Stuttgart - Der mit einer Kinderhandschrift verfasste Brief, den der 12 Jahre alte Heinz Hummler im August 1944 an den Reichsjugendführer Artur Axmann geschrieben hat, gehört zu den eindrucksvollsten Dokumenten, die in der Dauerausstellung der Gedenkstätte „Hotel Silber“ zu sehen sind. Der erste Satz des Schreibens lautet: „Unterzeichneter Pimpf bittet um Begnadigung seine Vaters Anton Hummler.“ Es ist der verzweifelte Versuch eines Kindes, seinen Vater aus dem Gefängnis zu befreien und vor dem Tod zu bewahren. „Sollte uns das Schwere alles treffen“, schließt der Junge seinen Bittbrief, „weiß ich nicht, wie es meine Geschwister und meine liebe Mutter tragen können. Darum bitte ich von ganzem Herzen noch einmal um mildernde Umstände meines Vaters.“
Der Brief blieb ohne Antwort, sagte der heute 86 Jahre alte Heinz Hummler am Mittwoch im ehemaligen Hotel Silber in der Innenstadt, Dorotheenstraße 10. Es ist der Ort, an dem sein Vater mehr als ein halbes Jahr lang strengsten Gestapo-Verhören ausgesetzt war und der am nächsten Dienstag, 4. Dezember, als künftige Stätte der Erinnerung eröffnet wird.
Hummler gehört zur Gruppe kommunistisch gesinnter Arbeiter
Die Ereignisse von September 1943 bis September 1944, als Hummlers Vater Anton erst ein halbes Jahr lang in Stuttgart in Haft saß und nach seiner Verurteilung zum Tode am Volksgerichtshof in Potsdam im Zuchthaus Brandenburg ermordet wurde, haben sich ins Gedächtnis des Sohnes eingebrannt. Hummler erinnert sich nach 74 Jahren an die blutverschmierte Kleidung, die die Mutter im Gefängnis in der Büchsenstraße zum Waschen abholte. Die Verhöre und Misshandlungen der Gestapo fanden im ehemaligen Hotel Silber statt, der Gestapo-Leitstelle für Württemberg und Hohenzollern. „In der Wäsche entdeckte meine Mutter eines Tages einen Zettel, auf dem der Vater den Namen des Verräters nannte“, sagt Hummler.
Anton Hummler gehörte zu einer Gruppe kommunistisch gesinnter Arbeiter um Max Wagner, der Feindsender abhörte und die brisante Informationen streute. Viele Hintergründe über die Widerstandsgruppe mit Verbindungen nach Berlin erfuhr Heinz Hummler erst im Zuge der Recherchen von Wolfgang Kress von der Stolperstein-Initiative Stuttgart-West. 2007 verlegte die Initiative einen Stein vor der ehemaligen Wohnung der Familie Hummler in der Bebelstraße 41/1 in Stuttgart-West.
Ein Spitzel hatte die Gruppe auffliegen lassen. Am 22. September 1943 kam es zu Verhaftungen in Stuttgart, Berlin und Hildesheim, wo der Vater in einem Bosch-Werk arbeitete. „Am selben Tag hat die Gestapo unsere Wohnung in Stuttgart durchsucht“, erzählt Hummler. In der Anzeige der Geheimen Staatspolizei vom 12. Januar 1944, die neben dem Brief des Sohnes in der Dauerausstellung im „Hotel Silber“ zu sehen ist, wird Anton Hummler die „Vorbereitung zum Hochverrat“ vorgeworfen.
1944 zu Tode verurteilt
In den Unterlagen, die die Stolperstein-Initiative aus dem Bundesarchiv angefordert hat, fand sich neben dem Bittbrief des jungen Heinz auch ein Schreiben, das der Vater am Tag seiner Hinrichtung an seine Frau schicken wollte. Der Brief hat nie die Adressatin erreicht. Darüber, dass das Bundesarchiv ihn später nicht an seine Mutter weitergeleitet hat, ist Heinz Hummler heute noch empört. „In diesem Brief schreibt mein Vater, dass man ihm die Möglichkeit eröffnet hat, sich selbst zu töten. Diesen Gefallen wollte er den Herren aber nicht tun“, so der 86-Jährige.
Aus dem Bericht, den die Stolperstein-Initiative über das Schicksal von Anton Hummler und Max Wagner veröffentlicht hat, ist zu entnehmen, dass die beiden zum Tode Verurteilten am 25. September 1944 gegen 11 Uhr im Zuchthaus Brandenburg von ihrer Hinrichtung erfuhren, die kurz darauf vollstreckt wurde. „Die Kosten des Verfahrens“ schreibt Kress, „hatten die Angeklagten zu tragen.“ Die Mitteilung über die Hinrichtung erhielt die Familie erst mehrere Wochen später am 5. Dezember, erzählt Hummler. „Die Veröffentlichung einer Todesanzeige war uns untersagt.“
Für den 86-Jährigen Zeitzeugen, selbst aktiv in der „Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber“, die sich für die Einrichtung der Erinnerungsstätte im Gebäude Dorotheenstraße 10 in den vergangenen Jahren maßgeblich eingesetzt hat, ist die Eröffnung der Gedenkstätte am 4. Dezember „eine Genugtuung“. „Das Vergessen“, betont er, „ist eine gefährliche Sache. Es ist die Erlaubnis zur Wiederholung.“