Wie Hunde mit Stress umgehen, hängt unter anderem von den Eigenschaften des Halters ab.

Stuttgart - Irgendwie wirkt die Frau ein bisschen unheimlich: Langer, schwarzer Mantel, Kapuze, Ski-Maske über dem Gesicht. Nur die Augen der Fremden sind zu erkennen – und die starren einen auch noch pausenlos an, während sie langsam näher kommt. Kein Wunder, dass die meisten Hunde diese Situation als leicht bedrohlich empfinden. Dabei ist die Sache in Wirklichkeit vollkommen harmlos. Es handelt sich nur um einen Stresstest, mit dem Forscher der Universität Wien das Verhalten von Hunden und ihren Haltern untersucht.

 

Iris Schöberl und ihre Kollegen würden gern besser verstehen, wie die Beziehungen zwischen Zwei- und Vierbeinern funktionieren. „Hunde spielen in der Gesellschaft schließlich eine ganz wichtige Rolle“, sagt die Forscherin. Doch nicht immer funktioniert das Zusammenleben reibungslos. Mal bilden Hund und Halter ein souveränes Gespann, das auch schwierige Situationen einigermaßen entspannt meistert.

In anderen Fällen herrscht an beiden Enden der Leine der pure Stress. „Da fragt man sich natürlich, wie diese Unterschiede zustande kommen“, sagt Iris Schöberl. Liegt es an der Persönlichkeit der Beteiligten? An der Art der Bindung zwischen beiden? Oder woran sonst? Um das herauszufinden, hat das Wiener Team 132 Familienhunde und ihre wichtigsten Bezugspersonen getestet. Jeder Halter füllte mehrere Fragebogen aus, mit deren Hilfe sich seine eigene Persönlichkeit, die seines Hundes und die Beziehung zwischen beiden einschätzen ließ.

Es kommt auf die Art der Bindung an

„Die Art der Bindung kann man auch mit einem psychologischen Experiment untersuchen“, sagt die Forscherin. „Das funktioniert bei Hunden ganz ähnlich wie bei Kleinkindern“. Mensch und Tier betreten gemeinsam einen unbekannten Raum. Nach drei Minuten kommt ein Fremder dazu, der Besitzer verschwindet für drei Minuten und kehrt dann wieder zurück. Interessant ist, wie der Hund auf dieses Wechselspiel reagiert.

„Für Hunde mit einer sicheren Bindung dient der Halter als verlässliche Basis und sozialer Unterstützer“, erklärt Iris Schöberl. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass sie in dessen Beisein mehr spielen als sonst. Oder daran, dass sie ihn bei seiner Rückkehr begeistert begrüßen. Wenn ein Hund dagegen die An- oder Abwesenheit seines Menschen weitgehend ignoriert, ist das ein Zeichen für eine unsicher-distanzierte Bindung.

Die Forscher wollten wissen, wie unterschiedlich „tickende“ Hunde und Halter mit Stress umgehen. Also haben sie beobachtet, wie sich jedes Duo in verschiedenen Situationen verhielt. Mal stand reines Spielen auf dem Programm, mal galt es, gemeinsam eine Aufgabe zu lösen. So sollte die jeweilige Bezugsperson ihren Hund über eine Maschendraht-Brücke auf eine wackelnde Plattform führen. Und dann war da noch die Sache mit der Skimasken-Trägerin, der das angeleinte Tier mal allein und mal zusammen mit seinem Besitzer gegenüber stand.

Stresstest mit Speichelprobe

Vor und nach den Tests haben die Forscher von Mensch und Tier Speichelproben genommen und darin die Konzentration des Stresshormons Kortisol gemessen. Je höher diese ausfiel, umso stärker stand der jeweilige Proband unter Druck. Doch aus den Kortisol-Werten kann man noch mehr herauslesen. „Je stärker sie schwanken, umso besser scheint der Hund oder der Halter mit Stress umgehen zu können“,sagt Iris Schöberl. Effektives Stressmanagement bedeutet, dass der Körper bei Bedarf rasch die entsprechenden Hormone ausschüttet. Sobald sich die Lage wieder entspannt, reguliert er den Pegel aber auch wieder herunter.

Ein konstant hohes Kortisol-Niveau deutet dagegen darauf hin, dass ein Mensch oder Tier weniger flexibel auf Herausforderungen des Alltags reagieren kann. Wie gut die Stressbewältigung funktioniert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein Teil der Unterschiede ist genetisch bedingt, ein weiterer kommt durch den Einfluss der Mutter in der Schwangerschaft zustande. Wichtig sind auch die Erfahrungen, die ein Mensch oder Tier im Laufe seines Lebens gemacht hat. Und da kommen bei Hunden vor allem die Besitzer ins Spiel.

