Im Südsudan droht eine Hungerkatastrophe von riesigem Ausmaß. Schuld sind die Kämpfe zwischen Rebellen und der Regierung. Die internationale Gemeinschaft hat ihr Augenmerk längst auf andere Krisenregionen gerichtet. Hat man das Land aufgegeben?

Juba -

 

Am Himmel über der Stadt Wau ziehen die Raubvögel ihre Kreise. Die grauen Wolken hängen wie ein Drohung über der Stadt. Noch wirbelt nur ein heißer Wind Staub zwischen den Hütten auf, und oft taucht die Sonne auf. In zwei oder drei Wochen werden Regentropfen den Staub in Schlamm verwandeln. Wo im Moment noch Lastwagen mit Lebensmitteln aus Kenia oder Uganda rollen, werden die Straßen im Morast versinken. Die Stadt Wau im Südsudan wird einer Insel gleichen, die niemand mehr auf dem Landweg erreichen kann. Nur die mit GPS ausgerüsteten Maschinen der UN werden von der Luft aus durch die Regenschauer noch die Landepiste erkennen.

Der Regen wird auf Menschen niederprasseln, die schon seit einem Jahr nicht mehr regelmäßig gegessen haben. Sie haben zwei Jahre lang keine Vorräte angelegt. Denn die Bauern von Wau fuhren in diesem und im vergangenen Kriegsjahr keine Ernte ein. Auf ihren Feldern außerhalb der Stadt lauern marodierende Kämpfer und der Tod. Die Aasgeier am Himmel über Wau müssen vielleicht nur noch warten bis zum Ende der Regenzeit. Dann könnte es ein Festmahl für sie geben. Nicht nur in Wau, sondern im ganzen Südsudan.

Eingefallene Augen – kein Fleisch mehr auf den Knochen

Achol Amman kümmert es nicht, dass die Regenzeit ihrem Land den Tod bringt. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, den Hunger ihrer Kinder zu stillen. Die Mutter wiegt den dreijährigen Majok auf dem Schoß, als sie vor dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem Dorf unweit von Wau auf einer Mauer sitzt. In ihrer Hütte einige Kilometer entfernt bleiben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen zurück. Ammans Mann ist in irgendeiner Schlacht des endlosen Krieges gefallen. Die Südsudanesin hatte in den vergangenen Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen, um ihren Kindern etwas Hirse zu kaufen. Aber vielleicht hatten Ammans ältere Kinder etwas mehr Fleisch auf den Rippen, weil sie noch bessere Zeiten erlebt haben. Oder die Stärkeren haben dem Schwächsten die Hirse aus dem Napf geklaut, wenn die Mutter nicht hingeschaut hat. Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zu dem ausgezehrten Rest seines Körpers. An Ärmchen und Beinchen ist kein Fleisch mehr an den Knochen. Seine Augen treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. Die Haare sind in Büscheln ausgegangen.

Was wird die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen von den Helfern erhält? Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorienmedizin Majok gibt. Denn der Junge ist dabei zu verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwister auch weiterhin nur Hirse zu essen. Zu wenig, um sie gesund zu halten. Teilt sie den Kuchen unter ihren Kindern auf, wird es Majok nicht besser gehen. Die Mutter muss sich entscheiden.

Das Volk der Dinka hungert – und selbst zu der Katastrophe beigetragen

Achol Amman gehört zum Volk der Dinka. Die Dinka sind der größte Stamm im Südsudan. Sie leben von der Viehhaltung und haben noch nie in ihrer Geschichte einen Pflug über ein Feld gezogen. Die Dinka-Frauen aus dem nördlichen Umland von Wau kauften vor dem erneuten Kriegsausbruch im Sommer 2016 ihre Lebensmittel von Bauern, die südlich der Großstadt Wau lebten und zu anderen Stämmen gehörten. Nachdem in der Hauptstadt Juba im vergangenen Juli erneut Kämpfe ausbrachen, zogen die Dinka-Männer plündernd durch die Bauerndörfer und vertrieben, wen sie nicht töteten. Sie sahen in den wieder aufgeflammten Kämpfen die Chance, das Ackerland zu erobern und zum Weiden ihrer Kühe zu nutzen. Diejenigen, die sie bisher mit Hirse und Gemüse versorgt haben, flüchteten nach Wau und suchten auf dem Gelände der Kathedrale und an anderen Orten Schutz. Dann fraßen die Kühe der Dinka, was noch auf den verlassenen Feldern wuchs, während die Dinka anfingen zu hungern.

Die Dinka bildeten in den Zeiten des Unabhängigkeitskriegs der südsudanesischen Christen gegen den muslimischen Nordsudan das Rückgrat der Unabhängigkeitsbewegung SPLM. George Bush reiste 2011 in die südsudanesische Hauptstadt Juba. Der US-Präsident feierte die Gründung des jüngsten Staates der Welt und schenkte dem SPLM-Anführer Salva Kiir einen Cowboyhut. Kiir trägt Bushs Hut noch heute. Doch er sieht inzwischen die USA als Feind. Die Amerikaner wollten im vergangenen Herbst ein Waffenembargo gegen Südsudan im UN-Sicherheitsrat durchsetzen. Sie scheiterten am Veto Chinas. Juba vergab Peking nach der Unabhängigkeit die Konzession für die Förderung des südsudanesischen Öls. Das war eine herbe Enttäuschung für Washington, das die SPLM gegen die Muslime des Nordens unterstützt hatte.

