Hohe Zahl von FSME-Fällen Wächst die Gefahr durch Zeckenstiche?

Ab Temperaturen von vier bis sieben Grad suchen sich Zecken ihre Opfer – und können dabei Krankheitserreger übertragen. Foto: dpa/Patrick Pleul

Zecken können Krankheitserreger übertragen. Im vergangenen Jahr gab es bundes- und landesweit besonders viele Fälle von FSME-Erkrankungen. Woran das liegt und was in diesem Jahr droht, erklären eine Expertin und ein Experte.

Stuttgart - Im vergangenen Jahr sind in Deutschland mit mehr als 700 Menschen so viele an Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) erkrankt wie nie, seitdem diese durch Zecken übertragbare Krankheit vor 20 Jahren meldepflichtig wurde. Experten rechnen auch langfristig mit einer steigenden FSME-Gefahr. Antworten auf die wichtigsten Fragen dazu im Überblick

 

Wie viele Fälle von FSME gab es zuletzt – und warum sind sie gestiegen?

Im Jahr 2020 wurden insgesamt 331 Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis an das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg übermittelt. Das seien mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr 2019 mit 171 Fällen und sei der höchste Wert seit 2001, hatte das Gesundheitsministerium vergangene Woche mitgeteilt. Abgesehen vom Stadtkreis Heilbronn wird das gesamte Bundesland vom Robert-Koch-Institut (RKI) als FSME-Risikogebiet ausgewiesen.

Inwiefern spielt der Klimawandel eine Rolle?

Die konkrete Ursache für diese Zahlen kenne man leider nicht, sagt Ute Mackenstedt, Zeckenexpertin an der Universität Hohenheim. Eine Erklärung könne in dem durch die Coronapandemie veränderten Verhalten liegen: Die Menschen hielten sich häufiger draußen in der einheimischen Natur auf und besuchten dabei auch verstärkt FSME-Risikogebiete. Zudem spiele sicherlich auch der Klimawandel eine Rolle. „Der Gemeine Holzbock ist jetzt nicht nur in den wärmeren Jahreszeiten, sondern auch im Winter aktiv“, erklärt Mackenstedt. Auch die Auwaldzecke könnte der Expertin zufolge eine Rolle bei der Ausbreitung des Erregers spielen – auch, wenn sie Menschen nicht so gerne befalle. Die Krankheit FSME wird durch Zeckenbisse übertragen und kann unter anderem mit einer Hirnhautentzündung einhergehen.

Wann sind Zecken unterwegs – und welche sind hierzulande am häufigsten?

Wir sind bereits mitten in der Zeckenzeit. Hat es an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen vier bis sieben Grad Celsius, suchen die Zecken nach einem Wirt. In etwa 95 Prozent der Fälle handelt es sich hierzulande um den Gemeinen Holzbock, Ixodes ricinus im Fachbegriff. Der Rest entfällt größtenteils auf die Zeckenart Ixodes inopinatus, die ebenfalls zur Familie der Schildzecken gehört. Diese Art war ursprünglich vor allem im Mittelmeerraum verbreitet und ist nur unter dem Mikroskop vom Gemeinen Holzbock zu unterscheiden, wird deshalb manchmal verwechselt.

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Was geschieht bei einem Zeckenstich?

Während die Zecke das Blut in ihren Darm saugt, kann ihr Speicheldrüseninhalt in den menschlichen Körper gelangen – und mit ihm das FSME-Virus oder Bakterien wie die Borrelien. Je nachdem, ob durch einen Zeckenstich das Virus oder Bakterien übertragen werden, können bei den Menschen verschiedene Erkrankungen auftreten. Gut zu wissen ist auch: Es gibt mehrere Unterarten von Borrelien. Seit ein paar Jahren ist eine in unseren Breiten noch wenig bekannte Bakterienart dazugekommen, die sogenannte Borrelia miyamotoi. Wird eine Infektion mit dieser Bakterienart nicht behandelt, tritt alle zwei Wochen ein Fieber auf. In den Phasen dazwischen können massive Gelenkschmerzen und ständige Erschöpfung auftreten.

Wie schnell muss man nach einem Zeckenstich handeln?

Je früher Zecken mit einer Pinzette aus der Haut „gedreht“ werden, desto größer ist die Chance, dass noch keine Erreger übertragen wurden. Das zugehörige Zeitfenster beträgt für erwachsene Zecken bis zu 24 Stunden. Bei den zahlreichen, nur ein bis zwei Millimeter großen Jungzecken, den Nymphen, ist es deutlich kleiner.

Woran ist FSME erkennbar?

Diese grippeartige Viruserkrankung tritt vor allem in Bayern und Baden-Württemberg auf. Typische Symptome in den ersten Tagen sind Kopfschmerz, Unwohlsein und Fieber. Danach kann es zu einer Hirnhautentzündung kommen, die in seltenen Fällen tödlich enden kann. Beschwerden lassen sich nur lindern, der genaue Ausgang einer FSME-Erkrankung ist schicksalhaft. „Inwieweit entzündungsbedingte Langzeitfolgen im Gehirn zurückbleiben, wird derzeit genauer untersucht“, sagt Volker Fingerle, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Borreliene im Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. FSME kann man mit einer Impfung vorbeugen.

Was geschieht bei einer Borreliose – und wie gut ist sie behandelbar?

Borrelien – hierzulande Borrelia burgdorferi – können Haut, Gelenke und das Nervensystem angreifen. In 90 Prozent der Fälle tritt eine Wanderröte auf. Sie gilt als typisches Frühzeichen. „Wenn die Borrelien es schaffen, sich von der Stichstelle über die Blutbahn im Körper auszubreiten, dann können Wochen oder Monate später Erkrankungen an anderen Körperstellen auftreten“, so der Zecken-Experte Volker Fingerle. „Oft sind die großen Gelenke wie Kniegelenke, Schulter-, Sprung- oder Ellbogengelenke betroffen. Es treten dann massive Schwellungen auf. Man spricht von Lyme-Arthritis, einer späten Form der Lyme-Borreliose.“

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Wenn die Borrelien die Haut befallen, tritt eine späte Hauterkrankung auf. „An den Armen stehen die Venen heraus, und die Haut verfärbt sich lila, wenn man nicht behandelt“, so Fingerle. Ohne Behandlung schreitet die Erkrankung immer weiter voran. Wenn die Borrelien in seltenen Fällen das Nervensystem befallen, tritt auch noch Jahre nach dem Zeckenstich die sogenannte Neuroborreliose als Spätform auf.

Eine früh erkannte Borreliose ist mit einer zehn bis 30 Tage dauernden Antibiotika-Behandlung heilbar. „Glücklicherweise haben Borrelien bislang keine Resistenz gegen empfohlene Antibiotika entwickelt“, sagt Fingerle. Eine Impfung gibt es aber nicht.

Wie lässt sich eine Borreliose diagnostizieren?

Ein Bluttest drei bis sechs Wochen nach einem Zeckenstich kann Antikörper gegen Borrelien und damit eine Infektion nachweisen. Die Diagnose Neuroborreliose lässt sich stellen, indem man das Nervenwasser untersucht. Trotz einer Antibiotikatherapie kann der Antikörpertest teils sogar noch Jahre nach der Erkrankung positiv ausfallen.

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