Garry Fabian ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen des nationalsozialistischen Terrorregimes. Aus Australien angereist ist er, um an der Gedenkveranstaltung für die Deportation jüdischer Menschen von Stuttgart nach Theresienstadt teilzunehmen.

Es gibt viel Applaus, als Garry (Gerhard) Fabian in Begleitung seiner beiden Töchter den Kleinen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses betritt. Und dann ist es plötzlich still, sehr still. Garry Fabian wirkt jugendlich und gelassen. Und diese Gelassenheit verliert er auch nicht, als er beim Empfang im Rathaus über seine Zeit im Nationalsozialismus und seine aktuelle Mission in Stuttgart berichtet: „Die Überlebenden haben die Pflicht, an das Vergangene zu erinnern, damit so etwas nie, nie wieder passiert, und um den sechs Millionen Toten, die nicht mehr sprechen können, eine Stimme zu geben“, stellt er fest.

 

Eines der wenigen Kinder, die das KZ überlebten

Gerhard Fabian, der 1934 als Sohn jüdischer Eltern in Stuttgart geboren wurde, ist nicht von Stuttgart aus ins Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert worden. Die Familie war in die frühere Tschechoslowakei geflüchtet, glaubte sich dort in Sicherheit. Ein Irrglaube: Nachdem die deutschen Truppen das Sudetenland besetzt hatten, wurden der acht Jahre alte Gerhard und seine Familie ebenfalls ins Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert. Er war eines der wenigen Kinder, die das KZ überlebt haben. Auch seine Eltern haben das Konzentrationslager überlebt – nicht aber seine Tante und die Großmutter. Nach der Befreiung des Lagers 1945 war für Gerhards Eltern klar, dass sie nicht in Deutschland und auch nicht in Europa bleiben konnten und wollten. „Wir hatten Verwandte in Australien. Da lag es auf der Hand, dass wir dorthin auswandern“, sagt der 88-Jährige. Mit 18 erhielt er die australische Staatsbürgerschaft und nahm den Vornamen Garry an.

Garry Fabian berichtet jungen Menschen vom Schrecken des NS

Erstmals wieder in Deutschland war Garry Fabian 1978. „Ich kam damals als australischer Reisender in ein mir fremdes Land“, erinnert er sich. Weitere geschäftliche Reisen folgten: „Die ersten zwei bis drei Male habe ich mich, wenn ich einzelnen Menschen getroffen habe, immer gefragt: ‚Was hast Du im Nationalsozialismus gemacht’.“ Das sei jetzt vorbei, sagt Fabian. Man könne die nachfolgenden Generationen nicht für die Sünden der Vorfahren verantwortlich machen. Aber man kann sie daran erinnern. Und das macht Garry Fabian, in dem er jungen Menschen, Schülern und Studenten, von dem Schrecken des Nationalsozialismus und dem KZ berichtet, wo er als Kind unvorstellbares Grauen erlebt hat. Aber er hebt auch die Chancen der Versöhnung und des Handreichens hervor. Das macht er auch in seinem Buch „Blick zurück – wie ein Stuttgarter Junge das KZ Theresienstadt überlebt hat“. Fabians Credo: Die Nachgeborenen können nicht für die Schuld der Vorfahren verantwortlich gemacht werden. Aber passieren darf das nie wieder.

Nach vielen Besuchen in Stuttgart hat Garry Fabian längst Frieden mit seiner ursprünglichen Heimat geschlossen: „Es hat lang gedauert, aber es wurde immer besser. Und jetzt fühle ich mich in Stuttgart wieder zu Hause und hatte auch jetzt das Gefühl, nach Hause zu kommen“, sagt er und spricht es voller Überzeugung.

Fabian hat sowohl das Bundesverdienstkreuz am Bande wie die Staufermedaille in Gold erhalten. „Für mich eine große Ehre, aber ich seh’ es auch mit ein wenig Ironie, da ich ja nur ein kleiner Junge war.“ Die Vertreterin der Stadt, Isabel Fezer (FDP), Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, sieht es anders: „Das sind Auszeichnungen auch dafür, dass ein Mensch, dem so viel Leid widerfahren ist, so großherzig sein kann.“ Sie betonte, wie wichtig und welche Ehre der Besuch Fabians für Stuttgart sei. „Für uns als Land der Täter hat es einen unglaublichen Wert, dass eines der wenigen Opfer, die überlebt haben, die Kraft findet, über das Entsetzliche, das Unaussprechliche zu sprechen.“ Fezer betont: „Es kann wieder passieren, deshalb ist das Erinnern so wichtig.“

Gedenken an die Deportation der Menschen von Stuttgart nach Theresienstadt

Andreas Keller von der Initiative Zeichen der Erinnerung, die Garry Fabian zur Gedenkfeier an die dritte große Deportation jüdische Menschen von Stuttgart nach Theresienstadt am 22. August 1942 eingeladen hat, erinnert an diesen Tag. „Aus 58 Ortschaften in Württemberg wurden 1100 Jüdinnen und Juden im Sammellager auf dem Killesberg eingesperrt und dann vom Inneren Nordbahnhof nach Theresienstadt deportiert.

Zu den Menschen, die genau an diesem Tag nach Theresienstadt deportiert worden sind, gehörte auch Inge Auerbach. Bekannt ist sie durch ihre bewegende Rede Ende vergangen Januar im Bundestag geworden. Mit ihrer Puppe Marlene und ihren Eltern kam die Siebenjährige am Killesberg an: in einer Halle ohne Betten. Menschen schrien vor Angst. Nur 48 haben überlebt – auch Inge Auerbach und ihre Eltern. Die Familie ist nach New York gezogen. Gerne wäre sie zu dem Gedenktag angereist. Gesundheitliche Probleme verhindern das.

Das Gedenken an die dritte große Deportation jüdischer Menschen von Stuttgart nach Theresienstadt ist am Zeichen der Erinnerung , Otto-Umfridstraße , am Sonntag, 21. August, 16 Uhr. 25 Organisationen sind daran beteiligt. .