Der Sport schreibt die besten Geschichten – heißt es. Hollywood greift gerne darauf zurück. Die meisten Sportfilme handeln vom amerikanischen Traum und erzählen Cinderella-Geschichten. Ein Überblick.
Stuttgat - Am Anfang gab es wegen des Endes einige Diskussionen. Kinobesucher waren entsetzt, als „Million Dollar Baby“ neu ins Kino kam und nach 127 Minuten vorbei war. Ohne Happy End. Sondern mit dem Gegenteil. Es wurde gemutmaßt, ob das deprimierende Finale die Chancen an den Kassen und sogar bei den Oscars schmälern könnte. Tat es nicht.
Die fiktive Geschichte von und mit Clint Eastwood, Hillary Swank und Morgan Freeman über die Boxerin Maggie gewann 2004 vier Oscars in den Kategorien Film, Hauptdarstellerin, Regie, Nebendarsteller und gilt als Meilenstein des Sportfilms. So erfolgreich war bei den Oscars, das Olympia des Kinos, aus der Schweiß-und-Tränen-Branche nur noch „Die Stunde des Siegers“ (Chariots of Fire): Der auf Tatsachen beruhende Film über zwei britische Leichtathleten bei Olympia 1924 mit der oscargekrönten Musik von Vangelis gewann 1982 ebenfalls vier Trophäen, unter anderem die als „Bester Film“. Aber zurück zu „Million Dollar Baby“: „Sports Illustrated“ schrieb: „Eastwoods Geschichte ist so nah an einem Anti-Rocky wie ein Sportfilm nur sein kann.“
Sein Meisterwerk ist die Antithese zum klassischen Sportfilm „Made in Hollywood“. „Million Dollar Baby“ oder „Foxcatcher“ verkaufen keine Inspiration und machen keinen Mut. Sie dokumentieren Scheitern und Abgründe. „Foxcatcher“ von 2014 ist eben kein Epos über die Kraft des Sports, sondern entzaubert den amerikanischen Traum am Beispiel des Millionärs John E. du Pont, der 1970 den erfolgreichen Olympia-Ringer Mark Schultz erschießt. Erfolg? Erfolg macht nicht glücklich!
Rocky und die Cinderella-Story
Sportfilme sind heute glücklicherweise gerne mal etwas komplexer und anspruchsvoller, allerdings trieft leider weiter oft das Pathos von der Leinwand, und es wird im Filmsport wie früher im John-Wayne-Patriotismus-Western das Hohe Lied auf die Nation und den amerikanischen Traum gesungen: Jeder kann Erfolg haben, wenn er hart arbeitet. Wer fällt, aber aufsteht, wird gewinnen. Das „Rocky“-Prinzip, oder wie das Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Idiom in den USA heißt: „From rags to riches“ (Aus Lumpen zu Reichtum).
Der Sport liefert Cinderella-Storys für Hollywood wie ein perpetuum mobile, ohne Ende, er schreibt Skripte am Fließband. Etwa das für „Blind Side“ (2009), den Film über einen armen schwarzen Jungen, der dank Hilfe einer weißen Familie Footballer wird und heute ein Millionär ist. Auch der „Cinderella Man“ (Das Comeback) ist echt. Russel Crowe spielt in dem 2006 für drei Oscars nominierten Film den Boxer Jim Braddock, der während der Großen Depression sein Geld und seine Hoffnung verliert und arbeitslos wird. Aber Braddock kämpft sich zurück und wird 1935 durch einen Sieg über Max Baer sensationell Weltmeister im Schwergewicht und reich. Das ist die Realität, wie Hollywood sie liebt.
Jeder hat die Chance, es im Sport weit zu bringen, unabhängig von Hautfarbe, Elternhaus oder Schulbildung. Die Football-Liga NFL oder die Baseball-Liga MLB oder der Boxring sind keine geschlossenen Systeme, zumindest theoretisch sind sie sozial durchlässiger als der Rest der Gesellschaft. Es bedarf für den Weg nur Mut, Talent und vor allem Willen, sagt Hollywood. In der Realität sind 78 Prozent aller NFL-Profis zwei Jahre nach ihrem Karriereende pleite, ohne Perspektive, körperlich kaputt. Und die allerwenigsten schaffen es überhaupt nach oben, repräsentativer sind die „Cup of Coffee“-Spieler: gescheiterte Sportler, die sich in höheren Ligen so lange halten wie es dauert, eine Tasse Kafffee zu trinken.
Andererseits: wer will auf der Leinwand schauen, was er sehen kann, wenn er im Alltag seine Augen aufmacht? Hollywood verkauft Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen, wie in jenem wunderbar kitschigen und für vier Oscars nominierten fiktiven Baseball-Film „Der Unbeugsame“ („The Natural“/1984) mit Robert Redford. Sean Bailey von Disney, einem großen Produzenten von Sportfilmen, sagt dazu: „Themen wie Inspiration und Mut sind wichtig für uns. Für Disney ist es sinnvoll, Filme mit unseren Themen im Zentrum herauszubringen.“
Einer der großen Sportfilme in den USA ist „Der große Wurf“ (im Original: „The Pride of the Yankees“) von 1942. Es ist die Biografie des legendären Baseballspielers Lou Gehrig (Gary Cooper). Eine bewegende Geschichte über einen Mann aus bescheidenen Verhältnissen, der Baseballstar wird und dann an der Nervenkrankheit ALS erkrankt, auch Lou-Gehrig-Syndrom genannt. Großes Gefühlskino.
