Geht Landwirtschaft auch ohne die Honigbienen, bei denen viele geschwächte Völker die Winter nicht überleben? Ja, wenn die Wildbienen das Bestäuben der Pflanzen übernehmen. Am besten sind die beiden Insektenarten aber, wenn sie zusammenarbeiten.

Stuttgart - Was wird aus der Apfelplantage, wenn es keine Honigbienen mehr gibt? Werden die Blüten nicht mehr bestäubt? Gibt es im Herbst dann keine Äpfel zu ernten? Diese Fragen stellte sich der Insektenforscher Bryan Danforth, als er voriges Jahr durch den Obstgarten der amerikanischen Cornell University im Bundesstaat New York schlenderte. In dem 15 Hektar großen Versuchsgarten werden Pfirsiche, Pflaumen, Erdbeeren und weitere Obstsorten kultiviert und verkauft. Am meisten Geld bringen die Äpfel. Und obwohl der Ausgang dieses Experiments ungewiss war und die Apfelverkäufe auch sein eigenes Forschungsbudget aufbessern, überzeugte Danforth seine akademischen Gärtnerkollegen: Man müsste das einmal ausprobieren – eine kommerziell genutzte Apfelplantage, die ganz ohne die bewährten Bestäuber auskommt. Anfang dieses Jahres entfernten sie alle Honigbienenkästen vom Gelände.

 

Seit die Europäische Honigbiene vor vier Jahrhunderten in Amerika eingeführt wurde, hat sie dort eine steile Karriere hingelegt. Wie überall auf der Welt wird sie nicht nur für ihren Honig, sondern auch für ihren Fleiß bei der Blütenbestäubung geschätzt. Mehr als ein Drittel unserer Nahrungspflanzen werden von Bienen bestäubt. In den USA hat sich, zusammen mit der immer großflächiger werdenden Landwirtschaft, ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt. Wandernde Bienenmanager besuchen riesige Monokulturen, zum Beispiel von Apfel- und Mandelbäumen oder viele Hektar große Melonenfelder. Sie bieten die Bestäubungsleistung ihrer geflügelten Helferinnen an – „Bienenprostitution“, schimpft da manch deutscher Kleinimker.

Die Obstbauern buchen damit ein Rundum-sorglos-Paket. Sie sind unabhängig von natürlich vorkommenden Bestäubern, sie müssen weder auf deren Nistmöglichkeiten noch auf Nahrungsalternativen außerhalb der Obstblütezeit achten und können die Flächen voll für gewinnbringende Feldfrüchte nutzen. Abhängig machen sie sich dafür von der Honigbiene – und die hat in den letzten Jahren immer öfter bewiesen, dass sie keine Bestäubungsmaschine, sondern ein sensibler Organismus ist, der empfindlich reagiert auf Pestizide, auf Parasiten wie die Varroa-Milbe oder auf eine Mangelernährung beim einseitigen Pollenangebot der Monokulturen. Imker diskutieren die Ursachen des Bienensterbens: Sie beobachten seit einigen Jahren, dass viele geschwächte Bienenvölker die Winter nicht überleben.

Manche Wildbiene ist besonders fleißig

Kurzum, die Honigbiene ist nicht mehr das, was sie einmal war: die Verkörperung der unermüdlichen Arbeiterin im Dienste der Blüte. Nicht nur in den USA, auch in Teilen Deutschlands wird sie überfordert durch Hochleistungslandwirtschaft – die Honigbiene leidet an Burn-out. In seinem Experiment gehe es um die Ernährungssicherung, erklärt Bryan Danforth auf der Homepage der Cornell University. „Wir müssen herausfinden, ob die Bauern auch ohne Honigbienen weiterhin Nahrungsmittel produzieren können.“ Und tatsächlich, sie können. Ende Mai zählten die Forscher an den Apfelbäumen ähnlich viele Fruchtansätze wie in den Jahren zuvor. Im Universitätsgarten wurden die domestizierten Insekten in diesem Frühjahr würdig vertreten: von Wildbienen.

Damit ein Apfelbaum seinen vollen Ertrag bringt, müssen ungefähr 15 Prozent seiner Blüten bestäubt sein. Außerdem will jede Blüte öfters besucht werden, denn nur eine mehrfach bestäubte Blüte reift zu einer schönen, großen Frucht heran. Zwar sind Honigbienen meist in großer Zahl vertreten und erledigen diese Arbeit mit vereinten Kräften, doch manche Wildbiene ist dafür die effektivere Bestäuberin: Ein Weibchen der in Deutschland heimischen Rostroten Mauerbiene etwa ist in dieser Hinsicht so fleißig wie 80 bis 300 Honigbienen. Und im Gegensatz zu ihren Verwandten haben viele Wildbienen andere Bestäubungstechniken oder krabbeln tiefer in die Blüten, so dass sie den am Nachbarbaum gesammelten Pollen besser über die Blütenstempel verteilen.

