Sprachlos an die Macht: Der britische Booker-Preist-Träger Howard Jacobson hat sich in seiner Satire „Pussy“ Donald Trump vorgeknöpft. Kann das gut gehen?

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Ist Donald Trump nun ein gefundenes Fressen für Satiriker oder vielleicht nicht doch eher das Gegenteil? Satire besteht in ihrer allgemeinsten Form in der Übertreibung bestimmter Eigenschaften und Züge, um etwas sichtbar zu machen, das sich unter dem Schafspelz der Gewöhnlichkeit versteckt. Was aber, wenn jemand sein wölfisches Wesen so unbeirrt zur Schau trägt, dass an Schafigkeit nur noch ein merkwürdiges Haarteil von Ferne erinnert, wohingegen jede Blöße, jeder Makel, jede Niedertracht dem Betrachter ungeniert entgegengeschleudert wird? Wo jede Lebensäußerung sich sogleich bis auf ihren boshaftesten Kern selbst entblättert und sich als wirres Gezwitscher der ganzen Welt vernehmlich macht, wandelt sich der nüchterne Berichterstatter zum Satiriker wider Willen, und der Realismus wechselt die Seiten. „In der Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt“, heißt es bei Friedrich Schiller. Niemand verkörpert die politische Wirklichkeit als Mangel derzeit so virtuos wie Donald Trump.

 

Wie aber konnte es dazu kommen? Dieser Frage geht der britische Booker-Preis-Träger Howard Jacobson in seinem neuen Roman mit dem sprechenden Titel „Pussy“ nach. Die „Washington Post“ feiert das Buch als „gedruckte, eiskalte Rache“, der „Guardian“ will darin möglicherweise den einzig positiven Effekt von Trumps Präsidentschaft erkennen.

Satirisches Seitenstück zu „Fire and fury“

Im Stuttgarter Tropen-Verlag ist es nun auf Deutsch erschienen. „Pussy“ kann als das satirische Seitenstück zu „Fire and Fury“ des amerikanischen Journalisten Michael Wolff gelten, das gegenwärtig in aller Munde ist, weil es in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaß die realsatirischen Züge dieser Präsidentschaft sichtbar macht – im nächsten Monat kommt auch hier die deutsche Ausgabe auf den Markt. Und um es gleich vorwegzunehmen: Ähnlich komische Sätze wie jene, die der wie auch immer freizügig arbeitende Journalist Wolff Trump in den Mund legt, hat der sämtliche poetische Freiheiten nutzende Romancier nicht zu bieten.

Jacobson erzählt in spätrömisch getöntem Setting von Kindheit, Erziehung und Aufstieg des jungen Fracassus zum Herrscher der von allerlei Unruhen erschütterten Republik Urbs-Ludus und der Föderation Aller Republiken. Von seinem Vater, einem reichen Immobilienfürst und „Monopoly“-Aristokraten, dazu ausersehen, einmal den politischen „Schweine-Pferch“ auszumisten, zeigt der Sprössling schon früh eine ausgeprägte Neigung, sich einen Dreck um die Meinung der Welt zu scheren, er „spuckte, spie und furzte“. Selbst den Vater irritiert sein Verhalten: „Der Junge ist unheimlich, dachte er manchmal. Er hat keinen Charme, ist nicht hübsch und besitzt keinen Humor, ist zu langsam, ungesellig und trotzdem arrogant.“

Zwei Hauslehrer sollen es richten, sein Ausdrucksvermögen über die von ihm bevorzugten drei Begriffe „Scheiße, Nigger, Fotze“ auszudehnen und wenigstens die Bandbreite seiner Pejorativa zu erweitern. Und so lernt der Zögling irgendwann mit seinem eingeschränkten Sprachvermögen die unentdeckte Zone zwischen den Polen „Meinen, was man sagt“ und „Nicht meinen, was man sagt“ zu besetzen. Nach einer Grand Tour durch die Diktaturen der Welt und der Initiation in die mit wenigen Worten vieles bewirkende Kunst des Twitterns bahnt eine Fernsehkarriere den Weg von der seichten Unterhaltung in die Annalen der Politik.

Die Aufklärung sieht alt aus

„Das Wort ,ich‘ schoss in seinem Gehirn klickernd umher wie eine Tivoli-Kugel in einer verlassenen Basilika“, heißt es einmal über die intellektuellen Eigenschaften, die sich unter dem gelben Haar ballen, das sich in jedwede Form bringen lässt, die der Erfindungsreichtum seines Trägers vorsieht.

Die Idee, den Werdegang eines menschgewordenen Offenbarungseids aller Bildungsanstrengungen als Bildungsroman zu erzählen, ist durchaus apart. Und kunstvoll verschlüsselt gliedert Jacobson nebst den einschlägigen Akteuren sämtliche Diagnosen über die Populismen unserer Zeit, die die versammelten Feuilletons der Systempresse hergeben, seiner Geschichte ein. Post-Demokratie, Mediokratie, Identitätspolitik, Korrektheitswahn – alles, was erklären kann, warum sich entwickelte Gesellschaften derzeit so bereitwillig ihrer Vernunft entledigen, wird mit einem terminologischen Aufwand eingekleidet, der in krassem Gegensatz zur Ausdruckskraft des Protagonisten steht.

Doch trotz dieser ausgeklügelten Maskerade wird man das Gefühl nicht los, dass das eigentliche satirische Schauspiel derzeit auf einer anderen Bühne stattfindet. So aktuell Jacobsons Roman sein mag, so überholt wirkt seine Darstellungsform. Die gut gemeinte Didaktik lässt die Aufklärung, in deren Tradition er sich stellt, ziemlich alt aussehen. Kein gutes Zeichen.

Howard Jacobson: Pussy. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass. Tropen-Verlag. 272 Seiten, 16 Euro.