Die Jury des Hugo-Häring-Landespreises hat sieben herausragende Bauten in Baden-Württemberg gewürdigt. Doch unter den Großen Hugos, so die saloppe Bezeichnung der Auszeichnung, ist kein einziges reines Wohngebäude. Das liege nicht an den Architekten, sagt die Jury – und sendet der Politik damit ein deutliches Signal.

Stuttgart - Es ist eine kleine, feine Auswahl herausragender Bauten, die aus dem zweistufigen Hugo-Häring-Auszeichnungsverfahren als Preisträger hervorgehen. 648 Einreichungen hat es in der 18. Runde des bedeutendsten Architekturpreises in Baden-Württemberg gegeben. Fast jede vierte erhielt in der ersten Runde auf Kreisgruppenebene eine Auszeichnung. Auf Landesebene gelten andere Maßstäbe: Sieben gleichwertige Entwürfe, kaum mehr als ein Prozent der Einreichungen, wurden mit einem Hugo-Häring-Landespreis belohnt.

 

Das dreijährige Auswahlverfahren vom Bund Deutscher Architekten, Landesverband Baden-Württemberg, bringt es mit sich, dass sich unter den Gekürten der eine oder andere gefühlt alte Bekannte befindet. Es ist zwar erst zwei Jahre her, seit der Landtag fertig saniert ist. Doch viele haben den auf den ersten Blick kaum veränderten Bau, der doch vor allem im Inneren ein gutes Stück freundlicher erscheint, mittlerweile längst gesehen. Staab Architekten brachten es fertig, die Fassaden aus dunklem Glas unauffällig klimagerecht zu ertüchtigen und den zuvor in sich gekehrten Plenarsaal durch eine Decke aus satiniertem Glas und Sichtfenster ins Foyer behutsam zu öffnen. Das Haus hat sich „die Patina des ersten Parlamentsbaus in Europa nach 1945 bewahrt und strahlt zugleich die Frische einer heutigen Volksvertretung aus“, meint die Jury.

Das Kärcher-Areal ist ein Schwergewicht, ohne zu protzen

Das Kärcher-Areal in Winnenden hat im Original vielleicht noch nicht jeder gesehen. Aber die Architekten Reichel Schlaier aus Stuttgart haben für die Firmensitz-Erweiterung schon so viele Preise erhalten wie wenige andere neuere Bauwerke. Der Erhalt des alten Ziegelei-Schornsteins hat dem Reinigungsgeräte-Hersteller nicht geschadet. Im Gegenteil: Er ist Blickfang, Dreh- und Angelpunkt von Architektur und Ortsgeschichte, um den herum die Architekten aus Ziegeln, Stahl, Glas, wenig sichtbarem Beton und Akzenten in Kärcher-Gelb ein Ensemble komponierten, das mit dem Steg über die Bahnlinie seine Funktion als ökonomisches Schwergewicht ohne zu protzen bestens erfüllt.

Rein statistisch bestätigt das Preisverfahren wieder einmal, dass es in Stuttgart mehr gute Architekten als gute Bauten gibt. Der Stuttgarter Architekt Christof Simon hat jedoch einen Preis für einen Neubau der Hochschule der Medien auf dem Campus Vaihingen gewonnen. Der vierstöckige Sichtbetonkubus offenbart seine Qualitäten erst bei näherem Hinsehen: Lichtführung, durchdachte, präzise und sorgfältige Ausführung in allen Details lassen an eine der ältesten Tugenden der Stuttgarter Schule, das material- und werkgerechte Bauen denken. Ähnliches gilt auch für das Kreativwirtschaftszentrum im Mannheimer Stadtteil Jungbusch, ebenfalls von einem Stuttgarter Büro, nämlich Hartwig Schneider. Ziegelroter Ortbeton mit Bretterschalung lassen den Skelettbau mit breit gelagerten, geschosshohen Fensterflächen wie eine Erweiterung des benachbarten alten Lagergebäudes erscheinen, das mit dem Neubau und einer Plattform am Rand des Kanals eine neue Platzsituation schafft.

Altes um Neues zu ergänzen gelang auch den Tübinger Architekten Hähnig/Gemmeke am Karlsruher Turmberg. Zum 140 Meter über der Stadt gelegenen Bergfried einer mittelalterlichen Burgruine führt seit 1888 die älteste Standseilbahn Deutschlands hinauf. Direkt neben der Bergstation, mit einem kubischen Akzent auf der Gegenseite, schuf das Büro eine Aussichtsterrasse mit Freitreppe zum Sitzen, die in ihrem Wechselspiel aus Massiv- und Hohlform in schlichtem Sichtbeton gut angenommen wird.

Das angehobene Dach des Tankturms bringt Licht und Luftigkeit

Der Hugo-Häring-Preis wird an Architekten und Bauherren vergeben. Im Fall des Heidelberger Tankturms sind beide eins. 1925 bis 1928 nach dem Vorbild des damals ganz neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs von Paul Bonatz erbaut, stand der Turm, der einmal Dampfloks mit Wasser befüllte, seit 1972 leer. Die Architektenarbeitsgemeinschaft Loebner Schäfer Weber erwarb das Gebäude, um in einem der Flügel ihr eigenes Büro einzurichten und den anderen samt Turm öffentlich zugänglich zu machen. Pfiffige Details wie die Anhebung des Walmdachs, um durch ein schmales Fensterband Licht in die bisher ungenutzte Dachetage zu bringen, oder die spektakuläre Öffnung des Wasserkessels, der die oberen Etagen des Turms ausfüllt, machen den lange Zeit unzugänglichen Bau zu einem Treffpunkt und Hingucker. Denkmalschutz muss kein Hindernis sein. Wer ihn als Herausforderung begreift, das zeigt der Tankturm, kann zu spektakulären Ergebnissen gelangen.

Gute Architektur findet sich auch auf dem Lande. Im Zentrum des 800-Seelen-Dorfs Schäftersheim, heute zu Weikersheim gehörig, stand eine dreiflügelige Hofanlage leer. Im Auftrag seiner Schwester, der Kommunal- und Umweltplanerin Martina Klärle, baute der Architekt Rolf Klärle das Anwesen zu einem Plusenergiehaus um, das seinen Überschuss an eine Gratis-E-Tankstelle abgibt. Das frühere Wohnhaus, in dem nun das Büro der Bauherrin untergebracht ist, steckt in einer kubischen Holzhülle mit Satteldach. Ställe und Wagenremise, die ihre alte Bruchsteinfassade der Straße zukehrt, enthalten eine Hebammenpraxis, Veranstaltungsräume und zwei Wohnungen.

Davon abgesehen befinden sich unter den Preisträgern keine Wohnbauten. Das liegt, wie die Jury ausdrücklich betont, nicht an den Architekten. Vielmehr bedauert das Preisgericht, dem neben drei Architekten aus Wien, München und Zürich auch die Redakteurin unserer Zeitung, Amber Sayah, sowie die Direktorin des Linden-Museums, Inès de Castro, angehörten, „grundsätzliche strukturelle Schwächen im Bereich der Landesentwicklungsplanung, aber auch bei derzeitigen städtebaulichen Planungen“, die nicht geeignet seien, „Grundlagen zu bieten, auf denen hochwertige Architektur geschaffen werden kann“. Gemeint sind die Bauordnungen, die neue Wege verhindern, aber auch die unzureichende Bodenpolitik, die statt Vorsorge zu treffen privaten Investoren den Vortritt lässt. Vor diesem Hintergrund sei es „derzeit kaum möglich, beispielhaften Wohnbau zu gestalten“.