Mit seinen Stäffele ist Stuttgart eng verbunden. So überrascht es nicht, dass die neuen Stufen am Feuersee in kurzer Zeit zum beliebten Treff geworden sind. Ein urbaner Wohlfühlort zum Plaudern, Träumen, Trinken, Feiern. Die Älteren fühlen sich an die legendäre Freitreppe des Kleinen Schlossplatzes erinnert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Auf zum neuen Ufer! Nur wenige Tage nach Eröffnung haben die Menschen die umgestalteten Südgestaden des Feuersees in Besitz genommen. Urlaubsgefühle breiten sich an diesem lauen Sommerabend bis an die Ränder der neuen Treppe aus – und darüber hinaus. Eine Clique hat eine Torte samt Porzellangeschirr mitgebracht und sitzt feixend mit Blick auf die Johanneskirche. Mit Plastikbecher stoßen vier Jungs am neuen Mittelpunkt des Stuttgarter Westens an – ihre Sektflasche ist bereits leer.

 

Ein älteres Paar, das sich seitlich auf einer der neuen Bänke niedergelassen hat, als wollte es nicht die überwiegend jungen Treppenhocker stören, sieht sehr zufrieden aus. Die beiden beobachten mehrere Schildkröten, die nach Paprikastückchen schwimmen, die ein Kind ins Wasser geworfen hat. „Da ist ein Karpfen“, sagt der Mann zu seiner Frau und deutet aufs Wasser. Die Dämmerung hindert eine junge Frau nicht, in einem Buch zu lesen. Das Buch dürfte packend sein. Das südländische Treiben um sie herum scheint sie gar nicht wahrzunehmen.

Neue Seeoase am einstigen Löschteich ist noch nicht fertig

Eine große Zusatz-Treppe, Sitze und ein Podest – das neue Ufer, das näher an den See gerückt ist, sorgt für Überfüllung. In Stuttgart gibt es nur wenige Orte, an denen man die Stadt am Wasser idyllisch erleben kann. Der Nachholbedarf ist offenkundig groß. Übervolle Müllereimer zeugen vom Andrang der Menschen, dem die Leerung der Stadtreinigung bisher nicht folgen kann.

Noch ist die neue Seeoase am einstigen Löschteich nicht fertig. Die Begrünung der Böschung fehlt, auch das Ost- und Westufer sollen noch umgestaltet werden. An manchen Stellen sieht’s am Feuersee nach einem Provisorium aus. Das Wasser ist alles andere als eine saubere Quelle. Mitunter riecht es hier auch etwas streng. Doch der Feuersee zeigt: Nicht immer muss alles perfekt sein, damit sich Menschen wohlfühlen.

Erinnerungen an die legendäre Freitreppe

Die Freitreppe des Kleinen Schlossplatzes, an die sich so manch ein älterer Feuersee-Hocker erinnert, war auch „nur“ ein Provisorium. 1977, als die Königstraße zur Fußgängerzone wurde, war eine merkwürdige Situation im Herzen der Stadt entstanden. Die Fahrspuren mit ihren Eingangslöchern blieben unter dem Betondeckel verwaist, der damit seinen Sinn verlor. Der Kleine Schlossplatz wurde zum Treff der Skater. Rollende Bretter rasten in die leeren Tunnelröhren. 1992 hatte der Architekten Walter Belz die geniale Idee, eine 30 Meter breite Freitreppe von der Königstraße hoch zur Betonplatte zu bauen. Die wurde zur Internationalen Gartenschau (Iga) im Jahr 1993 fertig – mit überwältigendem Erfolg. Der totgesagte Platz blühte auf. Den lieben langen Tag saßen die Menschen auf den Stufen, sonnten sich, genossen den Blick aufs Neue Schloss und das Gefühl von südlicher Lebensart, schauten wie in einem Freilufttheater auf die Bühne der Fußgängerzone – auf das Straßentheater des Lebens.

Manche fühlten sich an die Spanische Treppe in Rom erinnert und wollten nicht glauben, dass die Stadt diesen beliebten Treff schon nach kurzer Zeit opferte. Im Jahr 2002 kamen die Bagger. Die Freitreppe musste für das Kunstmuseum weichen, das drei Jahre später eröffnet wurde. Es entstanden neue Stufen, die kleiner und etwas zurückversetzt sind – und nicht mehr die Beliebtheitswerte erreichen konnten wie einst die provisorische Freitreppe.

Die Stufen des Feuersees, so haben die ersten Tage und vor allem Abende seit der Eröffnung gezeigt, scheinen für die Stuttgarter Liebe auf den ersten Blick zu sein. Man darf wieder hocken, sich treffen, lachen, feiern, aber auch allein unter vielen Menschen sein.