„Ein sicher gebundener Hund hat gelernt, dass er sich auf seinen Halter verlassen und von ihm Unterstützung erwarten kann“, sagt Iris Schöberl. Möglicherweise ist das der Grund dafür, dass solche Tiere niedrige Kortisol-Werte und damit ein effektives Stressmanagement zeigten – zumindest, solange ihr Mensch anwesend war. Wenn sie mit ihm spielten, sank ihr Kortisol-Spiegel, sie entspannten sich also. Anders sah es aus, wenn sie allein mit einer Bedrohung konfrontiert waren. Dann reagierten sie deutlich gestresster als unsicher gebundene Artgenossen, die von ihrem Besitzer ohnehin keine Hilfe erwarteten.

Optimismus kann sich übertragen

Neben der Art der Bindung spielte auch die Persönlichkeit der zweibeinigen Versuchsteilnehmer eine wichtige Rolle. Die stressresistentesten Hunde gehörten optimistischen Haltern, die offen für neue Situationen und Bekanntschaften waren. Haben solche Persönlichkeiten vielleicht ein besonders gutes Stressmanagement und übertragen das auf ihren Hund? Iris Schöberl hält das durchaus für möglich: „Hunde können sehr gut erkennen, wie Menschen drauf sind“, sagt die Forscherin. „Und es ist auch nachgewiesen, dass sich Stimmungen zwischen Mensch und Tier übertragen können“. Das funktioniert auch im Negativen. Wenn für den Besitzer das Glas immer halb leer ist und er immer mit dem Schlimmsten rechnet, steckt er seinen Hund womöglich damit an.

Doch nicht nur der Zweibeiner beeinflusst das Stressverhalten seines Vierbeiners, es gibt auch Wirkungen in umgekehrter Richtung. Dabei ist vor allem das Geschlecht von Tier und Besitzer entscheidend. So sind Rüden in Frauenhand den Ergebnissen der Wiener Forscher zufolge oft weniger entspannt und kontaktfreudig als solche mit männlichen Bezugspersonen. Woran das genau liegt, ist bisher unklar.

Unterschiedliche Geschlechterkombinationen

Jedenfalls schlägt es offenbar auch auf den Menschen zurück: Bei Frauen mit Rüden variierten die Kortisol-Werte deutlich weniger als bei allen anderen Geschlechter-Kombinationen. Die Besitzerinnen konnten offenbar weniger gut mit Stress umgehen. Sollten Frauen also lieber Hündinnen halten? Diesen Schluss würde Iris Schöberl aus ihren Experimenten nicht ziehen. „Das Geschlecht ist ja nur einer von vielen Faktoren, die das Stressmanagement beeinflussen“, sagt die Biologin. Für eine Frau mit offener und optimistischer Persönlichkeit sei ein Rüde oft kein Problem. Doch bei einer ohnehin eher unsicheren und verschlossenen Halterin könne es anders aussehen.

Solche Erkenntnisse nutzt die Forscherin auch in der Praxis. Sie hat schon etliche Besitzer beraten, die Probleme mit ihrem Vierbeiner hatten. Mal ging es um Stress oder Angst, mal um Aggressionen oder Hyperaktivität. „Sich nur auf den Hund zu konzentrieren, hilft in all diesen Fällen nicht weiter“, so Iris Schöberl. So könne sich das selbe Tier ganz unterschiedlich verhalten – je nachdem, mit welchem Familienmitglied es unterwegs sei. Ein reines Hundetraining bringe daher wenig: „Zu neunzig Prozent arbeite ich mit den Besitzern.“

Stress, lass nach!

Stresshormone schütten Menschen und Tiere unter anderem dann aus, wenn sie in besonders herausfordernde Situationen geraten. Das können körperliche Anstrengungen sein, aber auch psychische Belastungen oder Bedrohungen. Der biologische Zweck ist klar: Die Botenstoffe ermöglichen es dem Körper, angemessen zu reagieren. Wenn etwa eine Gefahr droht, sollte man sich so schnell wie möglich zwischen Kampf und Flucht entscheiden. Beides aber kostet viel Energie, so dass der Organismus an ein paar körpereigenen Stellschrauben drehen muss.

Adrenalin ist wohl das bekannteste unter den Stresshormonen. Es wird im Mark der Nebenniere gebildet und löst eine ganze Reihe von Effekten aus. So steigert es die Herzfrequenz, erhöht den Blutdruck und erweitert die Atemwege. Zudem kurbelt es den Fettabbau und die Freisetzung von Traubenzucker an und stellt so rasch Energie zur Verfügung. Auch das verwandte Noradrenalin, das ebenfalls in der Nebenniere produziert wird, regt das Herz-Kreislauf-System an. Es verengt die kleinen Arterien im Körper und lässt so den Blutdruck steigen.

Kortisol wird ebenfalls in der Nebennierenrinde gebildet. Es wirkt aber etwas langsamer als Adrenalin und Noradrenalin. Seine Aufgabe besteht in erster Linie darin, dem Körper durch verschiedene Stoffwechselprozesse energiereiche Verbindungen zur Verfügung zu stellen. So fördert das Hormon die Neubildung von Traubenzucker in der Leber und wirkt sowohl auf den Fett- als auch auf den Proteinstoffwechsel. Zudem dämpft Kortisol das Immunsystem. Deshalb wird es in der Medizin gegen überschießende Immunreaktionen und Entzündungen eingesetzt.