Immer dreister treten die Holocaust-Leugner im Internet auf. Der Comic „Wir sind bald wieder zu Hause“ stellt dem die Erfahrungsberichte von Überlebenden entgegen: ein Meisterstück.

Stuttgart - Muss man wirklich noch mal die Geschichte von Holocaust-Überlebenden erzählen? Auch noch als Comic? Droht da nicht Peinlichkeitsgefahr? Und Pädagogiküberschuss? Die Fragen darf man stellen. Die eine davon beantwortet sich beim Blick ins Internet, manchmal beim Ohrenspitzen in der Straßenbahn. Geschichtsvergessene Vollidioten, gemeingefährliche Neonazis, profilneurotische Tatsachenverdreher und rabiate Antisemiten versuchen mal leise, mal laut, den industriellen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas in Zweifel zu ziehen. Man muss gegenhalten. Die zweite Angst, dass auch ein gut gemeinter Comic peinlich werden kann, ist natürlich völlig berechtigt. Aber die Neuerscheinung „Bald sind wir wieder zu Hause“ zeigt, dass auch das Gegenteil gut möglich ist: Dies ist erstens eine erschütternde Sammlung Erinnerungen, zweitens ein großartiger Comic, und drittens eine Geschichtslektion, die junge Leser vielleicht direkter erreicht als ein Text aus dem Schulbuch.

 

Die dreisten Neonazis wachsen nach, die Zeitzeugen des Holocaust sterben weg. Das ist ein großes Problem. Noch aber gehen ein paar hochbetagte Menschen, die als Kinder Gettos, KZs und Todesmärsche überlebten, zum Beispiel in Schulen, um jungen Leuten die Wahrheit zu erzählen. Die Schwedin Jessica Bab Bonde hat einige dieser Zeitzeugenberichte in ihrem Band „Bald sind wir wieder zuhause“ gebündelt, Peter Bergting hat die Bilder dazu geliefert.

Atemberaubende Bilder

Tobias, Livia, Selma, Susanna, Emerich, Elisabeth: Sie alle haben nach dem Krieg in Schweden Zuflucht gefunden. Sie alle haben große Teile ihrer Familie in den Vernichtungslagern der Nazis verloren oder schon bei den Schikanen vorab: Mussten mit ansehen, wie Eltern und Geschwister verhungerten oder erlebten an der Selektionsrampe von Auschwitz, wie sie auf die eine Seite, Mutter und Geschwister auf die andere Seite gewiesen wurden. Der eine Weg führte ins Elend der Arbeitslagerbarracken, der andere direkt ins Gas.

Es ist die subjektive Perspektive, die das Ganze so fassbar macht: das Millionenverbrechen, das sich in abstrakte Horrorzahlen aufzulösen droht, wird wieder auf die Einzelerfahrung heruntergebrochen. Und der Zeichner Peter Bergting findet atemberaubende Bilder dafür. Comic abstrahiert und verfremdet, verzerrt und verschiebt, lässt uns Bekanntes neu sehen. Bergting beherrscht diese Kunst vollkommen, mischt kindliche Naivität mit dem Albtraum wandelnder Skelette, kontrastiert Idylle und Tristesse, ist nie zu naturalistisch und nie zu verspielt. „Ein beeindruckendes Plädoyer gegen das Vergessen“, wirbt der Ludwigsburger Cross-Cult-Verlag für die deutsche Ausgabe, und das ist schnell mal eine hohle Phrase. Hier aber ist es nichts als die Wahrheit.

Jessica Bob Bonde und Peter Bergting: Bald sind wir wieder zu Hause“. Comic. Deutsch von Monja Reichert. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg. 98 Seiten, 20 Euro. Als E-Book 9,99 Euro. Hier geht es zur Leseprobe beim Verlag.