Vor hundert Jahren wurde das Kunstgebäude eröffnet, und ausgerechnet jetzt muss die Kunst raus, weil dort der baden-württembergische Landtag vorübergehend einzieht.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Es wird ein aufregender Tag gewesen sein. Vor einhundert Jahren, am 8. Mai 1913 wurde das Kunstgebäude eröffnet. Es war ein Geschenk von König Wilhelm II. an die Stadt und ihre Künstlerinnen und Künstler. Der Stuttgarter Künstlerbund bekam endlich eine Heimat – und seither ist das markante Gebäude mit dem goldenen Hirsch auf der Kuppel ein zentraler Ort der Kunst. Auch wenn Stuttgart – anders als Tübingen, Düsseldorf oder Frankfurt – keine eigene Kunsthalle besitzt, hatte die Stadt mit dem Kunstgebäude bisher zumindest einen Veranstaltungsort mitten in der Stadt, der für besondere Ausstellungen genutzt werden konnte.

 

Grund genug, den hundertsten Geburtstag zu feiern. Doch Ironie des Schicksals: der Festakt am Mittwochabend, bei dem der Finanzminister Nils Schmid und der Oberbürgermeister Fritz Kuhn sprechen werden, findet nicht etwa im Kunstgebäude statt – sondern vis-à-vis im Neuen Schloss. Denn im Kunstgebäude wird derzeit gehämmert und gebohrt – im Zuge des „medientechnischen Bestandsumbaus zur Interimsnutzung“, wie es offiziell heißt. Das Kunstgebäude wird umfunktioniert in einen Plenarsaal – wegen der Sanierung des baden-württembergischen Landtags. Am 25. September wird im Kuppelsaal die erste Sitzung des Parlaments stattfinden.

Es ist letztlich absurd, das Kunstgebäude zu feiern, obwohl man es als solches offensichtlich nicht zu schätzen weiß. Wie sonst lässt sich erklären, dass dieses Haus, das der Kultur und der Bevölkerung dienen soll, so sträflich zweckentfremdet wird? Dabei ist in den vergangenen Jahren viel getan worden, um diesen Standort für die Kunst zu stärken. 4,5 Millionen Euro wurden in die Sanierung investiert. Außerdem wurde eine sinnvolle Lösung gefunden zur Nutzung der Räume – endlich.

Ständig gab es Krach um das Kunstgebäude

Denn das Kunstgebäude stand über viele Jahre hinweg regelmäßig für Schlagzeilen. Es gab ständig Krach. Bevor das neue Kunstmuseum eröffnet wurde, mussten sich der Württembergische Kunstverein Stuttgart und die Galerie der Stadt Stuttgart die Räume teilen. Leicht gesagt, aber zwischen dem damaligen Galerieleiter Johann-Karl Schmidt und den wechselnden Leitern des Kunstvereins knirschte es gewaltig. Auch nach dem Auszug der Städtischen Sammlung tat man sich schwer, dem Haus ein klares Profil zu geben. Wissenschaft, Wirtschaft und Schöne Künste sollten unter dem Dach vereint werden – also ein buntes Potpourri aus radikal neuer Kunst und Landesausstellungen zu unterschiedlichsten Themen. Das Kunstgebäude als eine Art eine Mehrzweckhalle.

Als Iris Dressler und Hans Christ 2005 die Leitung des Kunstvereins übernahmen, hieß das für sie, dass sie im Winter 3000, im Sommer 950 Quadratmeter zur Verfügung hatten und schauen konnten, wie sie inhaltlich, finanziell und personell mit diesen sich ständig ändernden Verhältnisse umgehen. Erst kürzlich wurde entschieden, dass der Kunstverein Glastrakt und Vierecksaal bekommt – und der Kuppelsaal für andere Ausstellungsprojekte genutzt wird.

Der arme König würde sich im Grab umdrehen

Genau die mussten nun alle wieder abgesagt werden. Das Institut für Auslandsbeziehungen wird seine Ausstellung zum hundertsten Geburtstag nun im ZKM in Karlsruhe ausrichten. Die Große Landesausstellung Pfahlbauten wird im Kloster Bad Schussenried stattfinden. Die interdisziplinäre Ausstellung der Stuttgarter Kunstakademie fällt komplett aus, so, wie auch der Fotosommer 2013 ersatzlos gestrichen werden musste. Und die Künstlermesse Baden-Württemberg hat durch den kurzfristigen Umzug ins Haus der Wirtschaft schwer gelitten.

Einen Grund zum Feiern gibt es also eigentlich nicht – und der arme König würde sich im Grab umdrehen. Er hatte es wirklich gut gemeint mit den Künstlern, denen er eine repräsentative Heimat geben wollte, weshalb er mit dem Bau des neuen Ausstellungshauses den Architekturprofessor Theodor Fischer beauftragte – der unter anderem auch das Gustav-Siegle-Haus gebaut hat. Fischer fiel zwischen die Jahrhunderte und die Stile. Er war kein radikaler Moderner, aber wollte auch nichts mehr mit dem Eklektizismus der Gründerzeit zu tun haben.

An der Ausstattung der Innenräume wurden zahlreiche Stuttgarter Künstler beteiligt, auch wenn man davon heute nicht mehr viel sieht. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude von Paul Bonatz und Günter Wilhelm wiederaufgebaut, allerdings ohne die ursprüngliche plastische und malerische Ausstattung. Außerdem wurden der Glastrakt und der Vierecksaal ergänzt.

Schon bald werden sich Politiker im Kunstgebäude tummeln, das den Namen dann eigentlich kaum noch verdient. Aber wer hundert Jahre überstanden hat, wird diese Durststrecke hoffentlich auch überstehen. Immerhin, vor der nächsten Landtagswahl 2016 soll der Rückumzug beginnen – und das Kunstgebäude wieder ein Kunstgebäude sein.