Der Hochwasserschutz in Wendlingen ist fertig – rund zehn Millionen Euro wurden investiert, um die Stadt sowie die Gemeinde Köngen vor einem hundertjährlichen Neckarhochwasser zu schützen.

Rund 24 000 Kubikmeter Erde wurden bewegt und 4300 Quadratmeter Spundwände gesetzt – nach fünf Jahren Bauzeit sind die Hochwasserschutzmaßnahmen in Wendlingen fertig. Geschützt ist die Stadt nun vor einem sogenannten hundertjährlichen Neckarhochwasser inklusive einem Klimazuschlag von 15 Prozent. Von den zehn Millionen Euro Gesamtinvestition trägt 70 Prozent das Land, 30 Prozent die Stadt Wendlingen. Ein kleiner Teil der Arbeiten fanden auf Gemarkung der Gemeinde Köngen statt, die sich ebenfalls mit rund 75 000 Euro an den Kosten beteiligt.

 

Beginn der Bauarbeiten während der Corona-Pandemie

„Das ist ein besonderer Tag für das Neckartal“, freute sich Landrat Marcel Musolf. Er betonte, das solche Projekte nur umgesetzt werden können, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Und Beteiligte gab es einige. Stadt, Land, Planungsbüros sowie viele weitere Akteure hätten ganz wesentlich zum Erfolg beigetragen, lobte Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel: „Gemeinsam haben wir Wendlingen hochwassersicher gemacht und gleichzeitig die Entwicklung angrenzender Gewerbegebiete ermöglicht.“ Der Hochwasserschutz habe heute einen sehr hohen Stellenwert, erklärte die Stuttgarter Regierungspräsidentin Susanne Bay: „Mit der Fertigstellung der Hochwasserschutzeinrichtung in Wendlingen haben wir einen entscheidenden Beitrag geleistet, um Bevölkerung und Infrastruktur langfristig besser zu schützen.“

Bereits 2010 wurde eine erste Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land und der Stadt zur Verbesserung des Hochwasserschutzes geschlossen. Die Genehmigungsplanung wurde 2015 beim Landratsamt eingereicht, der Planfeststellungsbeschluss erging 2018. Angesichts des Umfangs sei der Zeitraum vergleichsweise kurz, auch wenn es auf den Laien anders wirke, sagte Weigel. Denn bis zu einer Planfeststellung müssen unzählige Beteiligte gehört werden – vom Landratsamt über Versorgungsunternehmen bis hin zu den Grundstückseignern. Und oft würden solche Vorhaben in irgendeiner Schublade verschwinden – anders in Wendlingen: Mitten in der Corona-Pandemie starteten die Bauarbeiten im ersten von insgesamt drei Abschnitten auf der Köngener Seite links des Neckars im April 2020. Dazu mussten etwa ein Abwassersammler des Gruppenklärwerks umgelegt und die Kreisstraße ein halbes Jahr lang gesperrt werden. Abzustimmen waren die Maßnahmen mit der Deutschen Bahn, gleichzeitig liefen umfangreiche Begleitmaßnahmen im Zuge des Naturschutzes wie etwa die Umsiedlung von Zauneidechsen.

Im zweiten Bauabschnitt, der sich rechts des Neckars von der Römerbrücke bis zum Landeswehr erstreckt, musste zunächst eine Gasleitung verlegt werden, bevor der vorhandene Damm erhöht werden konnte. Die ersten beiden Bauabschnitte wurden Anfang 2022 fertiggestellt. Seit April 2023 wurde am dritten und letzten Abschnitt gebaut. Er umfasst den Bereich rechts des Neckars zwischen Autobahn- und Römerbrücke. Dazu musste auf gesamter Länge des neuen Betriebswegs eine Spundwand zur Abdichtung eingebaut werden. Auf diese Wand wurde im Bereich von sechs Gewerbegrundstücken zwischen der Römerbrücke und den ehemaligen Sportplätzen des TV Unterboihingen (TVU) eine Hochwasserschutzmauer gesetzt. Zusätzlich wurde ein mobiles Hochwasserschutztor für die Feuerwehrzufahrt zum Neckar eingebaut. Parallel dazu liefen umfangreiche Kabelverlegearbeiten durch die Netze BW, denn die Kabel kreuzen teilweise den Neckar sowie den neuen Hochwasserschutzdamm.

