Als Gutachter der Deutschen Bank soll Eberhard Stilz die Strategie für den Umgang mit der Justiz empfohlen haben. Dieses Bild zeichnet die Anklage im Münchner Prozessbetrugs-Verfahren. Der Chef des Landesverfassungsgerichts bestreitet das.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Winfried Kretschmann hätte auch anders antworten können. Wie er es beurteile, wurde er kürzlich gefragt, dass der Präsident des Staatsgerichtshofs, Eberhard Stilz, im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Prozessbetrugs als Gutachter für die Deutsche Bank tätig gewesen sei? Ob es dem höchsten Repräsentanten eines Verfassungsorgans gut anstehe, sich für das skandalgeplagte Institut zu engagieren? Der Ministerpräsident hätte Stilz verteidigen können. Er hätte darauf verweisen können, dass dieser als oberster Verfassungsrichter nur ein Ehrenamt habe und es ihm frei stehe, was er sonst mache. Doch Kretschmann sagte nur fünf Worte: „Ich möchte das nicht kommentieren.“

 

Kommentiert wird Stilz’ Rolle dafür an anderer Stelle, und das umso kritischer – von der Staatsanwaltschaft im Prozess gegen den Co-Bankchef Jürgen Fitschen und Ex-Kollegen vor dem Landgericht München sowie von Kleinaktionären, gerade bei der Hauptversammlung in Frankfurt. Ihre Kritik kratzt am Ruf des langjährigen Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsidenten als herausragender Jurist und als moralische Instanz gleichermaßen. Dazu kommt Spott für eine angebliche Empfehlung, mit der Stilz ziemlich daneben lag.

Lob für „persönliche Integrität“

Von Seiten der Bank gab es bei dem turbulenten Aktionärstreffen in Frankfurt nur Lob für Stilz. Verteidigt wurde er vom Aufsichtsratsvorsitzenden Paul Achleitner, der ihn Ende 2013 als Gutachter engagiert hatte. Damals war das Institut wegen der mehr als zehn Jahre zurückliegenden Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch gerade schwer in Bedrängnis: Im Zivilrechtsstreit mit den Erben Kirchs sah es schlecht aus, und strafrechtlich nicht minder. Die Ermittlungen wegen versuchten Prozessbetrugs gegen mehrere Ex-Vorstände hatte die Staatsanwaltschaft auf den amtierenden Bankchef Fitschen ausgedehnt, bei Razzien gefundene Dokumente galten intern als „nicht hilfreich“.

In dieser Situation beauftragte die Bank Stilz laut Achleitner zu prüfen, ob Fitschen trotz des laufenden Verfahrens weiter die Voraussetzungen als „Geschäftsleiter eines Kreditinstituts“ erfülle. Als unabhängiger Gutachter sei er „sowohl durch seine fachliche Expertise als auch durch seine persönliche Integrität … bestens ausgewiesen“ gewesen, pries ihn der Chefkontrolleur. Bezahlt habe ihn die Bank, verriet Achleitner den Aktionären, in welcher Höhe nicht.

Ratschläge je nach Lage verändert

Ein Gutachten zu einer Rechtsfrage einzuholen – das wäre nichts Ungewöhnliches. Doch die Staatsanwaltschaft München zeichnet ein anderes Bild von Stilz’ Rolle. In ihrer Anklageschrift gegen Fitschen und Co. erscheint der Topjurist als eine Art Strategieberater, der der Bank Tipps gibt, wie sie auf die neuesten Züge der Strafverfolger reagieren soll. Dabei muss er seine Ratschläge mehrfach korrigieren, liegt aus ihrer Sicht zuweilen immer noch falsch und irre am Ende in einer zentralen Annahme. Im Hauptgutachten konstatiert Stilz laut Anklage zunächst, Fitschen habe sich nicht strafbar gemacht, der Aufsichtsrat müsse keine Konsequenzen ziehen. Nebenbei prüft er, ob der Co-Vorstandschef verpflichtet sei, etwaige Falschaussagen seiner Kollegen im Zivilprozess zu korrigieren. Im Kern geht es darum, ob die Bank nicht doch an der Zerschlagung von Kirchs Imperium verdienen wollte. Erstes Ergebnis im Januar 2014: nicht nötig. Schon das mutet seltsam an für jemanden, der gerne „fehlende Wahrhaftigkeit“ in der Wirtschaft beklagt.

