Eigentlich sollte das Holocaust-Gesetz Polens Image aufpolieren, stattdessen brachte es das Land in Verruf. Gesetzesgegner erheben schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Trotzdem tritt die umstrittene Vorschrift nun in Kraft.

Warschau/Tel Aviv/Kiew - Ausgerechnet mit einem Gesetz zum Schutz seines guten Namens hat sich Polens Regierung selbst an den Pranger gestellt. Das umstrittene Holocaust-Gesetz beschert Warschau eine seit Wochen anhaltende internationale Krise. Trotzdem tritt die Regelung am 1. März offiziell in Kraft. Das Warschauer Verfassungsgericht soll die neue Strafvorschrift allerdings noch prüfen. Sie sieht Geld- und sogar Haftstrafen für diejenigen vor, die dem polnischen Staat oder Volk entgegen den Fakten die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen des Nazi-Regimes zuschreiben.

 

Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gibt an, sie wolle damit vor allem die oft nachlässig verwendete, historisch falsche Bezeichnung „polnische Todeslager“ unterbinden. Ein schwerwiegender Fehler, der 2012 selbst dem US-Präsidenten Barack Obama unterlief. Statt Image-Schutz handelten sich die Nationalkonservativen aber folgenschwere Schäden ein: Das Gesetz entfachte eine kontroverse Diskussion und brachte dem historisch falschen Begriff wohl nie dagewesene Aufmerksamkeit. Denn Gesetzesgegner im In- und Ausland erheben schwere Vorwürfe gegen Warschaus Regierung:

Empörung in Israel

Israel: Das Land wertet das Gesetz als Versuch, die polnische Vergangenheit „weißzuwaschen“ und Übergriffe von Polen auf Juden während der deutschen Besatzung und in der Nachkriegszeit auszublenden. Aus Protest gegen das Gesetz demonstrierten Holocaust-Überlebende vor der polnischen Botschaft in Tel Aviv.

Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem warnte, das Gesetz könnte die historische Wahrheit vertuschen, „dass die Deutschen während des Holocaust Unterstützung von der polnischen Bevölkerung erhielten“. Die Einrichtung pflichtete Polen bei, dass der Begriff „polnische Todeslager“ eine Verfälschung der Geschichte sei. „Die Vernichtungslager wurden im besetzten Polen von Nazideutschland errichtet, mit dem Ziel, die Juden im Rahmen der „Endlösung“ zu ermorden.“

Die Äußerung des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki über angebliche „jüdische Täter“ im Holocaust verschärfte die Krise zusätzlich. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nannte dies „empörend“. „Hier haben wir ein Problem der Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen, sowie fehlendes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes.“

Auch israelische Historiker lehnen Vergleiche zwischen polnischen und jüdischen Kollaborateuren ab. Professor Dina Porat, Chefhistorikerin von Yad Vashem, nennt den Vergleich „unverschämt“. Die Juden seien damals anders als die Polen ständig kollektiv von der Vernichtung bedroht gewesen. „Die Polen lebten unter deutscher Besatzung, das war auch schlimm, aber nicht dasselbe.“

Ein großer Teil der polnischen Bevölkerung habe aus freien Stücken „gegen Juden gehetzt, ihren Besitz geraubt und sie auch ermordet“. Juden seien dagegen nur vereinzelt Kapos, jüdische Polizisten und Judenrat-Mitglieder gewesen. Darunter habe es auch solche gegeben, die lieber Selbstmord begangen hätten, als andere den Deutschen auszuliefern. „Polnische Kollaborateure haben die Initiative ergriffen, Juden haben immer reagiert“, sagt Porat.

Juden in Polen fühlen sich nicht sicher

Polen: Eine Einflussnahme der Regierenden auf die Geschichtsdebatte fürchten auch Juden in Polen. „Uns bedroht nicht die Vergangenheit, sondern der Widerwille, sich ehrlich mit ihr auseinanderzusetzen“, schreiben mehr als 20 jüdische Organisationen in Polen in einem offenen Brief. Schäden habe das Gesetz bereits vor Inkrafttreten angerichtet, bemängeln sie und verweisen auf eine Antisemitismuswelle in rechten Medien und sozialen Netzwerken. „Polnische Juden fühlen sich heute in Polen nicht sicher“, sagen die Juden in Polen und fordern die Regierenden zum Eingreifen auf. Aus den bisher verbalen Attacken dürften keine tätlichen Übergriffen werden.

Polnische Historiker warnen, die Warschauer Regierenden könnten das Gesetz künftig in ihrem Sinne auslegen. Es sei ein Mittel, um die offizielle Geschichtspolitik „ideologisch zu manipulieren“, sagen Wissenschaftler der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). Die historische Wahrheit dürfe nicht von oben verordnet werden. Äußerungen polnischer Politiker nähren das Misstrauen der Holocaust-Forscher. So sagte etwa Justizminister Zbigniew Ziobro in einem Interview der Agentur PAP, Polen hätten nur vereinzelt Straftaten gegen Juden begangen, in großem Maße hätten sie dagegen Juden unterstützt.

Warschau müht sich angesichts der anhaltenden Krise - von der es offensichtlich überrascht wurde - um Deeskalation: „Es sollen weder Fakten vertuscht noch Erfahrungen von Zeitzeugen abgestritten werden“, beschwichtigte Ziobro und betonte, Kunst und Wissenschaft seien von dem Gesetz ausgenommen. Inzwischen stellte die Regierung Kompromisse in Aussicht: Das Gesetz soll erst nach seiner Prüfung durch das Verfassungsgericht, die in rund zwei Monaten erfolgen soll, angewendet werden, wie es heißt. Sollte das Gericht dann Änderungen fordern, werde ein israelisch-polnisches Team daran arbeiten.

Kritik aus der Ukraine

Ukraine: Ärger handelte sich Polen aber auch mit der Ukraine ein. Denn ein Passus des Holocaust-Gesetzes stellt positive Äußerungen über die Taten ukrainischer Nationalisten in den Jahren 1925-1950 unter Strafe. Warschau definiert die unter der deutschen Besatzung 1943 erfolgten ethnischen Säuberungen im heutigen westukrainischen Wolhynien als Genozid am polnischen Volk. In der Ukraine gelten die Nationalisten dagegen als Kämpfer für die Unabhängigkeit - vor allem von der Sowjetunion. Kiew hatte schon 2015 jede Kritik an den Handlungen ukrainischer Nationalisten insbesondere in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg unter Strafe gestellt.

Durch das neue polnische Gesetz seien die Beziehungen beider Länder in die dritte Kelleretage gerutscht, empörte sich Wladimir Wjatrowitsch, Chef des ukrainischen Instituts für nationales Gedächtnis. Organisationen der ukrainischen Diaspora warnen in Folge des Gesetzes vor einer möglichen Diskriminierung der rund anderthalb Millionen in Polen lebenden Ukrainer.

Zurückhaltung in Deutschland

Deutschland: Deutschland hielt sich bisher im polnisch-israelischen Streit über den Umgang mit dem Holocaust mit Kritik zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, man wolle sich in die Gesetzgebung der Nachbarn nicht direkt einmischen, verwies aber auf die historische Schuld Deutschlands. „Wir sind verantwortlich als Deutsche für die Dinge, die während des Holocaust, der Shoah, im Nationalsozialismus passiert sind“, sagte sie. Diese Verantwortung dauere an, und jede Bundesregierung werde ihr gerecht werden.