – Frost, Nässe, extreme Trockenheit – kommt heute die vom Menschen verursachte Versiegelung der Böden. So erinnerte der Naturschutzbund Nabu dieser Tage daran, dass in Deutschland in jeder Minute 515 Quadratmeter Natur und Landschaft durch den Bau von Häusern, Straßen und Gewerbegebieten „verbraucht“ würden. Auch wenn sich die Entwicklung in den letzten Jahren etwas abgeschwächt habe, so halte doch der Zubau weiter an: Beim derzeitigen Tempo wäre „der halbe Bodensee nach einem Jahr weg“, so der Nabu. Erschwerend kommt hinzu, dass auch eigentlich unversiegelte landwirtschaftliche Nutzflächen durch die intensive Bewirtschaftung stärker verdichtet werden und damit nicht mehr so viel Wasser aufnehmen können wie früher. All das führt dazu, dass weniger Regen versickern kann und dafür schneller in Bäche und Flüsse fließt.

Ausgebaute Flüsse

In der Vergangenheit wurden die großen Flüsse begradigt und mit Staustufen und Schleusen für den Schiffsverkehr tauglich gemacht. So weist die Umweltstiftung WWF darauf hin, dass die Elbe, die noch vielerorts recht naturnah durch die Landschaft fließen darf, in ihrem Oberlauf auf tschechischer Seite mit 22 Stauwehren und Talsperren gebändigt wurde. Der Ausbau der Flüsse führe dazu, dass in den betonierten Fahrrinnen das Wasser heute weitaus schneller abfließe als früher. So rauscht heute laut WWF eine Hochwasserwelle im Oberrhein in 30 Stunden von Basel nach Karlsruhe, während sie 1955 für diese Strecke noch 65 Stunden gebraucht hat. Gleichzeitig ist in den Flüssen viel Überschwemmungsfläche verschwunden, weil Auenlandschaften vermeintlich sinnvoller für die Landwirtschaft oder als Industriegebiet genutzt wurden. Laut WWF gingen so rund 80 Prozent der natürlichen Überflutungsfläche in Deutschland verloren.

Gesetze

Vor allem die verheerenden Überflutungen 2002 haben dem Hochwasserschutz erheblichen Auftrieb verliehen. Weil damals wie heute gleich mehrere europäische Staaten betroffen waren, hat sich auch die EU eingeschaltet. Im Oktober 2007 hat sie dann die Richtlinie zur Bewertung und dem Management von Hochwasserrisiken verabschiedet. Mit einer Novelle des Wasserhaushaltsgesetztes wurde sie am 1. März 2010 in bundesdeutsches Recht umgesetzt. Demnach musste bis Ende 2011 eine vorläufige Risikobewertung durchgeführt werden, die entsprechenden Hochwasserkarten müssen bis Ende dieses Jahres fertig sein. Und bis Ende 2015 müssen die Pläne zum Management des Hochwasserrisikos ausgearbeitet sein. All das ist Ländersache – was allerdings dazu führt, dass diese Arbeiten durchaus unterschiedlich durchgeführt werden: an der Elbe beispielsweise von sieben Anrainerländern, die, so sagen Experten, sieben unterschiedliche Handlungskonzepte entwickeln.

Deiche und Schutzwände

Seit 2002 hat sich vor allem in den damals betroffenen Gebieten einiges getan. In Sachsen etwa seien in den vergangenen elf Jahren 1,5 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz geflossen, berichtete der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU). Das weitaus meiste Geld wurde dabei in den technischen Hochwasserschutz investiert, also in die Erhöhung und Ertüchtigung von Deichen, den Bau von Schutzwänden und die Anschaffung mobiler Schutzeinrichtungen. Das Problem: vor Ort wirken diese Maßnahmen gut – wenn sie dem Druck der Wassermassen standhalten und hoch genug sind. Doch je mehr Gebiete so geschützt werden, umso kleiner wird die Überschwemmungsfläche und umso größer ist die Gefahr, dass es die unten liegenden Gemeinden mit noch höheren Flutwellen trifft.

Rückhalteflächen

Dauerhafte Abhilfe versprechen daher nur neue Überschwemmungsflächen. Dazu zählen Rückhaltebecken in den Tälern, aber auch Ausweichflächen entlang der Flüsse, die sogenannten Polder. Diese können im Idealfall einen gewissen Ersatz für natürliche Auenlandschaften bieten. Dann müssen sie aber regelmäßig geflutet werden. Mit diesen sogenannten ökologischen Flutungen soll die dort lebende Fauna und Flora an die typischen Auenbedingungen gewöhnt werden.

Zukunft

Offenkundig ist, dass die Hochwassergefahr zunimmt. Und sie wird weiter wachsen, wobei die Klimaerwärmung sicherlich eine Rolle spielt. „Die Untersuchungen im Einzugsgebiet des Neckars ergaben für das Jahr 2050 eine Zunahme der mittleren Hochwasserabflüsse um etwa 40 bis 50 Prozent“, heißt es in einer Hochwasser-Broschüre, die das Umweltbundesamt 2011 veröffentlicht hat. Zudem wird es wohl immer mehr Jahrhunderthochwasser geben: Allerdings erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit bis 2050 „nur“um etwa 15 Prozent.