Human Abfall in der Manufaktur Sag alles ab!

Die die Provokation liebende Stuttgarter Band Human Abfall ist in der Manufaktur in Schorndorf aufgetreten und hat den Soundtrack zur Situation der Veranstaltungswirtschaft im Jahr 2020 geliefert.
Schorndorf - Nein, nicht abgesagt, sondern ausverkauft ist das Konzert. Human Abfall, die Band für den lauten, konsumkritischen Post-Punk, spielt in der Schorndorfer Manufaktur, am Freitagabend. Flávio Bacon, Sänger, Shouter, „Agitator“, schickt einen irren Blick hinaus in den Saal, den kleine Stuhlgruppen mit großem Abstand füllen. Ein wenig Nebel schwebt zwischen den Musikern; Bacon, der in seiner schwarzen Alltagskleidung wirkt wie ein Büromensch im Wahn der ewigen Trauer, taumelt zur Seite, bleibt stehen mit hängendem Armen und offenem Mund, brüllt: „Ich will keinen neuen Staubsauger!“ Eine bedrohlich tanzbare Musik hüllt ihn ein, krude Riffs und Effekte, harte Rhythmen, Lärm, kalter Rock’n’Roll.
Geschichten aus dem Phrasenbuch der täglichen Ohnmacht
Human Abfall gibt es seit 2011, sie haben zwei Alben veröffentlicht und sich am Stuttgart-Sampler„Von Heimat kann man hier nicht sprechen“ beteiligt, erregten längst Aufmerksamkeit über die Stadt hinaus. Die Kritik ist implizit, allein der Name der Band schon Provokation. Zum Menschenbild von der Mülldeponie gehört das Phrasenbuch der täglichen Ohnmacht, die Sprache der Gebrauchsanweisungen, der Selektion, des kollektiven Versagens, immer irgendwo schon einmal gehört: „Die Parkplatzsituation!“ schreit Flávio Bacon, mit aufgerissenen Augen.
Das Mantra der Veranstaltungswirtschaft im Jahr 2020
JFR Moon und Ringo Stelzl spielen Gitarre, Bass, wechseln sich mitunter ab an ihren Instrumenten. Pavel Schwarz sitzt am Schlagzeug, baut motorische Gerüste auf, exponiert einzelne wuchtige Schläge. Dazu ein Feedback-Sound, der ein Publikum, das sitzen muss, in die Katharsis reißt. „Abgesagt!“, schreit Flávio Bacon, kauert am Boden. Immer wieder: „Abgesagt!“, tief, gepresst, in vielen Betonungen. Der Bass geht neben ihm her wie ein Zahnrad, die Gitarre singt wie ein Winkelschleifer. Das Mantra der Veranstaltungswirtschaft im Jahr 2020 hallt durch den Saal; das Stück, das wirkt wie ein Kommentar zur Stunde, ist tatsächlich fünf Jahre alt. „Haben Sie schon einmal über eine berufliche Neuorientierung nachgedacht?“, fragt Flávio Bacon mit gepresster Stimme das Mikrofon. Noch einmal ruft er: „Abgesagt!“ Der Rest ist Schweigen. Doch halt, nein: Die Ohren klingeln noch.
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