Vorfahren der oft scherzhaft „Hobbit“ genannten Menschenart Homo floresiensis haben vermutlich schon vor 700 000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores gelebt. Ein Vorfahr des modernen Menschen kann der Hobbit demnach nicht sein, denn den Homo sapiens gab es vor 700 000 Jahren noch gar nicht.

Stuttgart - Das Fragment eines Unterkieferknochens und sechs Zähne bestätigen einen Verdacht auf eine zwergenhaft kleine Menschen-Linie, den Forscher schon seit September 2003 hegten. Damals hatte Mike Morwood von der University of New England in Australien in der Liang Bua-Höhle auf der indonesischen Insel Flores Knochen entdeckt, die anscheinend von Lebewesen aus der engeren Verwandtschaft des modernen Menschen stammten. Allerdings handelte es sich offensichtlich um sehr kleine Individuen, die mit knapp einem Meter Größe gerade einmal Schimpansen-Maße erreichten.

 

Vielleicht war eine Gruppe der Frühmenschen Homo erectus auf Flores gestrandet und hatten sich dort zu einer Zwergform verkleinert, spekulierten die Forscher aus Australien und Indonesien. „Ähnliche Entwicklungen gab es bei einigen Säugetier-Gruppen, bei Affen aber kannten wir bisher kein Beispiel einer solchen Verzwergung“, erklärt Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig. Genau dieses Beispiel liefern mit den sechs Zähnen und dem Unterkiefer-Bruchstück jetzt Gert van den Bergh und Adam Brumm von der University of Wollongong in Australien mit ihren Kollegen in der Fachzeitschrift Nature.

Gehirn und Körpergröße ähnelt dem Schimpansen

Es gab sie also tatsächlich, die „Hobbits“ genannten kleinen Menschen, die in der Filmtrilogie gleichen Namens und in den drei überlangen Fantasy-Filmen „Herr der Ringe“ die Hauptrolle spielen. 60 bis 120 Zentimeter groß sind diese „Halblinge“ oder eben Hobbits auf der Leinwand und in den Romanen von John Ronald Reuel Tolkien, die als Vorlage für die in Neuseeland gedrehten Filme dienten. Kein Wunder, dass der aus diesem Land stammende Mike Morwood seinen auf den wissenschaftlichen Namen Homo floresiensis getauften Frühmenschen-Fund in der Liang-Bua-Höhle mit einem Augenzwinkern gern „Hobbits“ nannte.

Anders als bei den Halblingen in Filmen und Romanen aber hatten die „echten“ Hobbits auf Flores nicht nur die Maße von Schimpansen, auch ihr Gehirn war kaum größer. Trotzdem ähnelte nicht nur der Schädel, sondern auch etliche weitere Eigenschaften eher einem Frühmenschen oder vielleicht auch einem Menschenkind. Nur waren diese Hobbits bereits ausgewachsen, bewiesen Weisheitszähne eindeutig.

So sensationell dieser Fund von Homo floresiensis war, so rätselhaft schien er zunächst. Wo waren die echten Hobbit-Menschen der indonesischen Insel Flores hergekommen? Weshalb waren sie kleiner als alle anderen bekannten Menschen- und Frühmenschengruppen? Sollten sie vielleicht vom 500 Kilometer entfernten Java gekommen sein?

Die Hobbits lebten auf der Insel Flores ziemlich isoliert

„Dort waren die Frühmenschen Homo erectus bereits vor mindestens 1,2 Millionen Jahren aufgetaucht“, berichtet der Frühmenschenforscher Jean-Jacques Hublin. Da während der Eiszeiten der Meeresspiegel oft niedriger als heute lag, waren die Inseln Java und Sumatra mehrmals mit dem Festland verbunden und die Frühmenschen konnten problemlos bis in den Osten Javas wandern. Flores aber war vermutlich immer eine Insel gewesen, die Hobbits mussten also mehr als eine breite Wasserstraße überwunden haben.

