Die Ohren sind ein faszinierendes Werkzeug unseres Körpers. Wer dem Sinnesorgan erst Beachtung schenkt, wenn es streikt, macht einen Fehler.

Wir können die Augen schließen, uns die Nase zuhalten. Die Ohren müssen wir verstopfen, wenn wir nichts mehr hören wollen. Sie sind für uns so wichtig, dass sie auch aktiv sind, wenn wir längst schlafen. Das kleinste Geräusch lässt uns hochschrecken. Die Ohren melden ans Gehirn: Aufwachen! Es könnte Gefahr lauern.

 

Der Hörsinn macht uns kommunikationsfähig, versorgt uns mit lebenswichtigen Informationen und sorgt auch für gute Unterhaltung, wenn wir etwa in einem Konzert sitzen. Schlechtes Hören kann einsam machen und infolgedessen depressiv. „Ohne Gehör hätte sich in der Evolution der Menschheit keine Sprache entwickeln können, und ohne Sprache wäre der Mensch nicht das geworden, was er ist“, sagt Uso Walter. Für den Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist es das wichtigste Kommunikationssinnesorgan, das die Entwicklung zum modernen Menschen überhaupt möglich gemacht hat.

Das dreigeteilte Ohr

Ein großartiges Organ also, das aus drei Bereichen aufgebaut ist: dem äußeren Ohr mit der Ohrmuschel und dem Gehörgang, dem Mittelohr mit Trommelfell und Gehörknöchelchen und dem flüssigkeitsgefüllten Innenohr mit den Sinneszellen. Das äußere Ohr wirkt wie ein Trichter, der die Schallwellen auffängt. Das Mittelohr verstärkt den Schall und leitet ihn ans Innenohr weiter. Im Innenohr wird der Schall nach verschiedenen Frequenzen sortiert und in elektrische Impulse umgewandelt. Diese Aufgabe übernehmen die Sinneszellen. Jeder Mensch verfügt über rund 3500 innere und 12 000 äußere Sinnes- oder Haarzellen. „Unsere Sinnesorgane arbeiten wie Übersetzer. Auge, Ohr und Nase wandeln physikalische und chemische Reize in elektrische Signale um und übersetzen sie so in eine Sprache, die das Gehirn versteht“, so Uso Walter. Beim Hören übernehmen die sogenannten Haarzellen im Innenohr diese Aufgabe. Sie sind superempfindlich. „Gehen die inneren Haarzellen kaputt, ist man in dem Bereich stark schwerhörig oder sogar taub“, erklärt der Mediziner.

Das Gehirn filtert das Wesentliche heraus

Nun müssen diese elektrischen Impulse im Gehirn noch verarbeitet werden: Das Stammhirn sortiert Töne und Geräusche erst einmal vor und lokalisiert, woher sie kommen. Das Zwischenhirn ist dafür zuständig, unwichtige Geräusche zu unterdrücken und wichtige zu verstärken. Hier werden sie auch emotional bewertet. Erst das Großhirn verarbeitet Geräusche, Sprache und Musik weiter und lässt sie uns bewusst wahrnehmen, sodass wir Informationen aus ihnen ziehen können. „Das Erstaunliche beim Hören ist, dass wir von ganz vielen verschiedenen Schallwellen umgeben sind. Die treffen alle gleichzeitig aufs Mittelohr, und das überträgt auch alles gleichzeitig aufs Innenohr. Die Aufgabe des Gehirns ist es nun, aus diesem ganzen Chaos das Wesentliche herauszufiltern und dabei Störgeräusche zu unterdrücken“, sagt der Duisburger Arzt. Eine echte Meisterleistung!

