Wie authentisch ist das Hotel Silber noch? Die Debatte über die geplante NS-Gedenkstätte im Hotel Silber hat auch die Forschung befördert – zum Beispiel zur Baugeschichte.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Bitte seien Sie nicht enttäuscht.“ Mit diesen Worten führt Thomas Schnabel, der Leiter des Hauses der Geschichte, seine Gäste in den Keller des Hotels Silber, dorthin, wo bis 1945 drei Verwahrzellen der Gestapo untergebracht waren. Am 10. April 1945 hat der SS-Hauptscharführer Anton Dehm dort die Stuttgarterin Else Josenhans mit einer Vorhangschnur erhängt. Die Jüdin hatte in die Schweiz fliehen wollen, doch die Gestapo stellte sie am Hauptbahnhof. Als die Schnur riss, so Schnabel, habe Else Josenhans um Gnade gefleht: „Doch diese wurde ihr nicht gewährt.“ Beim zweiten Mal hielt der Strick.

 

Heute stehen einige abgebaute Schränke und Schreibtische an jenem Ort, wo Else Josenhans ermordet wurde. Der Keller wird vom Innen- und vom Integrationsministerium, das in den oberen Stockwerken Büros hat, als Lagerfläche genutzt. Die alten Zellen waren schon in den Nachkriegsjahren bei einer Renovierung entfernt worden, und bei einer Untersuchung 2009 hat man auch im Putz oder darunter keine Spuren mehr der NS-Zeit gefunden. Eine Zellentür hat als einziges Teil die Jahrzehnte überstanden und lagert im Fundus des künftigen Stadtmuseums.

Wie authentisch ist dieses Hotel Silber also überhaupt noch? Über diese Frage brannte lange ein heftiger Streit; mittlerweile ist er einigermaßen befriedet. Denn heute ist klar, dass der linke Teil des Gebäudes in der Dorotheenstraße 10 eindeutig noch auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeht. 1897 hatte der damalige Besitzer des Luxushotels, Wilhelm Bubeck, das Anwesen auf die heutige Fläche erweitert.

Äußerlich erinnert nichts mehr an die alten Gestapo-Büros

Im Bombenhagel am 12. und 13. September 1944 versank der rechte Gebäudeteil fast ganz in Schutt und Asche. Er wurde später komplett neu aufgebaut. Die linke Seite, in die von etwa 2017 an die Gedenkstätte einziehen soll, war aber unbeschädigt geblieben, so dass die Gestapo die Räume weiter nutzte. Zwei Sanierungen dieses Teiles 1953 und 1985 haben alle alten Spuren getilgt. Das Ergebnis formuliert Thomas Schnabel so: „Wenn zweimal schwäbische Handwerker über ein Gebäude gehen, ist nicht mehr allzu viel Altes da.“ Allerdings: die Außenmauern sind noch ganz die alten, und auch die Raumstruktur wurde in allen Etagen bis heute weitgehend beibehalten.

So erinnert zwar nichts mehr an die alten Büros der Gestapo – und doch war es in diesen gleichen Mauern, dass Menschen, die den Nazis ein Dorn im Auge waren, verhört, eingeschüchtert, bedroht und teilweise gefoltert wurden. Der Keller und die Büros bleiben in diesem Sinne authentische Orte. Deshalb schmerzt es die Bürgerinitiative zum Hotel Silber so sehr, dass gerade der zweite Stock laut der Entscheidung von Stadt Stuttgart und Land Baden-Württemberg nicht mehr zur Gedenkstätte gehören soll. Denn dort in der zweiten Etage hatten zumindest im Jahr 1941 (für diesen Zeitpunkt ist ein Plan erhalten) die Chefs ihre Büros. Vor allem der letzte Leiter der Gestapo, Friedrich Mußgay, hat es durchaus geliebt, selbst zu verhören: „Mußgay hatte 20 Jahre Polizeiarbeit hinter sich und konnte die Finger nicht davon lassen“, sagt Friedemann Rincke, der zusammen mit Sarah Stewart im Haus der Geschichte zum Hotel Silber forscht. Schüler und andere Besuchergruppen in dieses Büro führen zu können hätte das Erleben der Geschichte und die Empathie für die Opfer sicher erhöht. Doch das scheint nicht möglich zu werden, auch wenn die Bürgerinitiative um den zweiten Stock kämpft (siehe „Initiative schlägt Kompromiss vor“).

Auf jeden Fall wird es eine zentrale Aufgabe der Ausstellungsmacher werden, die alten Gemäuer, denen man die schreckliche Vergangenheit nicht mehr ansieht, so zu inszenieren, dass ein angemessenes Erinnern und Gedenken möglich wird. Eine Rekonstruktion beispielsweise der Verwahrzellen oder der Chefbüros lehnen Thomas Schnabel und auch die Ausstellungsleiterin des Hauses der Geschichte, Paula Lutum-Lenger, aber beinahe empört ab. Es gebe keine Fotos oder Beschreibungen, wie diese Orte ausgesehen hätten. Man will auf keinen Fall ein Nazi-Disneyland schaffen. Interessant am Hotel Silber seien vielmehr die historischen Schichten, die im Haus übereinanderliegen: Luxushotel, Gestapozentrale, Polizeibehörde. „Diese Schichten gilt es zu zeigen“, sagt Schnabel und deutet exemplarisch auf einen Kellerraum, der zuerst als „Schießkino“ der Polizei und dann als Kantine diente.

Die Arbeit der Gestapo im Hotel Silber war ohnehin geprägt von der „Banalität des Bösen“, wie Hannah Arendt es bezeichnete: Es handelte sich um eine Behörde mit Pförtner, Registratur und Aktenzeichen – dort wurde die Verfolgung und die Vernichtung von Abertausenden von Menschen verwaltet. Das gilt es in der Gedenkstätte herauszuarbeiten. Im Hotel Silber saßen viele Täter mit Ärmelschonern. Das eigentliche Gefängnis der Gestapo lag dagegen in der „Büchsenschmiere“ im Hospitalviertel. Hinrichtungen wiederum fanden fast alle im Innenhof des Oberlandesgerichtes statt.