Wenige Tage später sucht ein hochrangiger Rechtsexperte der Deutschen Bank den Kontakt zur Staatsanwaltschaft. Dort erfährt er, dass die Lage ernster ist als gedacht: Wenn die Bank falsche Angaben nicht korrigiere, würden die Ermittlungen wegen versuchten Prozessbetrugs wohl ausgeweitet; zudem wären Versäumnisse der Aufseher zu prüfen. Mitte Februar präsentiert Stilz ein erstes „Ergänzungsgutachten“. Nun argumentiert er, der „Prozessvortrag“ müsse wohl doch berichtigt werden, sonst drohe der Vorwurf der Täuschung durch Unterlassen. Er halte Fitschens Verhalten zwar weiter für nicht strafbar, aber die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung würde ohne Korrektur steigen: mit Indizien und Wertungen könnte doch etwas gegen ihn „konstruiert“ werden.

Mit einem Vergleich aus dem Schneider?

Drei Tage später, am 17. Februar, legt Stilz seine zweite Folgeexpertise vor. In einem Punkt empfiehlt er nun eindeutig eine Korrektur: Die Bank habe nicht nur überlegt, sondern geplant, an Kirch wegen eines Auftrags heranzutreten. In anderen Punkten könne hingegen eine Berichtigung unterbleiben. Der zentrale Satz folgt laut Anklageschrift am Ende: „Es ist zu erwarten, dass in der Folge eines Vergleichs das Ermittlungsverfahren ... gegen den aktuellen Co-Vorstandsvorsitzenden eingestellt und gegen andere aktuelle Vorstandsmitglieder nicht eröffnet wird.” Drei Tage später schließt die Bank tatsächlich einen 925 Millionen Euro teuren Vergleich mit den Kirch-Erben, um sich den Dauer-Rechtsstreit endlich vom Hals zu schaffen.

Die Stilz zugeschriebene Prognose, dass Fitschen damit aus dem Schneider wäre, erfüllt sich indes nicht: die Ermittlungen laufen weiter, es kommt zur Anklage und zum Prozess. Von der strafrechtlichen Expertise des Ex-Gerichtschefs, der als Aktienrechtler renommiert ist, halten die Staatsanwälte erkennbar wenig: an mehreren Stellen zeigen sie sich verwundert, ja fast belustigt über seine Schlussfolgerungen. Wie er zu dieser oder jener Einsicht komme, sei nicht nachvollziehbar; zum Ergebnis der Beweisaufnahme passe es nicht. Völlig daneben liege Stilz mit der Annahme, eine bereits verwirklichte Straftat ließe sich nachträglich ungeschehen machen.

Stilz: ich war kein Strategieberater

Welche Bedeutung Stilz’ Votum für die Entscheidung zum Vergleich hatte, ließ die Deutsche Bank auf StZ-Anfrage offen. Wollte sich Fitschen auf seinen Rat gleichsam freikaufen von der Verfolgung durch die Justiz? Diesen Verdacht äußerte der Rechtsanwalt Michael Bohndorf, ein Dauerkritiker der Bank, in einem Antrag zur Hauptversammlung. Da der Co-Vorstandschef Ansprüche der Kirch-Seite stets bestritten habe, komme nur dieses Motiv für die Zahlung in Frage – leider zu Lasten der Aktionäre. Auch zu diesem Punkt blieb eine StZ-Anfrage an die Bank unbeantwortet.

Eberhard Stilz musste übrigens nicht mit anhören, wie Kleinaktionäre in Frankfurt von einem „Persilscheingutachten“ sprachen; er kam nicht zur Hauptversammlung. Diesen Vorwurf hatte er schon 2014, als sein Mandat bekannt wurde, klar zurückgewiesen. Vorgaben habe es keine gegeben, der Aufsichtsrat wollte eine „objektive Untersuchung“. Der StZ sagte er damals, er habe sich „in keiner Weise verbiegen“ müssen. Weitere Auskünfte verbiete ihm die Pflicht zur Verschwiegenheit, das bekräftigte er auch jetzt wieder. Auch zu den Vorwürfen der Verteidiger im Münchner Prozess, die das Agieren der Staatsanwaltschaft höchst kritisch sehen, wollte er sich nicht äußern. Ein Strategieberater aber sei er „nicht im Entferntesten“ gewesen. Zwei Dinge sind Stilz besonders wichtig: Er habe nicht die Bank selbst beraten, sondern ihren Aufsichtsrat, gegen den seines Wissens keinerlei Vorwürfe erhoben würden. Gefragt worden sei er allein wegen seiner wirtschaftsrechtlichen Kompetenz. Mit seinem Amt als Chef des Staatsgerichtshofs habe der Auftrag „nichts zu tun“.