Boxen geht eigentlich immer
Nirgends sonst werden die Studios auf der Suche nach Stoff aber so oft fündig wie im Ring: Boxen ist – ähnlich wie der Motorsport mit Filmen wie „Grand Prix“ (1966/drei Oscars) – ein Sport gewordenes Drehbuch. Die Branche ist reich an brüchigen Biografien samt Happy End – und Kampfszenen lassen im Film authentisch nachstellen; anders als im Fußball oder Basketball – Ausnahmen wären „Hoosiers“ mit Gene Hackman von 1986, „Weiße Jungs bringen’s nicht“ oder „He Got Game“ (1998) von Spike Lee mit Denzel Washington und Ray Allen, heute mit 39 Jahren eine NBA-Legende, in den Hauptrollen. Entsprechend viele hochwertige Box- und Kampfsportfilme gibt es: von „The Wrestler“ (2008/Golden Globe für Mickey Rourke) über „Wie ein wilder Stier“ oder den großartigen „The Fighter“ (2010) über den Box-Weltmeister Micky Ward mit Mark Wahlberg und einem brillanten Christian Bale (Oscar als bester Nebendarsteller).
Die kritische Reflexion des modernen Circus Maximus Sport ist selten ein Thema. Eine Ausnahme ist „An jedem verdammten Sonntag“ mit Al Pacino. Verletzungen. Korruption. Rassismus. Doping. So wie Regisseur Oliver Stone in vielen anderen Filmen brachial Amerika entzauberte und Kontroversen auslöste, so respektlos ging er auch mit dem sportlichen US-Heiligtum um. Die NFL, sonst stets offen für Hollywood, verweigerte die Zusammenarbeit. „Any Given Sunday“ (Originaltitel) spielte aber 100 Millionen Dollar ein.
Sportfilme sind selten Blockbuster. Reale Spielszenen sind unschlagbar, Football und Co. werden heute bereits im Fernsehen hollywoodreif inszeniert, die klassische Zielgruppe, junge bis mittelalte Männer, liebt die neuen Medien. Und so weiter. Die Studios setzen deshalb immer stärker auf Emotionen, weniger auf Sport. Bei „Blind Side“ ging der Plan auf: Mit 300 Millionen Dollar Umsatz ist er der erfolgreichste Sportfilm aller Zeiten. Die meisten Filme interessieren aber, wenn überhaupt, national – wie andersrum das „Das Wunder von Bern“ allein deutsche Emotionen bediente. Das Biopic „42“ über Jackie Robinson, den ersten Schwarzen in der Major League Baseball, zum Beispiel war 2013 mit 95 Millionen Dollar Umsatz (20 Millionen mehr als der tolle Baseball-Film „Moneyball“ mit Brad Pitt) in den USA ein Blockbuster. In Europa ging das recht ordentliche Stück Sportgeschichte an den Kassen leer aus.
Das Problem mit der globalen Vermarktung
Im Schnitt verdienen die Studios ein Drittel des Geldes in Nordamerika, zwei Drittel außerhalb – bei Sportfilmen generiert der heimische Markt mindestens zwei Drittel (oder alles). Das pathetische Werk „Sie waren Helden“ (We are Marshall) erzählt die wahre Geschichte der Marshall-Universität, die nach dem Verlust ihres Football-Teams bei einen Flugzeugabsturz 1970 ein neues aufbaut. Der Film mit Matthew McConaughey von 2006 spielte in den USA 45 Millionen Dollar ein, im Rest der Welt ging es direkt auf DVD. Er kostete 65 Millionen Dollar. Das Problem der globalen Vermarktung hat Folgen, weil die Studios angesichts von Misserfolgen wie „Sie waren Helden“ oder auch „Draft Day“ von 2014 mit Sportfilmdauergast Kevin Costner vorsichtig sind: „Sportfilme sind schwierig, weil es schwer ist, mit ihnen zu reisen“, heißt es bei Imagine Entertainment („Cinderella Man“, „Rush“).
Fußball ist filmisch ja eine Randsportart. Es gibt ein paar wie „Fever Pitch“, „Flucht oder Sieg“ oder „Kick it like Beckham“ mit Keira Knightley. Recht gut ist der hierzulande fast unbekannte „The Damned United – Der ewige Gegner“ aus dem Jahr 2009 über den exzentrischen Trainer Brian Clough (stark: Michael Sheen) und seine nur 44 Tage lange Amtszeit bei Leeds United. Der Film endet ohne Happy End. Im wahren Leben führt Clough später Nottingham Forrest 1979 und 1980 zum Sieg im Europapokal der Landesmeister. Der Sport schreibt eben die schönsten Geschichten.