Auf intensiv genutzten Agrarflächen werden Wildbienen die Bestäubungsleistung der Honigbiene allerdings nie ganz ersetzen können, schreibt Bryan Danforth. Der Agrarwissenschaftler und Hobbyimker Klaus Wallner von der Universität Hohenheim erklärt: „Honigbienen stehen fast jederzeit und in großer Zahl zur Verfügung.“ Sicherlich sei es in manchen Jahren und in manchen Gebieten möglich, dass ausschließlich Wildbienen bestäuben. Aber der Vorteil der Honigbiene sei eben, dass sie als großes Volk überwintert. „Ein Bienenvolk sendet im Frühjahr gut 5000 Bienen aus, die sind dann schnell und zahlreich da.“ Und, nicht zu vergessen: den Honig liefert eben nur die Honigbiene.

Bei Pollen sind Honigbienen wählerisch

Zudem gibt es die Dienste der Wildbiene nicht für umsonst; der Bauer muss Abstriche machen bei der Nutzfläche. Wildbienen brauchen viele kleine Blüteninseln: artenreiche, extensiv genutzte Flächen als Rückzugsort und Nahrungsquelle zusätzlich zur Obstblüte. Und zwar in unmittelbarer Nähe zum Einsatzort, da sie einen im Vergleich zu ihren domestizierten Verwandten sehr kleinen Aktionsradius von wenigen Hundert Metern haben. Bryan Danforth hatte nur Erfolg, weil der Universitätsgarten diese Räume bietet.

Aber auch Honigbienen sind auf ein reichhaltiges Blütenbüfett angewiesen. Beim Nektar sind sie nicht wählerisch, aber bei Pollen brauchen sie Abwechslung. „Wenn ein Bienenkasten neben einem riesigen Rapsfeld steht, bringen die Arbeiterinnen zwar wunderbaren Rapshonig, aber sie fliegen teilweise kilometerweit und versuchen krampfhaft, noch anderen Blütenstaub zu finden“, erklärt Klaus Wallner. Auch Pflanzenschutzmitteln sind Bienen dann besonders ausgesetzt, wenn es außerhalb der gespritzten Flächen keine blühenden Ausweichmöglichkeiten gibt. Imker brauchen sich also keine Sorgen zu machen, dass die Förderung von Wildbienen ihren Schützlingen zur Konkurrenz gerät. Ganz im Gegenteil: Wildbienen und Honigbienen, Imker und Obstbauern profitieren von den gleichen Maßnahmen.

Bryan Danforth will mit seinem Versuch im universitären Obstgarten die Honigbiene also keineswegs zum Auslaufmodell erklären. Der amerikanische Biologe will eher Wege aufzeigen, die ihre wichtigen Dienstleistungen für den Menschen unterstützen und nachhaltig sichern. Auch Alexander Guth, Obmann für Naturschutz, Umwelt und Bienenweide beim Landesverband Württembergischer Imker, ist überzeugt: „Wir ziehen da alle an einem Strang. Wenn die Bedingungen für Wildbienen stimmen, dann profitiert auch die Honigbiene.“ Sein Motto gelte da ganz pauschal: „Biene gut, alles gut.“

Zahlen zu Honig- und Wildbienen

Bestäubung
80 Prozent aller Pflanzen weltweit sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. 71 der 100 wichtigsten Nahrungspflanzenarten werden von Bienen bestäubt, das macht im Endeffekt über ein Drittel unserer Lebensmittel aus. Durchschnittlich sechs Sekunden braucht eine Biene pro Blüte. Ein Kirschbaum kann bis zu einer Million Blüten tragen.

Wildbienen
Alle Bienenarten außer der Honigbiene werden als Wildbienen bezeichnet. In Baden-Württemberg gibt es etwa 460 Wildbienenarten, in ganz Deutschland sind es rund 550, weltweit gut 30.000. Mehr als 230 der heimischen Arten sind gefährdet, weil Nistmöglichkeiten seltener werden und Wiesen weniger Pflanzenarten aufweisen.

Zähmung
Es wird bereits eine Palette gezähmter Wildbienenarten zur kommerziellen Nutzung angeboten: Hummeln in der praktischen Einmalbox etwa bestäuben ganze Gewächshäuser, gekühlte Mauerbienenkokons kann der Obstbauer zur gewünschten Zeit auslegen. Punktgenau treten die geschlüpften Insekten dann wenige Tage später ihren Dienst an.