Der Europäische Hof wird 150 und feiert das ganze Jahr über. Das Heidelberger Fünf-Sterne-Haus ist immer noch inhabergeführt und spiegelt mehr als die touristische Geschichte der Stadt.

Heidelberg - Ein illustrer Gast, der Earl of Chester, ist gestern abend in Heidelberg eingetroffen“, meldete am 25. März 1913 das „Heidelberger Tageblatt“. Hinter dem Namen, hat der Schreiber sogleich verraten, „verbirgt sich der englische Thronfolger Eduard, Prince of Wales“. Der Prinz, unterwegs vom Großherzog in Darmstadt zum königlichen Hof in Stuttgart, wo ein längerer Aufenthalt geplant war, reiste mehr oder weniger inkognito und per Automobil. In Heidelberg standen unter anderem eine „Fußwanderung zum Schlosse“ und ein Tagesausflug in den Odenwald auf dem Programm. Sein Quartier hatte der Thronfolger im Europäischen Hof genommen. Da weilte gerade auch die schwedische Königliche Witwe Sophie, weshalb, wie das „Tageblatt“ weiter berichtete, „über dem Hotelportal neben der badischen auch die schwedische und die britische Flagge flatterten“.

 

Seitdem sind ungezählte hohe Herrschaften, Film-, Opern-, Pop- und Sportstars, berühmte Politiker und Literaten aus aller Welt zu Gast in dem feinen Hotel gewesen. Die Liste der Berühmtheiten füllt zwei Gästebücher. Sie reicht von Königin Victoria über Maria Callas bis zu Romy Schneider, vom Prinzen Eduard über Thomas Mann bis zu den Rolling Stones, vom Formel-1-Weltmeister Alain Prost zum Boxchampion Wladimir Klitschko. Der Europäische Hof war und ist bis heute das erste Haus am Platz in Heidelberg, das einzige Fünf-Sterne-Hotel der Rhein-Neckar-Region und eines der führenden Grandhotels in Deutschland – und es ist, eine weitere Besonderheit, noch immer in Privatbesitz und wird von der Inhaberfamilie – dem Ehepaar Ernst-Friedrich und Sylvia von Kretschmann sowie deren Tochter Caroline – geführt. In diesem Jahr feiert die noble Herberge ihren 150. Geburtstag.

Auch der OB ist begeistert vom Fünf-Sterne-Haus

„Ich bin wirklich begeistert, wie es gelungen ist, dieses tolle Haus über die Generationen hinweg zu führen“, sagte der Heidelberger Oberbürgermeister Eckart Würzner zum Auftakt des Jubiläumsjahrs: „Der Europäische Hof ist ein echtes Wahrzeichen für uns und die Region, das weltweit bekannt ist und geschätzt wird.“ In der Tat: wenn man eine Rangliste der Heidelberger Sehenswürdigkeiten und Konstanten erstellen müsste, dann käme das Grandhotel an der Ebert-Anlage vermutlich – schon bald nach dem Schloss, der Alten Brücke und der Ruprecht-Karls-Universität – auf einen der vorderen Plätze.

Dabei ist das Fünf-Sterne-Haus mit seiner großzügigen Halle, der eleganten Bar und der gediegenen Kurfürstenstube für die meisten Heidelberger bis heute eine „Terra incognita“, in die sie noch nie einen Fuß gesetzt haben. Caroline von Kretschmann, die Juniorchefin, die vor drei Jahren in die Geschäftsführung eingestiegen ist, möchte das in den nächsten Jahren gern ändern. Deshalb hat sie Mitte Januar zu einem „Tag der offenen Tür“ geladen. 1800 Besucher haben da das Haus fast gestürmt. „Und viele haben mir erzählt, dass sie zum ersten Mal hier waren“, berichtet die promovierte Betriebswirtin. Die Hemmschwelle sei doch noch hoch, hat sie festgestellt. „Dabei sind die Zeiten meiner Großmutter vorbei, als am Eingang Krawatten verteilt wurden. Uns ist heute jeder willkommen, egal ob er im Rolls-Royce oder mit dem Fahrrad vorfährt“, versichert sie.

