Das Schild mit der durchgestrichenen Hundesilhouette am Eingang des Amtsgerichts Stuttgart macht unmissverständlich klar: Hunde haben hier keinen Zutritt. Sabine Kubinski und Jessica Nagl gehen mit den Hündinnen Daika und Viva und dem Rüden Al Capone durch die Drehtür. Drei ausgewachsene und lebhafte Altdeutsche Schäferhunde betreten das Foyer. Ein Wachmann sieht sie – und bricht in Begeisterung aus: große Wiedersehensfreude! Denn diese drei Vierbeiner sind im Stuttgarter Amtsgericht willkommene Gäste. Das liegt an ihrer besonderen Aufgabe, die vor allem die Hundedamen Daika und Viva in der Zeugenbegleitung wahrnehmen. Al Capone ist vorwiegend in der Straffälligenhilfe im Einsatz. Sie helfen, wenn jemand eine Stütze braucht, um im Zeugenstand den Mut zu behalten.
Im Saal zeigt Jessica Nagl, was die Aufgabe von Mutter Daika und Tochter Viva ist: Die zweieinhalbjährige Viva legt sich neben den Zeugentisch. Sie bekommt eine kurze Leine, an der Zeuginnen und Zeugen sie halten dürfen. Nach kurzer Zeit ist Viva total entspannt. „Oft schläft sie auch.“ Und damit erfüllt sie ihre Aufgabe, im Schlaf macht sie ihren Job. Die Hunde geben Halt und Sicherheit, nehmen Nervosität. Denn wer auf diesem Stuhl sitzt und von Viva oder Daika begleitet wird, hat Schlimmes erlebt. „Oft sind es Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten“, erläutert Sabine Kubinski von Prävent Sozial, einer gemeinnützigen GmbH, die sich dem Opferschutz, der Prävention und der Resozialisierung verschrieben hat.
Diese Ruhe hilft. Kinder, die aussagen müssen über traumatisierende Taten, wissen: Der Hund ist da. Sie fühlen: Der Hund ist ruhig. Deswegen seien auch die Altdeutschen Schäferhunde gut geeignet, sagt Sabine Kubinski. „Sie haben eine gewisse Grundruhe.“ So lebhaft die Geschwister Al Capone und Viva mit ihrer Mutter Daika durch den Raum fegen können, so mucksmäuschenstill können sie auch sein.
Auf ihrer Decke sind die Hunde vollkommen ruhig
„Wir arbeiten mit einem Deckenbefehl“, sagt Kubinski. Die Hunde bekommen ihre Decke neben den Zeugenplatz gelegt und wissen: Wenn sie dorthin geschickt werden, ist Pause. Dann sollen sie nicht auf Unruhe, Angespanntheit oder sonstige Störfaktoren um sie herum reagieren. Wer mehr Kontakt braucht als nur die kurze Leine, dürfe auch nach unten fassen und das flauschig-weiche Fell streicheln. Wer noch mehr Kontakt braucht, kann auch mit Hundekopf auf dem Knie aussagen. Die Decke ist dabei immer die gleiche, damit die Hunde eine klare Orientierung haben. Und noch etwas zeigt ihnen, wann sie im Dienst sind: Sie bekommen ein Halstuch umgebunden.
Bislang hätten Richterinnen und Richter überwiegend positiv auf die Hunde reagiert. Nur in ganz wenigen Fällen sei ihnen Skepsis entgegengeschlagen. Eine Richterin sei dann aber über ihren Schatten gesprungen, habe die Begleiterin auf vier Pfoten zugelassen – und war am Ende auch überzeugt von der Hilfe, die das Tier für die Person im Zeugenstand darstellt.
Allergien werden vorab abgeklärt
Was man natürlich im Vorfeld immer abklären muss: Ist jemand allergisch? Das gilt auch für die Büroräume. „Wir sind Mitglied im Bundesverband Bürohunde“, sagt Sabine Kubinski. Mit Hunden muss man auf den Fluren und in den Büros immer rechnen, und alle Mitarbeitenden wissen von dieser Unternehmensentscheidung. Mit Gästen wird sie besprochen.
Wenn man die drei Familienmitglieder Daika, Viva und Al Capone beobachtet, merkt man schnell, was Jessica Nagl und Sabine Kubinski so fasziniert an der Arbeit mit den Tieren: „Jeder Hund hat auch einen anderen Charakter“, sagt Jessica Nagl, die ehrenamtliche Helferin ist. Die Hundebegeisterung brachte sie zu der Aufgabe, von der sie über den privaten Kontakt zu Sabine Kubinski erfuhr, die hauptamtlich bei Prävent Sozial tätig ist.
Auf die flauschigen Altdeutschen Schäferhunde fiel die Wahl, weil sie eine Wesensfestigkeit mit sich bringen. Eine gewisse Grundruhe, bei allem Temperament. Kleiner Tipp am Rande: Niemals „Hallo!“ sagen, wenn alle drei im Haus sind. Das, so verrät Sabine Kubinski – etwas zu spät –, ist für die drei, insbesondere für Al Capone, das Signal, dass jemand an der Tür ist.
Und da müssen sie natürlich zeigen, wer hier das lautere „Hallo“ hervorbringt. Im Gerichtssaal ist das gleichwohl noch nicht passiert: Die Situation einer Begegnung mit Zuhörern habe es noch nicht gegeben. „Bislang waren wir nur in nichtöffentlichen Sitzungen im Einsatz“, sagt Kubinski. Auch bei hochsensiblen Videovernehmungen, wie sie die Polizei zum Beispiel bei Kindern macht, die missbraucht wurden, können die Begleithunde dabei sein.
Hunde spüren, ob Menschen angespannt oder entspannt sind
Al Capone ist zwar Familienmitglied, aber in einem anderen Aufgabengebiet im Einsatz. Er wird beim Training mit Straffälligen eingesetzt. Sie sollen lernen, auch unbewusste Körpersignale, die sie aussenden, zu kennen und wahrzunehmen. Merkt Al Capone bei einer Übung, dass das Gegenüber total angespannt ist, „dann sagt er mach deine Übung doch alleine“, schildert Sabine Kubinski. Hunde nehmen hochsensibel wahr, ob ein Mensch innerlich angespannt oder ruhig ist.
Die Ruhe selbst ist hingegen die sonst so lebendige und umsichtige Hundemutter Daika. Sie gibt eine Kostprobe, wie sie mit ihrer Ruhe Kraft gibt. Daika hat sich neben den Zeugenplatz gekuschelt – und schläft eine Runde im Gerichtssaal.
Prävent Sozial
Prävent Sozial ist eine gemeinnützige GmbH. Einziger Gesellschafter ist der Bewährungshilfe e. V., der 1951 gegründet wurde. Aufsichtsratsvorsitzender von Prävent Sozial ist Matthias Merz, Richter am Oberlandesgericht Stuttgart.
Aufgaben
Prävent Sozial hat sich der Resozialisierung straffällig gewordener Menschen, der Prävention, dem Opferschutz und dem Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten verschrieben.