Human Abfall, die Stuttgarter Band mit der kritischen Theorie im Gepäck, sind zurück. „Form & Zweck“, ihr zweites Album, ist erschienen - ein Schritt voran in ungemütliches, aber doch vertrautes Gelände.

Stuttgart - Meinung kommt nicht aus dem luftleeren Raum“, schreit eine Stimme, bedrohlich dominant, belehrend, voller Wut, gepresst. „Nicht daher, wo das Individuum schon viel zu lange feststeckt. Fakten, Fakten, Fakten. Durch Belegung, Querverweise in Vergleiche gesetzt.“ Ein tiefer Bass liegt hinter dieser Stimme, hallende Gitarren. „Denken lernen“ heißt das Stück. Human Abfall, die Stuttgarter Band mit der kritischen Theorie im Gepäck, sind zurück. „Form & Zweck“, ihr zweites Album, erschien vergangene Woche - ein Schritt voran in ungemütliches, vertrautes Gelände.

 

Human Abfall lassen den Post-Punk der frühen 1980er Jahre wieder auferstehen - das verbindet sie mit einer ganzen Reihe von Bands, die zum Aushängeschild der Stuttgarter Szene geworden sind. Sie sind die zweite Band der Stadt, die in den Feuilletons besprochen und in den einschlägigen Musikmagazinen gefeiert wird. „Wir haben einen großen Vorteil daraus gezogen, dass die Nerven eine so gute Presse bekamen“, sagt Flávio Bacon. „Deshalb ist unser Name schon zu Zeiten gefallen, in denen wir noch nicht einmal unsere erste Platte draußen hatten.“

Wenig mehr als zwei Jahre liegt das nun zurück. Human Abfall tourten seither durch Deutschland, spielten in allen großen und in sehr vielen kleinen Städten. Sie wurden beim Music Award Region Stuttgart (MARS) mit dem Zukunftspreis ausgezeichnet, der ihnen 5000 Euro brachte - und damit viel Zeit im Studio von Ralv Milberg im Stuttgarter Süden, jenem Studio, in dem auch Die Nerven ihre Alben aufnehmen.

Abgemischt im Hiphop-Frequenzbereich

„Für uns war das eine luxuriöse Situation“, sagt Flávio Bacon. „Wir mussten nicht in wenigen Tagen das komplette Album aufnehmen, wir konnten uns zwei drei Wochen Zeit nehmen und experimentieren“ - Zeit, in der die Band sich entwickelte. Auf „Form & Zweck“ finden sich natürlich die Zutaten des Erstlings „Tanztee von unten“ wieder - aber auch neue Elemente. Der große Lärm ist verklungen, hallt in der Tiefe nach.

„Wir haben einen Kopf für andere Musik bekommen“, sagt Flávio Bacon, „für schwarze und elektronische Musik. Und auch den Mut zum Minimalismus, wegzugehen von den Noise-Wänden, hin zu den kleinen Sachen, die im Verborgenen weh tun. Das neue Album ist nicht abgemischt wie ein Punk-Album, sondern in Frequenzbereichen, in denen man normalerweise ein Hiphop-Album abmischt.“

Bacon nennt sich Agitator, schreibt alle Texte der Band. Und auf die Kritische Theorie, auf Horkheimer und Adorno, bezieht er sich bewusst: „Das ist mein Handwerkszeug“, sagt er. „Mir hat das sehr geholfen, ich konnte meine moralischen Abgrenzungen darüber festlegen.“ Jene andere, negative, intellektuell geprägte Sichtweise wird vom Publikum angenommen. „Vielleicht, weil das mehr Spielraum für Interpretationen lässt. So sehr ich die Punkplatten der 1970er und 1980er liebe - diese Parolen mag man sich als erwachsener Mensch ja eigentlich nicht mehr anhören.“

Die Angst vor der Tagespolitik

Das neue Album von Human Abfall bringt nicht nur den kleinen Schritt hin zu anderen musikalischen Mustern, sondern auch eine Wendung fort von den betont persönlichen Befindlichkeiten zur Tagespolitik. „Davor“, sagt Bacon, „haben die meisten Bands ein wenig Angst. Was heute aktuell ist, das ist in einem dreiviertel Jahr vielleicht schon ein alter Hut.“

JFR Moon und Ringo nennen sich die beiden Gitarristen der Band; Pavel spielt das Schlagzeug. JFR Moon lebte einige Jahre in Berlin, pendelte für Proben und Studium nach Stuttgart, ist nun wieder zurückgekehrt. „Jetzt“, sagt Flávio Bacon, „sind wir tatsächlich wieder eine Stuttgarter Band.“

Mit Lokalpatriotismus hat das sicher nichts zu tun. „Von Heimat kann man hier nicht sprechen“ hieß der Sampler, mit dem die Szene sich Ende 2013 vorstellte. Seither hat sich diese Szene entwickelt, von anarchischen Experimenten in den Waggons des Nordbahnhofs hin zu einer Qualität.

„Es gibt kaum eine Stadt für mich in Deutschland, in der es so transparent wird wie in Stuttgart, wer einen guten Job hat und wer versucht, auf einem anderen Niveau durchs Leben zu kommen“, sagt Flávio Bacon. „Berlin hat mehr Kultur, aber hier gelingt es leichter.“ Human Abfall wollen bleiben, weiter spielen, weiter experimentieren. Sie haben nun auch, nach langer Suche, einen Proberaum gefunden in der Stadt, sie werden touren, durch Deutschland, Österreich, die Schweiz - und dabei kaum versöhnlicher werden. „Wir bleiben dran.“ Das ist ein Versprechen.