Eröffnet wurde das Hotel im Jahr 1865

Die ersten Gäste vor 150 Jahren sind überwiegend mit der Eisenbahn angereist. 1840 hatte Heidelberg seinen ersten Bahnhof bekommen. Etwa ein halbes Dutzend neuer Hotels – von der Reichspost über das Victoria bis zum Grand Hotel – sind damals rund um den Bahnhof neu entstanden. Der Europäische Hof wurde 1865 eröffnet. 1906 haben Fritz Gabler und seine Frau Luise, die Großeltern und Urgroßeltern der heutigen Inhaber, ihn gekauft. Gabler war von Anfang an entschlossen sein „Hotel de l’Europe“, zu dem später auch das Victoria gehörte, zur Nummer eins zu machen.

Gleich in der ersten Jahren hat er die Fassade erneuert, eine Reihe Bäder eingebaut und das Haus über einen eigenen Generator mit Strom versorgt, weil die Stadt noch kein Elektrizitätswerk hatte. Mehrfach hat man anschließend weiter vergrößert, an- und ausgebaut. Dennoch war für seinen Enkel Ernst-Friedrich von Kretschmann noch genug zu tun, als er den Betrieb 1965 übernommen hat. „Als Erstes habe ich eine neue Ölheizung eingebaut“, erinnert sich der inzwischen 76-jährige Patron. Vorher, verrät er, habe er oft genug vor Morgengrauen selber Kohle schippen müssen, „damit warmes Wasser da war“.

Der Komplex ist bereits drei Mal vergrößert worden

Dreimal hat von Kretschmann den Komplex seither weiter vergrößert, unter anderem auch um einen Neubau mit Läden und Geschäftsräumen. Doch das Hotel ist immer das Herz geblieben. In ihm spiegeln sich die Entwicklung des Heidelberg-Tourismus, das Auf und Ab der Wissenschaft und Wirtschaft in Stadt und Region – und sogar Teile der großen Geschichte. Zu den spannendsten Jahren gehören dabei sicher die zwischen 1945 und 1955, als die Amerikaner das Haus beschlagnahmt hatten. Bis heute ist geheimnisumwittert und weitgehend unerforscht, was damals so alles hinter den diskreten Hotelmauern geschah. Angeblich hatte nicht nur das Oberkommando der US-Armee, sondern auch der Geheimdienst Arbeitsplätze in der eleganten Umgebung. Glaubt man einer alten Ausgabe der „Stars and Stripes“ vom März 1948, die im Heidelberger Stadtarchiv verwahrt wird, war das Grandhotel damals allerdings nur eine „Snack Bar“ für Offiziere.

Zwei Jahre lang hatte Luise Gabler, die nach dem Tod ihres Mannes 1953 dessen Erbe antrat, dann zu tun, bis sie das Hotel wiedereröffnen konnte. Um das nötige Geld aufzubringen, musste sie das gegenüber liegende Victoria verkaufen. Es beherbergt seither das juristische Seminar der Uni. Im Europa selbst, erinnert sich ihr Enkel Ernst-Friedrich, „war am Ende der Beschlagnahme so gut wie nichts mehr da“.

Auch Muhammad Ali hat mal hier gewohnt

Von Winston Churchill über Ludwig Erhard bis zu Helmut Schmidt sind im Lauf der Jahrzehnte im Europäischen Hof viele Politiker von Rang abgestiegen. In Zeiten, als der Heidelberg-Tourismus noch boomte, haben auch Prominente aus dem Showgeschäft, der Wissenschaft und anderen Bereichen auf ihrer Deutschlandtour gern einen Abstecher hierher gemacht. Neil Armstrong, der erste Mann auf dem Mond, war ebenso darunter wie Muhammad Ali oder Peter Ustinov. Auch Adolf Hitler hat Heidelberg ab 1927 sechsmal besucht. Mindestens einmal logierte er im Europäischen Hof. Das Haus hat 100 Einzel- und Doppelzimmer sowie 20 Junior-Suiten und verschiedene Apartments, eine Dachterrasse samt Panorama-Spa-Club mit Blick über die Stadt, drei Restaurants und mehrere Tagungsräume. 150 festangestellte Mitarbeiter, davon 40 Auszubildende, kümmern sich um die Gäste. „Wir führen das Haus sehr persönlich, wie einen großen Haushalt“, sagt die Seniorchefin Sylvia von Kretschmann. Der 150. Geburtstag wird, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kultureinrichtungen der Stadt, das ganze Jahr gefeiert; jeden Monat gibt es dafür eine besondere Veranstaltung.