Humanitäre Organisationen brauchen Spenden. Aber sie müssen ihre Strategien umstellen, um jüngere Zielgruppen zu erreichen. Die Präsenz im Internet wird wichtiger. Längst gibt es bei den Suchmaschinen ein Gedrängel um die guten Plätze.

Stuttgart - Spendengalas im Fernsehen, Kollekten in Kirchen, Benefizveranstaltungen überall: Der Dezember ist für humanitäre Organisationen der stärkste Monat. In der Weihnachtszeit werden fast ein Viertel der Spendeneinnahmen eingeworben. Und die sind in Deutschland gewaltig – rund 5,3 Milliarden Euro sind laut Zahlen des Deutschen Spendenrates 2016 privat gespendet worden. Jeder dritte Deutsche spendet, im Durchschnitt 35 Euro pro Spendenakt, aber gespendet wird 6,7 mal im Jahr. Der Löwenanteil (77 Prozent) geht an die humanitäre Hilfe – mit sinkender Tendenz – ungefähr gleich verteilt auf das Elend in aller Welt und die Not in Deutschland.

 

Aber auch Kultur und Denkmalpflege, Umwelt- und Naturschutz sowie der Tierschutz und der Sport werden bedacht – mit wesentlich kleineren Anteilen. Das laufende Jahr scheint ein Rekordjahr zu werden – schon Ende September gab es ein Plus von einem Prozent im Vergleich zum Vorjahr, schätzt der Spendenrat. Fragt man bei Hilfsorganisationen wie Welthungerhilfe oder Misereor, wird von einem „zufriedenstellendem Trend“ berichtet, deutlich liege der Zuwachs über dem Vorjahr. Es mag zynisch klingen, aber jede Katastrophe, die in den Medien große Aufmerksamkeit findet, lässt die Kasse klingeln: Das war 2015 beim Erdbeben von Nepal der Fall, das war auch in diesem Jahr mit der Dürrekatastrophe in Ostafrika sowie der Vertreibung der Rohingya aus Myanmar so. Auch bei Brot für die Welt, dem Hilfswerk der evangelischen Landeskirchen, deuten alle Signale auf ein starkes Plus hin: „Wir werden vermutlich 2017 einen guten Zuwachs haben. Allein bis vergangenen Samstag erhöhte sich das Spendenaufkommen bei Privatspendern im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13 Prozent, bei der Diakonie Katastrophenhilfe sogar um 36 Prozent“, sagt Dieter Pool, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Pool hat für Brot für die Welt einen regional auffälligen Trend beobachtet: An der Spitze der Hilfsbereitschaft stehen Baden-Württemberg und Bayern: „Hier liegt der Durchschnitt mit fast 200 Euro pro Jahresspende wesentlich höher als in anderen Regionen.“ Aber auch aus dem Raum Frankfurt am Main und Nordrhein-Westfalen kommen hohe Zuwendungen. „Wir brauchen diese Spenden für unsere Projekte in über 90 Ländern der Welt“, sagt Pool. Die meisten Spender werden noch mit dem Mailing – ein klassisches Anschreiben per Post – oder bei Kollekten erreicht. Das Internet gibt bisher nur in 2,3 Prozent aller Fälle den Anstoß für eine Spende.

Spendenorganisationen haben ein demografisches Problem

Und dennoch müssen humanitäre Verbände das Web stärker in den Blick nehmen. Denn das Spendenwesen hat ein demografisches Problem. Daniela Geue, Geschäftsführerin beim Spendenrat, berichtet, dass mehr als 40 Prozent des Spendenvolumens von Menschen über 70 Jahren stamme – die Nachkriegs- und Wiederaufbaugeneration ist von starkem Hilfswillen geprägt. „Bei den sogenannten Babyboomern im Alter von 50 bis 60 ist das Spendenverhalten hingegen zurückhaltend, bei den 40 bis 49-jährigen sogar rückläufig“, sagt Geue. Die Hilfswerke müssen die jüngere Generation stärker umwerben, wollen sie den Nachwuchs an Geldgebern sichern.

Einigen Organisationen – etwa der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) – gelingt das ganz gut mit Jugendprojekten; die DLRG hat steigende Mitgliederzahlen (plus 1,5 Prozent). Andere wie das bischöfliche Hilfswerk Misereor haben eigene Strategien entwickelt: „Wir haben die Kampagne Zwei-Euro-Helfen eingeführt, die junge Erwachsene ans Spenden heranführen soll – bis zu 30 000 junge Leute machen schon mit“, sagt Andreas Lohmann von Misereor. Bei dem auf Patenschaften spezialisierten Verein Plan-International ist ein Jugendnetzwerk gegründet worden, ein Beirat mit jungen Leuten entwickelt in Workshops neue Kampagnen. Bei den Hilfswerken wird mit Interesse registriert, dass durch Aktionen an Schulen – etwa Orangenverkauf für eine indische Schule – bei den ganz Jungen ein Bewusstsein für globale Solidarität geweckt wird. Längst sind Hilfswerke in sozialen Netzwerken wie Twitter aktiv.

Präsenz in den Suchmaschinen ist wichtig

Auf den ersten Blick mutet es merkwürdig an, dass Hilfswerke bei Suchmaschinen wie Google hohe Preise für sogenannte Adwords bezahlen. Beim Anklicken eines Suchbegriffs werden sie mit einer Anzeige präsentiert. „Eine Präsenz in den Suchmaschinen ist immens wichtig, nicht nur fürs Spendenaufkommen, sondern um Menschen zu erreichen“, heißt es bei SOS-Kinderdorf. Gerade Suchwörter wie „Spende“ oder „Patenschaft“ seien bei Google aber „extrem teuer“, sagt Katja Homscheid, die bei der Welthungerhilfe fürs Online-Fundraising zuständig ist. Der Welthungerhilfe-Geschäftsführer Till Wahnbaeck hat einmal erläutert, dass bei den Stichworten „Hungersnot“ und „Afrika“ bei Google die Welthungerhilfe-Anzeige relativ weit oben erscheine: „Für diese Werbung zahlen wir. Das kann bis zu vier Euro pro Klick betragen.“ Werde eine gute Platzierung aber zu teuer, steige man aus. Die Welthungerhilfe gibt 3,6 Prozent des Budgets für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit aus, bei Brot für die Welt beträgt der Anteil 2,2 Prozent, bei SOS-Kinderdorf neun, bei Plan International 12,8 Prozent.

Das Anklicken im Netz kostet – für manche Hilfswillige ist das gewöhnungsbedürftig. „Aber die Adwords-Schaltung zahlt sich in jedem Fall aus“, sagt Katja Homscheid. Bei den dreistelligen Beträgen laufen schon zehn Prozent der Spenden für die Welthungerhilfe über Online-Überweisungen.