Hospiz-Fotografin aus Althütte Oft sind ihre Fotos die letzten - "Bilder, die viel Liebe spüren lassen"

, aktualisiert am 15.07.2025 - 14:25 Uhr
Wenn sie eine Familie fotografiert, hat Charlotte Obertreis Seifenblasen dabei. Auch bei diesem kleinen Mann kam das gut an. Foto: privat

Charlotte Obertreis hat ein Talent fürs Fotografieren. Das nutzt die 22-Jährige in besonderer Weise – sie begleitet schwerst kranke Kinder bis in den Tod und schenkt Erinnerungen.

Rems-Murr: Simone Käser (sk)

Unbeschwerte Stunden in der Natur, Zeit zum Durchschnaufen, innige Momente im vertrauten Zuhause, aber auch Klinikaufenthalte, letzte Stunden und Minuten sowie Beerdigungen – Charlotte Obertreis fängt all diese Augenblicke mit ihrer Kamera ein, denn die junge Fotografin aus Althütte begleitet Familien, bei denen ein Elternteil oder ein Kind sterben wird, also lebensverkürzend erkrankt ist. „Ich bin ganz nah dran, muss mich natürlich auch abgrenzen können, aber es gibt mir unglaublich viel“, sagt die 22-Jährige und strahlt.

 

Seifenblasen und Luftballons: Hospiz-Fotografin will wertvolle Momente einfangen

Das tut sie oft. Denn obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie sich so viel mit Krankheit und Tod beschäftigt, hat sie eine lebensfrohe Art und liebt, was sie tut, nämlich Menschen das wertvollste schenken, was bleibt, wenn einer stirbt – Erinnerungen. „Das liegt mir am Herzen, also authentische Bilder zu schaffen, die berühren. Ich versuche wertvolle Momente für immer festzuhalten, um damit auch dabei zu helfen, die Trauer auszuhalten und zu verarbeiten“, sagt Charlotte Obertreis und fügt hinzu, dass ihr Projekt mit dem Titel „Fotografie über den Tod hinaus“ ein großes Herzensanliegen von ihr sei. „Immer wieder wird mir dabei bewusst, wie kostbar das Leben ist und wie bedeutungsvoll Fotos sein können, wenn die Endlichkeit spürbar wird.“

Die junge Fotografin ist preisgekrönt. Foto: privat

Wenn sie Familien für eine Begleitung trifft, die ein schwer krankes Kind haben, packt Charlotte Obertreis immer Luftballons und Seifenblasen in ihren Rucksack. „Das lockert auf“, sagt die junge Frau, die das wahrscheinlich gar nicht brauchen würde. Denn so ungezwungen und leicht wie sie über das schwere Thema spricht, so locker kommt sie auch mit den Familien und den betroffenen Kindern ins Gespräch. Da wird gelacht, Quatsch gemacht, und Charlotte Obertreis kniet wenn es sein muss, der Länge nach auf dem Boden, um den perfekten Moment einzufangen. „Es entstehen Aufnahmen, die so viel Liebe, sei es zwischen Eltern und Kind, aber auch zwischen Geschwistern spüren lassen. Oft gehen Brüder oder Schwestern ganz ungezwungen mit der Situation um, und das merkt man dann den Bildern an“, sagt die preisgekrönte Fotografin, die am liebsten draußen fotografiert und von sich selber sagt, dass sie es liebt, bei Regen oder Schnee in Flip-Flops spazieren zu gehen.

Die junge Hospiz-Fotografin aus Althütte ist preisgekrönt

Mit ihrem Hobby hat die talentierte 22-Jährige aus Althütte-Waldenweiler schon mehrmals gewonnen. Seit ihrer Kindheit fasziniert die 22-Jährige die Fotografie. Kein Wunder, der Papa ist Profi-Fotograf. Richtig ernst wurde es durch ein Schulprojekt in der achten Klasse. „Wir waren frei in der Themenwahl für unsere Jahresarbeit. Wegen meiner Leidenschaft fürs Fotografieren habe ich mich entschieden, Tier-Shootings anzubieten.“ Den Erlös daraus spendete Charlotte Obertreis unter anderem an das ambulante Kinder- und Jugendhospiz Sternentraum in Backnang. Als sie nach und nach mehr Einblicke über die Arbeit dort erhielt, wollte sie mehr tun, als nur finanziell zu unterstützen. Sie sprach mit den Verantwortlichen und bot fortan an, Familien mit lebensverkürzt erkrankten Kindern oder Elternteilen ehrenamtlich mit der Kamera zu begleiten.

