Zurück zur Natur. Das Große Lautertal verblüfft mich immer wieder, es ist keine vierzig Kilometer lang, aber eine Welt für sich. Dieses kleine Tal bietet viele Einblicke in die deutsche Geschichte. In Grafeneck, wo der württembergische Herzog Carl Eugen sein Lustschloss mitsamt Oper hoch über der Lauter erbaut hat, da haben die Nationalsozialisten mit der Vernichtung „unwerten Lebens“ begonnen. Von hier aus nahm das Morden in Deutschland seinen Ausgang, mehr als 10 000 behinderte Menschen sind hier umgebracht worden. In Buttenhausen wiederum gibt es auf der einen Seite des Tals einen christlichen Friedhof, auf der anderen Seite hoch über dem Tal einen alten jüdischen. Die Nazis haben ihn übersehen, er ist ein Denkmal für ein gedeihliches Zusammenleben von Christen und Juden auf der Alb über Jahrhunderte hinweg.

 

Wem dies noch nicht Geschichte genug ist, der kann ebenfalls in Buttenhausen das Erzberger-Museum besichtigen. Matthias Erzberger hatte den Mut, den Waffenstillstand von Compiègne im November 1918 zu unterschreiben, die Militärs waren zu feige für diesen Akt, der den Ersten Weltkrieg beendet hat. Später wurden diese Politiker, die die Wahrheit anerkennen wollten, als „Novemberverbrecher“ verunglimpft und verfolgt. Der Reichsfinanzminister Erzberger, der aus Buttenhausen stammt, wurde 1921 von Rechtsterroristen ermordet.

Ideenreich, erfolgreiche Menschen

Fahren wir weiter. In Münsingen, in Offenhausen, in Dapfen, in Niedergundelfingen zeigen die Wirte, wie man heute im Biosphärengebiet Schwäbische Alb regionale Küche hervorragend zubereiten kann. Eindrucksvoll auch ein Besuch bei den Mönchen im Kloster Neresheim auf der Ostalb. Der langjährige Abt Norbert ist eine Institution in dieser Region. Wenn Gäste aus China die Firma Voith in Heidenheim besuchen, dann wollen sie auch ein ,,lebendiges Kloster“ besuchen und mit den Geistlichen sprechen, so wie wir in Asien buddhistische Klöster besuchen.

Und natürlich die Hohenzollern auf der Alb! Der eine Zweig der Familie ist über Nürnberg nach Berlin gekommen, dort sind sie deutsche Kaiser geworden. Der andere, der katholische Zweig ist auf der Alb geblieben; er hat das bessere Schicksal erlebt, denn die Familie hat nichts verloren, und der Fürst vermehrte geschickt das Vermögen. Schließlich gilt es das Schloss Hechingen mit seinen fast 500 Zimmern zu unterhalten. Der Fürst spielt Saxofon in der Band Charly and the Jivemates. Karl Friedrich und seine Frau, die Fürstin Katharina, wollen mit neuen Ideen das Schloss beleben, das immer im Schatten der mächtigen Burg Hohenzollern stand. Kein verstaubtes altes Geschlecht, sondern ideenreiche, erfolgreiche Menschen mitten im Leben. Eben von der Alb, auf der Alb!

Mögen alle anderen in den Süden fliegen, sich im Sommer am Strand sonnen: Ich bin zu jeder Jahreszeit auf der Alb, in den Wäldern, in den Thermen, auf den Wiesen, in den Höhlen, in den Dörfern und in den Städten – nicht zu vergessen in den wunderbaren Gasthäusern. Kein anderes Mittelgebirge in Europa bietet eine solche Vielfalt wie die Schwäbische Alb. Ihre Gütesiegel sind drei Unesco-Prädikate: sie ist Unesco-Geopark, sie ist ausgewiesenes Unesco-Biosphärengebiet, und der Limes zählt zum Unesco-Weltkulturerbe.

Mich stören die zähklebrigen Klischees. Die gehen so: die Alb ist karg, die Alb ist rau, die Alb ist kalt. Die Älbler sind eigen, soll heißen: sie sind von gestern. Auf Deutsch: sie ticken nicht ganz richtig. Alle diese Klischees sind leider tausendmal aufgeschrieben und von Generation zu Generation weitergegeben worden. So lange, bis viele Bewohner der Alb selbst wie auch viele Besucher diese Klischees geglaubt haben. Solche negativen Beschreibungen haben sich festgefressen, obwohl sie mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun haben.

Denn jeder, der sich wie ich auf den Weg über die Alb aufmacht, erlebt wunderschöne Landschaften und Menschen, die sich im Herzen einprägen. Die Alb öffnet sich dem Fremden so selbstverständlich, dass er immer wieder hierherkommt und sein Blick immer weiter wird.

Unglaublich abwechslungsreich

Die Alb ist unglaublich abwechslungsreich. Sie bietet ja nicht nur dem klassischen Wanderer herrliche Wege, Klöster, Burgen, Schlösser. Genauso sind Kletterer begeistert, Höhlenforscher, Downhillbiker, Paddler, Snowkiter, Paraglider, E-Biker, Ski- und Schlittenfahrer, Langläufer, Segelflieger, Motorradfahrer. Ja, man kann auch ganz einfach mit dem normalen Fahrrad die Alb erkunden! Natürlich gibt es ein ewiges Ringen zwischen den Naturschützern und den Menschen, die Herausforderungen suchen. Aber auf der Alb ist ein Gleichgewicht gefunden worden. Man hat Frieden miteinander geschlossen.

Aber die Alb bietet auch Kulturfreunden viel. So hat sich das Theater Lindenhof mit seiner Qualität und seiner Originalität auf Dauer einen bundesweiten Ruf erspielt.