Nach einer solchen schwierigen Passage blieben die Homo erectus Frühmenschen auf Flores wohl ziemlich isoliert, vermutete Mike Morwood. Mit gerade einmal 15 000 Quadratkilometern und damit nicht einmal der Größe des kleineren deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein werden auf einer solchen kleinen Fläche mit der Zeit die Ressourcen knapp. In dieser limitierten Versorgungslage überleben am ehesten kleinere Individuen, die weniger Ressourcen brauchen. Als in der letzten Zwischeneiszeit vor rund 125 000 Jahren auf der Insel Jersey gerade einmal 25 Kilometer vor der Küste Frankreichs eine Rotwild-Gruppe von ihren Artgenossen auf dem Festland abgeschnitten wurde, dauerte es höchstens 6000 Jahre, bis die Tiere auf ein Sechstel ihrer Körpergröße geschrumpft waren.

Auch auf Flores lebte einst mit dem Stegodon eine heute ausgestorbene Gattung der Rüsseltiere, die Elefanten ähnelte und mit diesen auch verwandt waren. Die Insel-Tiere aber waren erheblich kleiner als die Stegodons im Rest der Welt. Ähnlich könnte es daher auch den Hobbits gegangen sein, vermuteten Mike Morwood und seine Kollegen bereits im Jahr 2004.

Oder blieben die Flores-Menschen doch durch eine Fehlbildung so klein?

Ihre Theorie aber hatte durchaus Konkurrenz: So könnten die Flores-Menschen auch durch eine Fehlbildung sehr klein geblieben sein. Obendrein hatte Homo floresiensis deutlich kürzere Beine als die Forscher es bei einem auf eine Körpergröße von einem Meter geschrumpften Frühmenschen erwarten würden. Eine ähnliche Beinlänge hat auch die Vormenschen-Gattung Australopithecus, deren bekanntester Vertreter „Lucy“ vor rund 3,2 Millionen Jahren in Afrika lebte. Lucys Gehirn war ebenfalls ähnlich groß wie das in einem Hobbit-Schädel und es gab noch einige weitere Ähnlichkeiten. Zwar verlieren sich die Spuren von Australopithecus bereits vor 1,8 Millionen Jahren, als direkter Vorfahre der Hobbits wurde diese Gattung trotzdem gehandelt. Oder hatten Flores vielleicht sogar Denisova-Menschen erreicht, die Forscher wie Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und EVA-Forscher Svante Pääbo nur mit Hilfe des Erbguts identifiziert hatten und deren Spuren sich in Südost-Asien verlieren? Über das Aussehen dieser Gruppe aber tappen die Wissenschaftler noch ziemlich im Dunklen.

Vieles deutet auf den Homo erectus als Urahn

Welche dieser Theorien richtig ist, können Forscher kaum entscheiden, solange sie nur die Überreste einer einzigen Gruppe von Hobbits kennen, die vor 50 000 Jahren in der Liang Bua-Höhle lebten. Daher war Gert van den Bergh, ein früherer Mitarbeiter des 2013 verstorbenen Mike Morwood, ziemlich aufgeregt, als er 74 Kilometer vom ersten Fundort entfernt im So’a-Becken sechs Zähne und des Bruchstück eines Unterkiefers fand, die allesamt auch einem Hobbit gehören könnten. Sorgfältige Analysen zeigen, dass diese Halblinge vor rund 700 000 Jahren in einer relativ trockenen Savanne lebten. Offensichtlich waren die Forscher auf frühe Vorfahren der Hobbits von der Liang Bua-Höhle gestoßen, die allenfalls ähnlich klein oder vielleicht sogar noch ein wenig kleiner als diese waren.

„Da die Denisova-Menschen erst seit rund 600 000 Jahren eigene Wege gegangen sind, fallen sie als Vorfahren der Hobbits aus“, erklärt Johannes Krause eine Schlussfolgerung. „Mehr als eine halbe Million Jahre zwischen den frühen Homo floresiensis und den modernen Menschen schließen auch Fehlbildungen als Ursache für die geringe Körpergröße aus“, ist Jean-Jacques Hublin sich sicher. Vieles deutet dagegen auf Homo erectus als Urahnen: Er lebte vor 1,2 Millionen Jahren im 500 Kilometer entfernten Java. 200 000 Jahre später stellten Frühmenschen im So’a-Becken von Flores Stein-Werkzeuge her. Noch einmal 300 000 Jahre jünger sind die jetzt entdeckten Zähne der Hobbit-Vorfahren, die damit mindestens so lange Zeit hatten, ihr Körpergröße zu Halblingen zu reduzieren. Auch das scheint Zeit genug für eine Verzwergung. Das Rotwild auf Jersey ist jedenfalls deutlich schneller geschrumpft.