Seit den Terroranschlägen von 2001 schätzen immer mehr New Yorker Singles die Gesellschaft von Vierbeinern. Hundestagesstätten haben Hochkonjunktur.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

New York - Es ist Mittagszeit in der Hundetagesstätte Ritzy Canine. Rund 40 Vierbeiner werden vom Spielsaal über einen roten Plüschteppich in den Speiseraum geführt, wo jeder in seiner Kiste eine Mahlzeit serviert bekommt. Die Herrschaften sind verzogen. Coffee, der braune Cockerspaniel, frisst nur aus Edelstahl. Es gibt Basmatireis mit Biohuhn, zubereitet vom hauseigenen Koch. Die meisten müssen jedoch mit dem von Frau- oder Herrchen gebrachten Lunchpaket Vorlieb nehmen: abgewogenes Gourmet-Trockenfutter und Rohkost, damit der Liebling in Form bleibt. Später am Nachmittag muss Hercules zum therapeutischen Schwimmen wegen der Rückenbeschwerden. Vivienne hat einen Termin bei der Pediküre. Belle muss zum Zahnarzt. Der Chihuahua liebt es, wenn man ihm die Zähne flosst.

 

Die Hunde vom Ritzy Canine gehören zur Oberschicht einer Hundepopulation in New York City, die sich in der vergangenen Dekade nahezu verdreifacht hat. Nach Schätzung der Organisation „The Animal Society for the Prevention of Cruelty to Animals“ leben im Stadtgebiet mittlerweile eineinhalb Millionen Hunde, Streuner und Tierheimbewohner nicht mitgerechnet. Vor allem in Manhattans engen Apartments tummeln sich die Vierbeiner. Fast jeder dritte Haushalt besitzt einen Hund.

62 Hundetagestätten gibt es in der Stadt

Psychologen und Vertreter von Tierschutzorganisationen sind sich sicher, dass die Ereignisse vom 11. September 2001 etwas damit zu tun haben. Die Anschläge ereigneten sich in dem Stadtteil mit dem höchsten Anteil von Single-Haushalten – 50,3 Prozent leben in Manhattan ohne Mitbewohner. „Viele fühlten sich mit ihrer Angst allein“, sagt die Psychotherapeutin und Hundehalterin Michelle Le Bow. „Mit einem Haustier entsteht sofort eine Verbundenheit. Man kann sich ihm voll widmen und erfährt im Gegenzug bedingungslose Liebe.“

Der Ansturm auf die Hunde trieb solche Blüten wie das Ritzy Canine, eine von 62 Hundetagesstätten auf New Yorker Stadtgebiet. Brandneu ist Dog City, ein Service eines 63-stöckigen, gläsernen Apartmentkomplexes namens MiMA, der den beschäftigten, gut verdienenden Hundenarr bedient. Wer hier mit seinem Vierbeiner residiert, zahlt für ein Zimmer zwar monatlich mindestens 4500 Dollar, dafür verfügt die Anlage aber auch über Hundespielplätze, drinnen wie draußen. Wenn Herrchen oder Frauchen abends Überstunden machen müssen, können sie sich jederzeit an Dog City wenden. Das Servicepersonal läuft dann gegen Gebühr Gassi – auf Wunsch rennt es auch – oder arrangiert eine Verabredung mit einem anderen vierbeinigen Bewohner.

Hunde müssen zum Bewerbungsgespräch

Wer sich die Mieten im MiMA nicht leisten kann, muss sich mit anderen um die Apartments in Manhattan schlagen, die Hunde zulassen. Einige Wohnungsbaugesellschaften lassen die Bewerber inzwischen mitsamt Hund zum Vorstellungsgespräch antreten. Von Vorteil sind Empfehlungsschreiben von Hundeausführern oder Hundefriseuren. Bei den Interviews werden die Tiere darauf getestet, ob sie Trennungsängste haben und wie sie mit Frustration umgehen, etwa indem man ihnen ein Leckerli hinhält, aber nicht gibt. Benimm-Schulen wie „Instinct“ oder „Walk this way“ bieten eine gezielte Vorbereitung auf diese Bewerbungsgespräche an. Pro Sitzung werden zwischen 100 und 200 Dollar verlangt. Die Zahlungsbereitschaft der New Yorker ist hoch, was auch andere Berufstätige dazu motiviert hat, den Hund in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zu stellen: Masseure, Fotografen, Modedesigner, Versicherer, Fitnesstrainer, Reiseveranstalter. „Blue Sky Dogs“ organisiert beispielsweise Tagesausflüge für Reisegruppen von bis zu acht Hunden. Im Minivan werden sie an den Strand oder in Wälder gekarrt, wo sie den ganzen Tag über ohne Leine herumtollen können.

Das Thema Hund nimmt auch in den Medien einigen Raum ein. Die „New York Times“ beschäftigte sich jüngst anlässlich des Starts eines neuen US-Hundekanals mit der Frage: „Sollten Hunde fernsehen?“ Auch die Diskussion darüber, wie viel Modedesign ein Hund verträgt, greift das renommierte Blatt immer wieder auf. An Halloween erschien ein Artikel zu der Frage: „Verkleiden sich Hunde gern?“ Die Bestsellerliste der Zeitung belegt, wie sehr Hundethemen die Leserschaft einnehmen. Das Buch „Inside of a Dog“, das beschreiben will, was im Kopf eines Hundes wirklich vorgeht, stand 52 Wochen lang auf den Spitzenplätzen der Liste.

Zu träge für Spaziergänge

Dass Vierbeinern in New York City so viel Beachtung geschenkt wird, geht am Verhalten der Hunde nicht spurlos vorüber. „Nirgendwo anders sind Hunde so verzogen“, sagt die Ritzy-Managerin Michelle O’Connell. Fast alle Horthunde schliefen bei ihren Besitzern im Bett, manche dürften sogar am Esstisch Platz nehmen. Einige seien inzwischen zu träge für Spaziergänge, sagt sie. Stattdessen wird viel gestritten, wer auf dem Schoss des Aufsichtspersonals Platz nehmen darf. Manchen Hunden ist es längst gelungen, ihren Ernährer komplett zu dominieren.

Eine Kundin, die nur vier Querstraßen vom Ritzy entfernt wohnt, klagt, dass ihr Hund so trödele. „Heute wollte sie wieder in die entgegengesetzte Richtung laufen“, sagt sie. Manchmal braucht sie für einen Weg mehr als eine Stunde.