Beim Holocaust-Gedenkgottesdienst berichtet die Überlebende Ruth Michel-Rosenstock von ihrem Schicksal im NS-Terror.

Stuttgart - Ruth Michel-Rosenstock ist 92 Jahre alt. Bis heute geht sie in Schulen, um jungen Menschen von den unvorstellbaren Gräueln der Nationalsozialisten zu berichten und die Erinnerung an die sechs Millionen Opfer der Shoah wachzuhalten. „Ich will den Toten eine Stimme geben“, sagte Ruth Michel-Rosenstock beim Gedenkgottesdienst, den die Internationale Christliche Botschaft Jerusalem (ICEJ) am Internationalen Holocaust-Gedenktag im Weißen Saal des Neuen Schlosses beging und online ausstrahlte.

 

Vor 25 Jahren hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar, den Tag der Befreiung von Auschwitz im Jahr 1945 durch die Rote Armee, zum internationalen Gedenktag erklärt. „Erinnerung hat kein Verfallsdatum“, betonte Gottfried Bühler, Erster Vorsitzender der ICEJ Deutschland, die vor der Synagoge in Stuttgart einen Kranz niederlegte. Eine Lichtinstallation in Form eines Davidsterns am Holocaust-Mahnmal ließ in der Innenstadt Passanten im Gedenken innehalten. Fassungslos, so Bühler, frage man sich, wie so etwas Teuflisches geschehen konnte. Aber der Judenhass sei nicht erst 1933 erwacht, schon vor 1900 Jahren habe sich der christliche Glaube aus der Verankerung der jüdischen Wurzeln gelöst und damit den Antisemitismus salonfähig gemacht.

Der elfjährige Florian Brämer spricht beim Gottesdienst

Es sind die sehr persönlichen Geschichten, die bei diesem Gedenkgottesdienst bewegten. Das IRGW-Vorstandsmitglied Michael Kashi, geboren 1948 in Israel, erzählte davon, dass er als Kind umgeben gewesen sei von den Shoah-Überlebenden und nichts mehr hören wollte von deren grauenvollen Erlebnissen. Den Auftrag eines Mannes, sich zu erinnern und zu berichten, habe er erst verstanden, als er nach Deutschland gekommen und auf einen Holocaust-Leugner getroffen sei: „Ich werde nie aufhören, an die Ermordeten zu erinnern“, sagte Kashi.

Ein Shalom aus Israel schickte Shaya Ben Yehuda, Direktor für Internationale Beziehungen an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, der eine starke Partnerschaft mit den christlichen Freunden für eine bessere Zukunft beschwor. Hoffnung auf diese Zukunft machte der erst elfjährige Florian Brämer, dem, wie er selbst sagte, die Liebe zu Israel in die Wiege gelegt worden sei und der das jüdische Volk um Vergebung bat.

Den Vater das letzte Mal 1941 gesehen

Die Toten, von denen die Zeitzeugin Ruth Michel-Rosenstock sprach, liegen in einem Massengrab im Wald, damals Polen, heute Ukraine. 205 Männer, Frauen, Kinder und Greise. Einer davon ist ihr jüdischer Vater, den sie am 9. Dezember 1941 zum letzten Mal gesehen hat und der am 12. Dezember 1941 von der Gestapo und deren ukrainischen Helfern ermordet wurde.

Sie hat das Grab gefunden, eine Gedenktafel angebracht und will für eine Gedenkfeier zum 80. Jahrestag sogar eine Straße durch den Wald zum Grab anlegen lassen. „Ich bin es Gott schuldig zu erzählen“, sagte sie. Die Anwesenden zollten dieser eindrucksvollen und willensstarken Frau stehend Respekt und Bewunderung.