Das Alter beschleunigt den Hörverlust

Zur Zeit der Geburt haben wir das beste Gehör. Uso Walter: „Von da an gehen die empfindlichen Haarzellen im Innenohr kaputt. Das Hörvermögen nimmt dadurch von den hohen zu den tiefen Frequenzen kontinuierlich ab.“ Wie schnell das geht, ist genetisch bedingt, hängt aber auch von der Umwelt ab. Lärm ist pures Gift für unsere Ohren. Stress ebenso, vor allem Dauerstress. Zudem beschleunigt das Alter den Hörverlust. „Geräusche, die das Gehirn in einer entspannten Situation problemlos unterdrückt, können bei Stress plötzlich verstärkt und überhaupt erst hörbar werden“, erklärt der Spezialist. „Nach einem stressigen Tag reichen schon manchmal normale Alltagsgeräusche wie Kindergeschrei, der laute Fernseher oder der Rasenmäher des Nachbarn, um uns zu nerven.“ Es liegt am Stresspegel, dass die Hörverarbeitung im Gehirn es nicht schafft, diese Geräusche auszufiltern. Manche Menschen entwickeln eine Hyperakusis. Normale Umweltgeräusche werden dabei als viel zu laut empfunden.

Dauerstress macht krank

Dauerstress wirkt sich auch drastisch auf das Innenohr aus: Die äußeren und inneren Haarzellen werden durch Mikrodurchblutungsstörungen, eine veränderte Fließeigenschaft des Blutes oder einen gestörten Zellstoffwechsel – alles Begleiterscheinungen von Stress – schnell geschädigt. „Das kann eine altersbedingte Schwerhörigkeit beschleunigen, zu akuten Hörstörungen wie einem Hörsturz oder einem Tinnitus führen“, so Uso Walter.

Auch Lärm kann Hörerkrankungen hervorrufen. Ob beim Konzert, in Clubs, im Umfeld von Flughäfen, am Arbeitsplatz oder auf der Straße: Abhängig von der Lautstärke und der Dauer können Musik, Geräusche und Lärm das Innenohr schädigen, zu irreparablen Hörschäden führen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Lärm nach der Luftverschmutzung auf Platz zwei der krank machenden Umweltfaktoren ein. Anhand von über 200 000 Hörtests weltweit fand man heraus, dass die Geräuschkulisse in Städten negative Folgen fürs Hören hat.

Lärm verändert Zellprozesse

„Durch die langandauernde Stimulation der äußeren Haarzellen bei Lärm verändern sich verschiedene Prozesse in der Zelle. Unter anderem strömen Salze in die Zelle, und sogenannte Sauerstoffradikale vermehren sich“, erklärt Uso Walter: „Werden diese Prozesse nicht rechtzeitig gestoppt, kommt es zu einer allmählichen Zerstörung der Zellmembran und einem Zerfall der Erbinformationen“, so der Mediziner. Über kurz oder lang bedeutet das den Tod der Zellen und damit einen Hörverlust, der sich nicht rückgängig machen lässt.

Entspannung bei Waldrauschen oder Kühlschranksummen

Jeder kann selbst dafür sorgen, dass das faszinierende Sinnesorgan seine Funktion so lange wie möglich im vollen Umfang behält. Da das Gehör niemals schläft und unseren Körper bei bedrohlichen Geräuschen in Alarmbereitschaft versetzt, reagiert es auch auf harmlose Hintergrund- und Naturgeräusche. In der Natur aktiviert es allerdings unsere Entspannungssysteme. „Hören wir Waldrauschen, einen Springbrunnen oder das Summen des Kühlschranks, übernimmt der Parasympathikus das Zepter“, so Walter. Der Teil des vegetativen Nervensystems, der für Regeneration steht, gibt jetzt den Ton an: Wir entspannen. Und das sogar mehr als in einem völlig stillen Zimmer. „Denn harmlose Hintergrundgeräusche signalisieren dem Zwischenhirn: Alles ist gut, mir kann nichts passieren.“

Buch zum Thema

Publikation
Uso Walter, Lucia Schmidt: „Zu viel um die Ohren – Wie Stress das Hören verändert“. Ecowin Verlag. 279 Seiten, 22 Euro.