Harry Wrightson würde nicht mehr leben, hätte seine Mutter den damals Siebenjährigen nicht nach der Pogromnacht im November 1938 in einen Zug nach England gesetzt. Der 92-Jährige erzählt, wie die Nazis seine Familie für immer zerstörten.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Er war ein stolzer großer Bruder, obwohl er selbst noch ein kleines Kind war. Ein Bild hält das fest. Darauf steht Harry Wrightson in kurzen Lederhosen und weißem Hemd. Er schaut in die Kamera. Vor ihm sitzt seine kleine Schwester in einem Kinderwagen. Kaum ein Jahr ist sie alt. Die Aufnahme ist undatiert, entstanden ist sie irgendwo auf der Straße. Vielleicht ja bei einem Sonntagsspaziergang in Stuttgart. „Ich habe Frida sehr gemocht“, sagt Harry Wrightson, wenn er sich an seine drei Jahre jüngere Schwester erinnert. „Sie hatte die gleichen roten Haare wie meine Mutter.“ Seine Stimme stockt. Wenn er von seiner Schwester und seiner Mutter Chana Schlüsselberg erzählt, spricht er von Menschen, die er im November 1938 zum letzten Mal gesehen hat. Ob er sich von seiner kleinen Schwester verabschiedet habe? Vermutlich. Aber erinnern kann er sich nicht. In seinem Stuttgarter Leben war Harry Wrightson ein Junge namens Heinrich Schlüsselberg. Die Schlüsselbergs sind eine jüdischeFamilie.