Warum schauten Paare bei ihrer Hochzeit anno dazumal oft so grimmig drein? Die optische Darstellung von Glück unterliegt dem Wandel. Das und vieles mehr hat der Macher der Ausstellung „Dorfhochzeit“ in Waldenbuch bei seiner Recherche herausgefunden.

Waldenbuch - Hochzeitsfotos haben eine magische Anziehungskraft. Wer in den alten Alben der Familie blättert, bleibt früher oder später an den Aufnahmen der großen Familienfeste hängen. Wie war die Brautmode der Eltern und Großeltern? Wer war dabei, und wie wurde gefeiert? Diese Fragen hat sich auch der Buchautor und Grafiker Matthias Bumiller gestellt, als er 2013 damit begonnen hat, das Fotoarchiv des kleinen Museums in seinem Heimatort Jungingen (Zollernalbkreis) zu digitalisieren. In jahrelanger Kleinarbeit ist er den Geschichten nachgegangen und hat 500 Hochzeitsbilder aus der Zeit von 1880 bis 2017 zusammengetragen.

 

Bräuche ändern sich – auch bei Hochzeiten

Eine Auswahl von 280 Fotos ist unter dem Titel „Dorfhochzeit“ nun im Waldenbucher Museum der Alltagskultur zu sehen und zeigt, wie sich die Bräuche und Traditionen rund um den schönsten Tag im Leben verändert haben. „Man kann hier wunderbar die Geschichte des Heiratens verfolgen; von der öffentlichen Hochzeit mit Brautumzug bis zum Pink Cadillac als Brautwagen, vom spontan geschossenen Foto bis zur inszenierten Studiofotografie“, schwärmt der Waldenbucher Museumsleiter Markus Speidel.

Und es gibt einen weiteren Grund, warum der Experte die Ausstellung empfiehlt: „Man sieht lauter glückliche Menschen.“ Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass auch die optische Darstellung von Glück dem Wandel unterliegt. Auf den frühen Aufnahmen sieht man nur ernste Gesichter. Markus Speidel weiß warum: „Das Hochzeitsbild war oft das einzige Foto, das überhaupt je von den Menschen gemacht wurde. Das war ein bedeutender Moment.“

Die betuchten Familien waren die Trendsetter

Auch Matthias Bumiller hat bei seinen Recherchen dazugelernt. Als ihm ein Hochzeitsfoto aus dem Jahr 1914 in die Hände fiel, war er zunächst verwirrt. „Die Braut trug Schwarz. Ich wusste nicht, dass das damals üblich war“, erzählt er. Die ersten weißen Kleider entdeckte der Sammler auf Aufnahmen aus den 1920er Jahren. Dabei hat er festgestellt: „Trendsetter waren die betuchten Familien.“ Jungingen hat eine dörfliche Struktur, und nicht jede Mode fand Nachahmer auf dem Land. Ausgefallene Outfits sucht man deshalb vergebens. „Ein hellblauer Anzug ist das Ausgeflippteste, was wir zu bieten haben“, erzählt Bumiller.

Trauungen sind private Momente. „Dass die Menschen ihre Alben für mich geöffnet haben, verdanke ich dem Umstand, dass man mich kannte und mir vertraut hat“, sagt Matthias Bumiller. Dabei hat er erfahren: „Das Hochzeitsfoto ist ein hochemotionales Erinnerungsstück.“ Aus dem geplanten Kurzbesuch in den Familien wurde so oft ein ganzer Abend, an dem die Vergangenheit wieder lebendig wurde.

Bei einer Hochzeit kam es zu Handgreiflichkeiten

Vieles von dem, was der Gast in den Gesprächen erfahren hat, war in Vergessenheit geraten. „Bis Ende der 1950er Jahre war bei einer Hochzeit das ganze Dorf eingeladen“, berichtet Bumiller. Die erste nicht-öffentliche Trauung am 25. Oktober 1958 brachte sogleich Probleme. „Ein paar Jugendliche wollten das nicht akzeptieren und versuchten sich unter die Hochzeitgesellschaft zu mischen. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten“, hat der Autor recherchiert.

Schlichte Zeremonien in den Kriegsjahren, Bräute mit ausladenden Prinzessinnenkleidern in den 1990ern, die Hochzeitsautos, die Wirtshäuser, die Kaffeetafeln und Büffets, Silberne, Goldene und Diamantene Paare oder das Hochzeitsbild vom holländischen Zwangsarbeiter, der im Februar 1945 gegen den Willen der Verwandtschaft die Junginger Wirtstochter ehelichte – in den Aufnahmen spiegelt sich stets auch ein Stück Zeitgeschichte wider.

Die Braut stellte ihr Kleid selbst her

Ein besonders beeindruckendes Exponat ist in diesem Zusammenhang das Brautkleid aus dem Jahr 1947, das die wissenschaftliche Volontärin Janette Helm in der Sammlung des Landesmuseums entdeckt und in die Ausstellung eingefügt hat. „Geld hatte kaum noch Kaufkraft. Viele Waren wechselten über den Tauschhandel und auf dem Schwarzmarkt den Besitzer“, berichtet sie. Die Braut aus Hirrlingen bei Rottenburg am Neckar erwies sich als erfinderisch. Sie belegte einen Webkurs und stellte den Stoff selbst her. Das Garn dafür hatte sie zuvor in Reutlingen gegen ein Pfund Butter eingetauscht. Auf einem Flugplatz sicherte sich die junge Frau glänzende Fallschirmseile aus abgestürzten englischen Flugzeugen und arbeitete daraus die Borten für ihr Kleid. Den Tüll besorgte letztlich ihre Schwester über Kontakte zu einer Schweizer Firma, die aus dem Material Frisierhauben herstellte.

Alle Infos zur Ausstellung:

Mit einer kostenfreien Führung wird die Ausstellung „Dorfhochzeit“ am Sonntag, 14. April, jeweils um 11 und 15 Uhr eröffnet. Die Hochzeitsbilder und -objekte sind im Museum der Alltagskultur im Waldenbucher Schloss bis 8. September 2019 zu sehen. Besucher sind eingeladen, ihre Hochzeitsobjekte ins Museum der Alltagskultur mitzubringen und von ihren eigenen Erlebnissen zu berichten. Am Sonntag, 12. Mai, und Sonntag, 14. Juli, sind von 13 bis 18 Uhr Ansprechpartner vor Ort. Besonders gesucht sind Exponate aus den letzten 60 Jahren. Eine Anmeldung per E-Mail an dorfhochzeit@landesmuseum-stuttgart.de ist erwünscht.

Besondere Termine:

Susanne Hillmann beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit an der Universität Stuttgart mit der sich wandelnden Fototechnik und den Inszenierungen der Hochzeitsbilder. Von ihren Ergebnissen berichtet sie bei einem Vortrag am Freitag, 19. Juli 2019, um 16 Uhr im Museum.

Für Lokalkolorit sorgt eine Schautafel mit Waldenbucher Hochzeitsbildern. Personen, die in der Schönbuchstadt den Bund fürs Leben geschlossen haben, können ihre Fotos am 26. April von 14 bis 17 Uhr im Museum abgeben oder diese per E-Mail an dorfhochzeit@landesmuseum-stuttgart.de senden