In einem ambitionierten, milliardenschweren Projekt der EU wollen Forscher das menschliche Gehirn im Computer nachbauen. Heidelberger Physiker sind mit dabei.

Stuttgart - Karlheinz Meier hat sich in seinem Forscherleben jahrelang damit beschäftigt, am Europäischen Kernforschungszentrum Cern nahe Genf nach Elementarteilchen zu suchen. Das ist nicht sehr überraschend, denn Karlheinz Meier ist Physiker. Doch inzwischen hat er die klassische Physik hinter sich gelassen und widmet sich dem menschlichen Gehirn. Meier, inzwischen am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg, ist einer der drei Direktoren des Human Brain Project (HBP). Dieses Projekt wird, wie berichtet, von der Europäischen Union zehn Jahre lang mit jährlich 100 Millionen Euro gefördert. Ziel ist es, das gesamte Wissen über die Abläufe im menschlichen Gehirn in eine Computersimulation zu packen.

 

Was bringt einen eingefleischten Physiker dazu, sich statt der elementaren Physik dem menschlichen Denkorgan zu widmen? Und wie es sich für einen Physiker gehört ist es nicht die Faszination der Dinge wie Bewusstsein, Emotionen, Gedanken oder Erinnern. „Dafür sind andere zuständig“, sagt er. Er sei der Technokrat in diesem Projekt. Ihn fasziniere das Nervensystem als eine Art elektrisches Organ, das Informationen sehr effektiv verarbeite. „Das Gehirn vereint in sich vor allem drei interessante Eigenschaften“, erklärt der 57jährige Wissenschaftler. Dieses Organ könne lernen und sich erneuern, sei enorm robust und fehlertolerant, so Meier. So gingen beispielsweise ständig Nervenzellen kaputt, beispielsweise bei übermäßigem Alkoholkonsum. Doch der Mensch könne weiterhin problemlos vernünftig agieren. Werde hingegen in einem Computer ein Prozessor zerstört, sei das gesamte System am Ende. Zudem benötige das Gehirn keine Software, es funktioniere, indem es die Daten selbst organisiere. Wie könne dieses Organ Informationen verarbeiten, ohne vorher programmiert zu werden und ohne ein Betriebssystem zu haben, fragt sich der Physiker. „Das Spektakulärste ist aber der extrem geringe Energieverbrauch von 20 Watt. Das sind weniger, als eine Glühbirne verbraucht, und steht in scharfem Gegensatz zu den vielen Megawatt bei unseren Großrechnern.“ Wenn die modernen Rechenmaschinen noch leistungsfähiger werden, sei der Energieverbrauch nicht mehr zu leisten. All diese Eigenschaften gelte es am Modell nachzuvollziehen – ein ambitioniertes Großforschungsprojekt unter Leitung des Neurowissenschaftlers Henry Markram von der ETH Lausanne.