Das Haus der Geschichte hat im Archiv des Bundesnachrichtendienstes Personalakten gewälzt - dabei stellte sich heraus, dass auch aus der Stuttgarter Gestapo-Zentrale vier Mitarbeiter später zum Geheimdienst der Bundesrepublik wechselten.

Stuttgart - Seit drei Jahren ist der Bundesnachrichtendienst keine ganz so abgeschottete Behörde mehr wie zuvor: Eine unabhängige Historikerkommission erforscht die frühe Phase des Dienstes von 1945 bis 1968 (mehr unter www.uhk-bnd.de). Dass in jener Zeit ehemalige Nazis gerne wegen ihrer Kontakte und Erfahrungen angeworben wurden, ist spätestens seither kein Geheimnis mehr.

 

Vor allem aber können Historiker nun einen Antrag auf Einsicht in Personalakten stellen, und das haben Sarah Stewart und Friedemann Rincke, die Experten im Haus der Geschichte für die ehemalige Gestapo-Zentrale im Hotel Silber, getan. Am Mittwoch werden sie beim Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe im Hotel Silber in der Dorotheenstraße 10 auch über diese Ergebnisse berichten.

Zu vier Personen, die in der Stuttgarter Gestapo-Zentrale gearbeitet haben, konnten die beiden Historiker die Akten in Pullach, dem Sitz des Bundesnachrichtendienstes (BND), einsehen. Insgesamt habe man ihnen 5000 Seiten vorgelegt, so Rincke; nur wenige Blätter seien entnommen, nur wenige Passagen geschwärzt gewesen. Bei zwei anderen Männern wurde der Antrag dagegen mit einem allgemeinen Hinweis auf den Datenschutz abgelehnt.

Die CIA war der Meinung, man brauche diese Mitarbeiter

Dennoch: das allgemeine Bild bestätigt sich auch für Stuttgart. So habe die amerikanische CIA die Anwerbung ehemaliger Gestapo- oder SS-Leuten mitgetragen, weil man die Mitarbeiter brauchte: „Nur die Deutschen hatten Kontakte hinter den Eisernen Vorhang“, sagt Sarah Stewart. Die frühere Tätigkeit wurde also als Qualifikation und nicht als Belastung begriffen. Der amerikanische militärische Geheimdienst sei dagegen von Anfang an gegen die Einstellung gewesen, weil die Mitarbeiter aufgrund ihrer Vergangenheit, die ja nicht öffentlich werden sollte, erpressbar waren – gerade auch durch andere Geheimdienste.

Heinrich Reiser, Gerhard Heinrichs, Franz Wiedmann und Friedrich Walz, so hießen die vier Männer, die für die Gestapo in Württemberg und Hohenzollern gearbeitet hatten und später beim BND eine Anstellung fanden. Sie alle gehörten nicht zum leitenden Personal, doch ist nach dem Krieg zum Beispiel gegen Heinrich Reiser wegen des Verdachts auf Misshandlung und Mord an Zwangsarbeitern ermittelt worden. Auch Gerhard Heinrichs soll an Hinrichtungen vor allem polnischer Zwangsarbeiter mitgewirkt haben.

Auch für den Südwesten lässt sich durch die Recherchen nun nachweisen, dass es regelrechte Seilschaften im BND gab – ein ehemaliger Gestapomann spielte für den nächsten den Türöffner. Laut manchen Quellen könnten damals zehn Prozent der BND-Mitarbeiter eine problematische Position in der NS-Zeit innegehabt haben. Alle vier genannten Männer wurden in der Gegenspionage gegen die DDR eingesetzt.

Im Jahr 1961 kam es zum Skandal beim BND

Eine neue Bewertung dieser Mitarbeiter ergab sich erst im November 1961, als die beiden BND-Mitarbeiter Heinz Felfe und Hans Clemens, die früher im SS-Reichssicherheitshauptamt gearbeitet hatten, als Doppelagenten des sowjetischen KGB enttarnt wurden. In der Folge stellte sich heraus, dass Heinrich Reiser und Gerhard Heinrichs dem KGB als Agenten bekannt waren. Und: der BND prüfte unter dem Druck der Öffentlichkeit alle Lebensläufe der Mitarbeiter noch einmal. Denn es gab einen ordentlichen Skandal: „Der BND musste eingestehen, dass er die Netzwerke nicht unter Kontrolle hatte“, so fasst Sarah Stewart die damalige Lage zusammen.

Nach der Prüfung hätten alle vier ehemaligen Stuttgarter Gestapo-Mitarbeiter als nicht mehr tragbar gegolten, betont Friedemann Rincke. Doch es sei gar nicht einfach gewesen, sie loszuwerden. Denn der BND war öffentlicher Dienst – mit besonderem Kündigungsschutz. Und die vier Männer argumentierten, aus ihrer Sicht nicht zu Unrecht, dass sie nicht trotz, sondern wegen ihrer früheren beruflichen Tätigkeit eingestellt worden seien. Heinrich Reiser ging 1964 in den Ruhestand, die drei anderen schieden 1964 und 1965 aus. Gerhard Heinrichs klagte gegen die Kündigung; man einigte sich auf eine Abfindung.

Ungefähr 200 Mitarbeiter hatte die Gestapo in Württemberg am Kriegsende – die Zahl der späteren BND-Mitarbeiter dürfte unter zehn gelegen haben, glaubt Rincke. Trotzdem: dieser fast nahtlose Übergang von der Gestapo zum Nachrichtendienst der Bundesrepublik wirft ein befremdliches Licht auf die Nachkriegsgeschichte.

Die Daten zur neuen Veranstaltungsreihe

Reihe:
Zum zweiten Mal laden das Haus der Geschichte, die Initiative Hotel Silber und die Stadt Stuttgart zu einer Veranstaltungsreihe ein. In den Vorträgen, Gesprächen und Rundgängen geht es nicht nur um das Hotel Silber direkt, sondern beispielsweise auch um den Schutz der Demokratie. Ein Abend ist deshalb dem NSU-Komplex gewidmet.

Auftakt:
Am kommenden Mittwoch, 23. September, um 19 Uhr stellen Sarah Stewart und Friedemann Rincke, die Hotel-Silber-Experten im Haus der Geschichte, im ersten Vortrag die „Fakten und Fiktionen zur Gestapo im Hotel Silber“ vor. Am 26. September gibt es dazu einen Stadtrundgang, der um 17.30 Uhr am Landgericht startet.

Themen:
An den weiteren Abenden im Hotel Silber stehen Zeitzeugen im Mittelpunkt, die noch selbst ins Hotel Silber gebracht worden waren; weiter geht es um die Opfer des inneren Terrors. Auch die Rolle der evangelischen Kirche und die Bedeutung der Denunziation werden beleuchtet. Alle Termine unter www.hotel-silber.de.fal