Hubert Aiwanger geht freiwillig ins Haifischbecken. Auf Twitter, wo man nur wenige falsche Worte wählen muss, um die Wolfsrudel anzulocken, kämpft er wie ein Löwe. Der Bayern-Politiker erklärt, warum er sich das antut.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Huber Aiwanger trifft den Nagel auf den Kopf. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, wenn er im Februar ein Video, nein, ein Beweisvideo auf Twitter teilt, wie er bei einer Veranstaltung zum Tag des Handwerks in Bayern einen Nagel mit dem Hammer in einen Holzklotz haut.

 

„Herr Dr., haben Sie schon mal einen Nagel mit dem Hammer so rum reinbekommen? Ich schon.“, twittert Aiwanger adressiert an einen Kritiker, „indem Sie sich darüber lustig machen, zeigen Sie, dass Sie nicht wissen, dass das in Fachkreisen als zusätzlicher Schwierigkeitsgrad gilt.“

Die Vorgeschichte: Hubert Aiwanger hatte kurz zuvor in einem anderen Tweet gefordert, in Bayern solle niemand das Abitur bekommen, der keinen Hammer in ein Stück Holz schlagen könne. Dazu das Foto, das ihn mit dem Hammer zeigt, den er augenscheinlich falsch herum hält, also mit der spitzen Seite zum Nagel. Hunderte hatten sich über ihn lustig gemacht. Mal wieder.

Hubert Aiwanger ist Bayerns Wirtschaftsminister, außerdem Chef der dortigen Freien Wähler, die gemeinsam mit der CSU regieren, und stellvertretender Ministerpräsident von Söders Gnaden. Und er ist, für Landespolitiker eher untypisch, zu einer echten Größe im Twitter-Kosmos herangereift. Seine 33.000 Follower spiegeln das gar nicht so recht wider. Immer wieder schafft es der Hashtag „Aiwanger“ in die Deutschlandtrends, untypisch setzt er #Aiwanger auch hinter viele seiner eigenen Tweets. Seinen eigenen Namen unter eigenen Beiträgen verschlagworten, das macht sonst eigentlich niemand.

Einmal, im Spätsommer 2022, geriet er bundesweit wegen eines Tweets in die Schlagzeilen. „Herr Aiwanger, wir bräuchten mehr Politiker wie Sie. (...) Sie sind ein Kämpfer und haben sich den Posten als bayrischer Wirtschaftsminister hart erarbeitet.“, schrieb er über sich selbst, was mit dem eigenen Profilbild über dem Beitrag ziemlich bizarr anmutete. Während seine Kritiker, die ihn gerne „Hubsi“ nennen, schon über einen Zweitaccount oder gar eine Persönlichkeitsspaltung spekuliert hatten, klärte der Politiker später auf, er habe „lediglich weitergeleitet, wie andere kommentieren.“

Kurzum: Aiwanger bewegt sich in dem besonders sensiblen sozialen Netzwerk, in dem auch schon Kleinigkeiten Shitstorms auslösen können, manchmal wie der Elefant im Porzellanladen. Und generiert damit eine Menge Aufmerksamkeit. Ist es kalkuliert? Und was bewegt den Konservativen, teils täglich Posts in zweistelliger Höhe ausgerechnet dort zu hinterlassen, wo nach Einschätzung des Twitter-Gründers Jack Dorsey eher linksgerichtete Meinungen vorherrschen?

Für Hubert Aiwanger ist die Sache klar: Er gegen die woke Twitterwelt. „Im Prinzip geht es mir darum, die Welt der Vernünftigen gegen die Verrückten zu verteidigen, die scheinbar immer mehr werden“, sagt Aiwanger am Telefon. Seine Tweets würden zwar viel Gegenwind bekommen und aber auch viel Beifall erreiche ihn oft per Direktnachricht, also hinter vorgehaltener Hand. „Viele trauen sich gar nicht mehr in dieses Gefechtsfeld“, schließt der Politiker daraus.