Niemand muss, jeder kann sich beschäftigen. Aber wer mal nichts tun will, gerade den empfängt die Alb mit offenen Armen. Sie ist für Junge da, für Alte, für Familien, für Menschen, die Einsamkeit und Ruhe suchen. Für jeden hält sie eigene Reize bereit. Etwa in den Uracher Thermen, wenn man im heißen Außenbecken sitzt, auf die Burgruine hinaufschaut und vor sich hin träumt. Und das zu jeder Jahreszeit!

Das Weltstädtle und die Alb ergänzen sich

Das Leben in den Städten erfordert zum Ausgleich geradezu eine solche Region, in der sich jeder selbst erleben kann, in der jeder lernen kann, seine eigenen Grenzen zu erkennen und auch zu überwinden. Das sind keine Verrückten, die da auf der Alb herumtoben, sondern Menschen, die ihren Büroalltag hinter sich lassen wollen. Je intensiver Menschen arbeiten, je geregelter der Alltag der meisten Menschen hierzulande ist, desto mehr sind die Menschen darauf angewiesen, sich selbst in der Freizeit zu spüren, zu erleben und wieder zu sich selbst zu kommen. Deshalb ergänzen sich Weltstädtle und Alb so gut.

Zu den größten Spektakeln zählen die Flugtage auf der Hahnweide bei Kirchheim/Teck. Dort treffen sich Flieger aus der ganzen Welt, aus Jordanien, Kanada, Russland oder den USA. Und eben in diesem Kirchheim hat Klaus Lenhart sein Unternehmen Leki zu einem „hidden Champion“ aufgebaut, zu einem Weltmarktführer bei Skistöcken.

Lenhart hat früh mit dem Flugsport angefangen. Natürlich benutzte der clevere Unternehmer sein Hobby auch als Werbung für seine Produkte: Knallgelb prangte der Leki-Schriftzug auf seiner einmotorigen Maschine. Nie werde ich das Gespräch mit ihm vergessen, einem eindrucksvollen Mann ohne Übermut, aber mit Wagemut, einem Menschen, der gelernt hatte, Risiken abzuschätzen. Lenhart war ein Tüftler und Denker, ein charismatischer Visionär. Kurze Zeit nach unserem Gespräch ist er tödlich abgestürzt; er saß bei dem Unfall nicht selbst am Steuerknüppel. Wir wollten noch vieles zusammen machen. Mein Buch setzt ihm ein kleines Denkmal.

Zurück zur Natur

Zurück zur Natur. Das Große Lautertal verblüfft mich immer wieder, es ist keine vierzig Kilometer lang, aber eine Welt für sich. Dieses kleine Tal bietet viele Einblicke in die deutsche Geschichte. In Grafeneck, wo der württembergische Herzog Carl Eugen sein Lustschloss mitsamt Oper hoch über der Lauter erbaut hat, da haben die Nationalsozialisten mit der Vernichtung „unwerten Lebens“ begonnen. Von hier aus nahm das Morden in Deutschland seinen Ausgang, mehr als 10 000 behinderte Menschen sind hier umgebracht worden. In Buttenhausen wiederum gibt es auf der einen Seite des Tals einen christlichen Friedhof, auf der anderen Seite hoch über dem Tal einen alten jüdischen. Die Nazis haben ihn übersehen, er ist ein Denkmal für ein gedeihliches Zusammenleben von Christen und Juden auf der Alb über Jahrhunderte hinweg.

Wem dies noch nicht Geschichte genug ist, der kann ebenfalls in Buttenhausen das Erzberger-Museum besichtigen. Matthias Erzberger hatte den Mut, den Waffenstillstand von Compiègne im November 1918 zu unterschreiben, die Militärs waren zu feige für diesen Akt, der den Ersten Weltkrieg beendet hat. Später wurden diese Politiker, die die Wahrheit anerkennen wollten, als „Novemberverbrecher“ verunglimpft und verfolgt. Der Reichsfinanzminister Erzberger, der aus Buttenhausen stammt, wurde 1921 von Rechtsterroristen ermordet.

Ideenreich, erfolgreiche Menschen

Fahren wir weiter. In Münsingen, in Offenhausen, in Dapfen, in Niedergundelfingen zeigen die Wirte, wie man heute im Biosphärengebiet Schwäbische Alb regionale Küche hervorragend zubereiten kann. Eindrucksvoll auch ein Besuch bei den Mönchen im Kloster Neresheim auf der Ostalb. Der langjährige Abt Norbert ist eine Institution in dieser Region. Wenn Gäste aus China die Firma Voith in Heidenheim besuchen, dann wollen sie auch ein ,,lebendiges Kloster“ besuchen und mit den Geistlichen sprechen, so wie wir in Asien buddhistische Klöster besuchen.

Und natürlich die Hohenzollern auf der Alb! Der eine Zweig der Familie ist über Nürnberg nach Berlin gekommen, dort sind sie deutsche Kaiser geworden. Der andere, der katholische Zweig ist auf der Alb geblieben; er hat das bessere Schicksal erlebt, denn die Familie hat nichts verloren, und der Fürst vermehrte geschickt das Vermögen. Schließlich gilt es das Schloss Hechingen mit seinen fast 500 Zimmern zu unterhalten. Der Fürst spielt Saxofon in der Band Charly and the Jivemates. Karl Friedrich und seine Frau, die Fürstin Katharina, wollen mit neuen Ideen das Schloss beleben, das immer im Schatten der mächtigen Burg Hohenzollern stand. Kein verstaubtes altes Geschlecht, sondern ideenreiche, erfolgreiche Menschen mitten im Leben. Eben von der Alb, auf der Alb!