Kein hundertprozentiger Schutz vor extremen Wetterereignissen

Dabei mussten auch Opfer gebracht werden, wie Regierungspräsidentin Bay erinnerte. So musste etwa der TVU sein angestammtes Sportgelände am Neckar aufgeben: „Aber es hat sich gelohnt, die Sicherheit von Wendlingen und Köngen ist durch die Maßnahmen erheblich erhöht worden.“ Bay wies aber auch darauf hin, dass ein hundertprozentiger Schutz nicht möglich sei: „Wir sind nach wie vor gefordert weiterzudenken. Extreme Wetterereignisse lassen sich nicht verhindern.“

Dem Landkreis komme beim Hochwasserschutz eine Schlüsselrolle zu, sagte Landrat Musolf: „Es geht darum, Menschen und ihr Eigentum zu schützen.“ Erst im Frühjahr und Sommer 2024 hätten Starkregenereignisse wie etwa in Hochdorf deutlich gezeigt, wie wichtig der Hochwasserschutz sei.

In Wendlingen arbeitet die Stadt mit Unterstützung des Landes derweil noch an der Radwegverbindung zwischen der ehemaligen TVU-Sportanlage, wo ein Gewerbegebiet geplant ist, weiter neckarabwärts. Auf dem früher als Radweg genutzten Damm kreuzt eine Hochspannungsleitung der Netze BW und seit der Erhöhung ist der Abstand zu den Stromleitungen zu gering, weswegen der Abschnitt gesperrt ist. Radler müssen wie bisher auf die angrenzende Heinrich-Otto-Straße ausweichen.

Hochwasserschutz am Neckar

Grundlagen
Vom Landesbetrieb Gewässer wurde der bestehende Hochwasserschutz am Neckar in den insgesamt acht Städten und Gemeinden zwischen der Regierungsbezirksgrenze bei Neckartenzlingen und Wernau – wo unterhalb die Bundeswasserstraße in Plochingen beginnt und damit der Bund zuständig ist – untersucht. Die Ertüchtigung der Schutzeinrichtungen erfolgt in den Bereichen, wo dies für den Schutz gegen ein hundertjährliches Hochwasser (HQ 100) zuzüglich Klimazuschlages in Höhe von 15 Prozent erforderlich ist.

Schadenspotenzial
Insgesamt 338 Kilometer fließt der Neckar durch Baden-Württemberg, etwa 200 Kilometer davon sind schiffbar. Das gesamte Einzugsgebiet des Neckars erstreckt sich auf 13 600 Quadratkilometer. Dort leben mehr als 5,7 Millionen Menschen, die – manche mehr, manche weniger – von einem extremen Hochwasserereignis betroffen wären. Laut Regierungspräsidium Stuttgart (RP) beträgt das Schadenspotenzial bis zu 14 Milliarden Euro.

Weitere Maßnahmen
Entlang des Neckars laufen im Landkreis aktuell weitere Hochwasserschutzmaßnahmen in Neckartenzlingen, die in diesem Jahr abgeschlossen werden sollen. Ebenfalls in diesem Jahr sollen Arbeiten in Nürtingen starten – in mehreren Abschnitten sollen dort auf einer Länge von insgesamt zehn Kilometern beidseits des Neckars die bestehenden Schutzanlagen ertüchtigt werden, gerechnet wird mit Kosten von über 40 Millionen Euro. Neckarabwärts in Richtung Plochingen sind keine Maßnahmen geplant, da der Bereich als ausreichend geschützt gilt.