Aiwanger: „War noch nie betrunken“

Aber warum tut er es sich dann an, sich tagtäglich Gemeinheiten auszusetzen? Aiwanger pausiert kurz. „Eigentlich streite ich nicht gerne. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch.“ Aber er könne nicht dabei zusehen, wie vernünftige Meinungen dort systematisch gemobbt würden. „Das wäre unterlassene Hilfeleistung an der Öffentlichkeit“, formuliert es Aiwanger wunderbar twitterbar.

Das Ergebnis: Man kann als Beobachter den Eindruck gewinnen, dass Aiwanger in sozialen Netzwerken selbst manchmal systematisch gemobbt wird. „Die schreiben immer wieder: Ist der wieder besoffen? Dabei trinke ich keinen Alkohol und war in meinem Leben noch nie betrunken“. Oder dass er dumm sei. „Ich habe ein Abitur mit 1,9 plus Stipendium“, kontert Aiwanger dann.

Doch ist es wirklich der Job eines stellvertretenden Ministerpräsidenten und Landesministers, sich mit andersdenkenden Twitter-Usern zu zoffen? Für Aiwanger gehört das dazu. Mehr als eine Stunde Twitter in Summe täglich werde es eigentlich nie: „Das lässt sich zwischen den verschiedenen Terminen gut erledigen.“

Von allen sozialen Netzwerken schätzt Hubert Aiwanger Twitter als das wichtigste ein: „Diese Bühne brauchst du als Politiker, um Meinung zu platzieren.“ Der von Elon Musk gekaufte Dienst sei „Schauplatz der Politik und darf nicht zur No-Go-Area für vernünftige Meinungen werden. Deshalb mach ich das.“

Aiwanger vergleicht Twitter mit Problemvierteln in Berlin, in denen kriminelle Clans herrschten oder Pausenhöfen, auf denen „die Feigen zu zehnt auf einen losgehen ihn bespucken und vertreiben wollen. Aber ich lass mich nicht vertreiben.“ Weder durch Beleidigungen noch durch das „scheinheilige Argument, ob denn ein Minister nichts anderes zu tun hätte oder ob es sich für einen Minister ziemt, sich mit diesen Leuten auseinander zu setzen.“

Strategisch Parallelen zu Trump?

Wolfgang Schweiger lehrt an der Uni Hohenheim Kommunikationswissenschaften und beobachtet als gebürtiger Bayer Hubert Aiwangers Social-Media-Präsenz schon lange. Er hält ihn für einen „sehr auf Öffentlichkeit bedachten Politiker, der versucht, seine eigene Marke zu stärken. Aiwanger greife geschickt „allgemeine Stimmungen der Bevölkerung Bayerns“ auf, agiere zum Teil „haarsträubend populistisch“ und bediene die Mechanismen der Plattformen.

„Die typisch bayrische Bierzelt-Tonalität“ helfe Aiwanger dabei, sich authentisch darzustellen. „Die mit Abstand sinnvollste Strategie in sozialen Medien“, sagt Schweiger. „Strategisch ist eine Ähnlichkeit zu Trump zu erkennen: Auch Aiwanger ist inzwischen eine Twitter-Kultfigur.“ Das habe er ebenfalls mit derart absurden Aussagen erreicht, die so großen Unterhaltungswert hätten, „dass er es aus seiner eigenen Blase hinaus in die des politischen Gegners geschafft hat.“

Auch Söder mache sich lustig

Für den tatsächlichen politischen Erfolg spielen Selbstdarstellungskünste in sozialen Medien nach Einschätzung des Kommunikationsexperten in Deutschland „zum Glück“ eine weit weniger wichtige Rolle als beispielsweise in den USA. „Schaut man sich hier Olaf Scholz oder Angela Merkel an – die sind beide nicht sehr social-media-tauglich“, sagt Schweiger.

Dass Social-Media-Erfolg und politischer Erfolg nicht Hand in Hand gehen müssen, unterstreiche die Situation der Regierungskoalition in Bayern: Dort könne sich Aiwanger gegen CSU-Chef Markus Söder kaum durchsetzen und leiste als kleiner Koalitionspartner kaum Widerstand. „Auch Söder macht sich ja öffentlich über ihn lustig“, sagt Schweiger.