Der ethnische Hass frisst sich durch das ganze Land

Die SPLM zerbrach im Dezember 2013. Der Dinka Salva Kiir setzte Riek Machar aus dem zweitgrößten Stamm der Nuer als Vizepräsidenten ab – nach einem langen Streit über die Kontrolle der ölreichen Gebiete. Dann gingen die beiden Fraktionen der SPLM mit Waffen aufeinander los. Von 2013 bis 2016 verwüstete der Krieg nur die nördlichen Bundesstaaten mit ihren Ölquellen. Der Rest des Landes ächzte unter der Last der vielen Binnenvertriebenen. Die Ölausfuhren nach China als einzige Einnahmequelle des Landes flossen nach Kriegsbeginn nur noch in die Militärausgaben der Regierung. Die überließ aus Gleichgültigkeit und Geldmangel die Versorgung der Bevölkerung den Vereinten Nationen und ausländischen Helfern.

Im Juli 2016 war bereits ein von Salva Kiir und Riek Machar in Äthiopien unterschriebenes Friedensabkommen gescheitert. Es sah eine erneute Machtteilung zwischen beiden Anführern wie vor Kriegsausbruch 2013 vor. Das Scheitern des Friedensabkommens entfesselte eine Bestie: Der ethnische Hass, von allen Kriegsparteien im ersten Krieg geschürt, frisst sich jetzt durch jeden Winkel des ostafrikanischen Landes. Kein Stamm kann sich aus den Kämpfen heraushalten. Denn wer nicht Partei ergreift, wird beschuldigt, dem Feind zu helfen. Südsudan verbrennt seit vergangenen Sommer in zahlreichen lokalen Aufständen gegen die Dinka-Führung in Juba. Die Fronten lösen sich auf und machen einem einzigen Schlachtfeld Platz. Und die Vertriebenen berichten Furchtbares: In vielen Regionen des Landes würden ganze Stämme von den Dinka ausgelöscht. Weite Teile des Landes sind weder für Helfer noch Journalisten zugängig. Ein hochrangiger Diplomat nimmt das Wort „Genozid“ in den Mund. Alle Kriegsparteien würden im Moment kämpfen, um dem gegnerischen Volk die Lebensgrundlage zu entziehen, meint er.

Die Helfer der Malteser sind fast machtlos

Die Alten und Kranken siechen als Erste dahin. Unter einer Zeltplane im Flüchtlingslager rund um die Kathedrale von Wau stinkt es nach ihrem Fieber. Fliegen wandern über das Gesicht und die Arme einer älteren und einer jüngeren Frau. Beide liegen auf Matten und winden sich still in Krämpfen. Die Tiere fliegen davon, sobald die beiden Körper sich aufbäumen wie Marionetten, die an unsichtbaren Seilen hängen. Ein Junge nestelt an dem Hemd der jungen Frau herum. Es ist offenbar seine Mutter, denn das Kind greift nach ihrer Brust. Das Kind beginnt, an der Warze der Frau zu saugen, die mit dem Tod ringt.

Die Helfer der Malteser schauen betreten auf die Szene des Grauens. Eigentlich wollten sie den Gästen aus dem Ausland zeigen, wie sie in dem Camp rund um die Kathedrale den von den Dinka Vertriebenen Hilfe leisten. Manchmal kommt diese aber zu spät.

Ein Malteser erklärt, dass die Organisation mit der Unterstützung des Nothilfebündnisses „Aktion Deutschland hilft“ Bohrlöcher auf dem Kirchengelände gegraben hat. Sie sind so tief, dass die Ausscheidungen von 8000 Menschen nicht in das Grundwasser sickern. Die Organisation habe Latrinen angelegt und verteile Seife für die Hygiene im Lager. Viel mehr könne man nicht tun. „Unsere Mittel sind begrenzt“, sagt der Helfer.

Ein Journalist ist enttäuscht vom Westen

Die graue Wolkendecke hängt auch über der zwei Flugstunden südlich von Wau gelegenen Hauptstadt Juba. Angst und Hunger sind in jeden Winkel der Stadt gekrochen. An einer Hotelbar trinkt Simon Wul (Name geändert) ein Bier nach dem anderen auf Kosten seines ausländischen Kollegen. Eigentlich besteht er darauf, dass sein echter Name in der ausländischen Presse erscheint. Aber er redet sich um Kopf und Kragen. Was mit ihm geschehe, sei ihm egal, meint er. „Mein Land stirbt“, sagt er. Nach der Unabhängigkeit 2011 leitete Wul eine große Tageszeitung. Wul wurde bekannt, und vielleicht schützt ihn sein Name bis heute. Die Regierung gab ihm nach mehreren kritischen Artikeln schließlich den freundlichen Rat, er möge in den Ruhestand gehen. Jetzt bleibt Wul nur der Alkohol, eine Rente, die täglich an Wert verliert, und das Entsetzen über das, was aus dem Südsudan nach der Unabhängigkeit wurde. Den Westen sieht er in Verantwortung für die Selbstzerstörung Südsudans. „Ihr habt uns in die Unabhängigkeit getrieben, weil ihr Probleme mit den Muslimen habt. Da wolltet ihr etwas christliche Solidarität zeigen, und jetzt seid ihr erstaunt, was aus dem Südsudan geworden ist: ein verdorbenes Kind des Westens“, sagt Wul.

Er wünscht sich heute, es würde keinen christlichen Staat auf dem Boden des Sudan geben. Erst nach einer langen Phase des Übergangs hätte über eine Unabhängigkeit entschieden werden sollen, sagt er. Frieden, meint Wul nach dem fünften oder sechsten Bier, werde es erst geben, wenn ein Stamm sich gegen alle anderen durchgesetzt habe. „Und das heißt, die anderen sind alle tot“, sagt er.