Inniger Augenblick: die Geschwister gehen meist ungezwungen mit den Erkrankungen um. Foto: privat

Hospiz-Fotografin aus Althütte: "Beerdigungen sind hart" 

Der Beginn einer ganz besonderen fotografischen Laufbahn, die Charlotte Obertreis viel Kraft kostet, ihr aber noch viel mehr gibt. „Beerdigungen sind hart. Ich habe auch gemerkt, dass es mir nicht gut tut, wenn ich danach Fotos auswählen und bearbeiten muss. Das ist so eine Verantwortung, denn danach kommen keine Bilder mehr. In der Situation selbst hilft es mir, dass die Kamera mein Schutzschild ist, aber daheim merke ich dann, wie nah es mir geht.“ Bevor sie mit Freunden und ihrer Familie spricht, geht Charlotte Obertreis meist erst mal alleine in die Natur oder Cello spielen – den Kopf frei kriegen. Sie sagt: „Ich habe mich schon früh mit Krebs, Sterben und Psychoonkologie beschäftigt. Das versteht nicht jeder, aber mir liegt das und ich möchte helfen, die Themen zu enttabuisieren.“

Apropos: Ihr FSJ hat die Psychologiestudentin nach dem Abi im stationären Kinder- und Jugendhospiz in Stuttgart absolviert und dort eine intensive Zeit erlebt. „Klar, dort sterben auch Menschen, aber es findet so viel Schönes statt, und der Satz, den Tagen mehr Leben geben, wird dort gelebt. Das ist so erfüllend, genau wie die fotografischen Begleitungen.“ Und von denen hatte sie mittlerweile schon viele, zum Beispiel die des kleinen Leo, den sie 2019 das erste Mal und zuletzt im Mai fotografiert hat. Er kam als extremes Frühchen zur Welt und hat eine lebensgefährliche Epilepsie. „Die Familien vertrauen mir solche Informationen und ganz persönliche und intime Momente an, das ist so wertvoll und ein Geschenk.“

Daheim, im Hospiz, auf dem Friedhof: die Hospiz-Fotografin ist nah dran

Oder die Begleitung einer Familie, bei der der Vater schwer an Krebs erkrankt ist. Nachdem es nach dem Shooting eine Weile besser aussah, liege er nun auf der Palliativstation, sagt Charlotte Obertreis und erzählt gleich weiter – und zwar von den Fotos eines Kindes, das sie daheim fotografiert hat. „Später war die Überlegung, mit ihm noch mal in die Wilhelma zu gehen. Doch ich durfte wegen Corona nicht mit, und kurz drauf ist er vor dem zweiten Geburtstag gestorben und ich habe dann die Beerdigung fotografiert.“

Meist trifft sie die Familien ein- bis zweimal. Doch dann gibt es da auch noch eine ganz besondere Begleitung über Jahre hinweg. Unbeschwerte Stunden daheim, entlastende Tage im Hospiz, schöne Geburtstage, aber dann auch die Momente, als die Kräfte weniger wurden, und dann der Augenblick, wo die Mutter den verstorbenen Sohn aus den Armen legen musste – Charlotte Obertreis sagt: „Ich habe bei der Begleitung alles festgehalten und es fühlte sich richtig an, dabei zu sein, inklusive Beerdigung an seinem neunten Geburtstag, ein Lebensfest mit Seifenblasen und Wasserbomben.“ All ihre fotografischen Begleitungen haben eines gemeinsam: Die 22-Jährige versucht den Alltag einzufangen und hält dabei quasi die Zeit an. Es entstehen ungestellte Situationen, pure Gefühle – Erinnerungen für die Ewigkeit.

Fotografien über den Tod hinaus

Info
Aktuell ist Charlotte Obertreis – Ende vergangenen Jahres hat sie für ihr Herzensprojekt den 1. Preis des Jugenddiakoniepreises erhalten – im Rahmen des ambulanten Kinder- und Hospizdienstes Sternentraum im Raum Stuttgart und rund um Heidelberg, wo sie studiert, für Shootings verfügbar.

 

Homepage
Nach Absprache und je nach Kapazität sind auch individuelle Begleitungen möglich. Nähere Informationen dazu, alle Details und die Möglichkeit, mit der 22-Jährigen in Kontakt zu treten, gibt es auf ihrer Homepage unter https://charlotte-obertreis.jimdoweb.com/

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