Nach mehreren Konzerten haben die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben mit dem Raschèr-Saxofon-Quartett jetzt eine CD eingespielt
Stuttgart - Am Ende wird es eher eintönig: „time to gain, time to lose, time for love, time to hate . . .“ – eher murmelnd als gesungen tragen dies die Jungs vom Hymnuschor vor. Und auch das begleitende Raschèr-Saxofon-Quartett döselt da eher vor sich hin als dass es beherzt zur Sache schreitet. Deshalb ist es gerade hier besonders knifflig, der Teufel steckt im Detail: Nur in Nuancen unterscheiden sich die rhythmischen Werte von Gesang und Musik, und eigentlich soll das Ganze ja schon wie ein kontinuierlicher Klangstrom wirken. Aber gerade bei dieser anstehenden CD-Aufnahme kommt es natürlich auch auf die kleinsten Unterschiede an.
Auftritte in Stuttgart und Umgebung sowie in Schweden
Der Ort der Aufnahme ist die Christuskirche auf der Gänsheide. Der Raum schützt zwar etwas vor der sommerlichen Hitze draußen in diesen Wochen, dafür ist die Aufgabe in dieser Kirche drinnen eine schweißtreibende Angelegenheit. Wobei: Übung haben die Jungs ja schon. Das Stück „Alle Flüsse fließen ins Meer, doch wird das Meer nicht voll“ von Christoph Grund haben sie im Mai bereits in Stuttgart uraufgeführt. Es folgten weitere Aufführungen hier im Südwesten, eine Tournee durch Schweden mit mehreren Aufführungen und Rundfunkmitschnitten – ein praktischer Umgang ist also gegeben mit diesem teils sperrigen Werk. Und doch bleibt es eine Herausforderung.
Das ist auch so gewollt vom Chorleiter Rainer Johannes Homburg: Er will dieses Ensemble nicht nur mit der klassischen Literatur für diesen Chor vertraut machen, sondern auch mit zeitgenössischen Klängen. Und dazu sucht er sich Komponisten aus, die bereit sind, sich auf dieses Experiment einzulassen. Denn Vokalmusik für junge Stimmen wird so gut wie nie komponiert, meist sind die Voraussetzungen dazu nicht gegeben. Für den Komponisten bedeutet das aber auch, dass er nicht nur irgendwann mal eine fertige Partitur abliefern kann, die dann möglichst notengetreu umgesetzt werden soll. Er muss sich schon zuvor mit den Besonderheiten und Möglichkeiten dieses Klangkörpers auseinander setzen. Und das hat Grund getan, er war bei einigen Chorwochenenden dabei, er war bei den Proben anweend, hat dabei seine Anliegen erläutert und auch die eine oder andere Änderung am Werk vorgenommen.
Drauf hauen auf die Mahler-Kiste
Da war auch viel gemeinsame Entdeckungslust zu spüren bei den Endproben Anfang Mai. Im Stuttgarter Probenraum befand sich etwa ein ziemlich großer Hammer mit einem Gewicht von etwa fünf Kilo neben einer noch größeren Holzkiste. Und auf diese mal das schwere Teil draufsausen zu lassen, macht natürlich viel Spaß und dazu noch einen mega Krach, da kribbelte es auch Homburg und Grund in den Fingern. Aber diese so genannte Mahler-Kiste stand hier nicht nur zum Vergnügen herum, sondern gehört zum Instrumentarium des Stücks von Christoph Grund. Der Komponist Gustav Mahler hat diese Mahler-Kiste erstmals als notwendig vorgeschrieben in seiner zwischen 1902 und 1903 entstandenen sechsten Sinfonie. Aufgrund ihrer Dramatik hat diese den Beinamen „Die Tragische“ bekommen, mehr als 110 Instrumentalisten sind für deren Aufführung notwendig.
Die Phänomene unseres Lebens
Ganz so viele Beteiligte sind bei „Alle Flüsse fließen ins Meer“ nun nicht notwendig, aber es ist schon ein Stück mit ganz großen Kontrasten. Und dazu gehören eben auch die eingangs erwähnten meditativen Passagen. Der Komponist Grund hat sich da inspirieren lassen von einer Passage aus dem Buch Koholet im Alten Testament: „Alles hat seine Zeit. Alles ist eitel und ein Haschen nach dem Wind“. Das führt bei ihm eben zu den sanft gesungenen Zeilen „eine Zeit zu lieben, eine Zeit zu hassen, eine Zeit zu lachen, eine Zeit zu weinen . . .“. Grund: „Hier werden alle Phänomene unseres Lebens abgedeckt. Und das in Abgrenzung zum Tod. Das wollte ich einmal unbedingt in Musik umsetzen.“ Und was mussten die Jungs dazu noch alles lernen? – „Ihnen wurde viel bis dahin Unbekanntes in die Kehlen gelegt“, so Grund, „etwa dass jeder seinen eigenen Einsatzton finden muss, indem er dazu eine Stimmgabel an sein Ohr hält“. Oder es mussten ungewöhnlich lange Haltetöne einstudiert werden. „Nicht alles ließ sich so realisieren, wie ich es gewohnt bin. Und in manchen Dingen bin ich erst mal auf Unverständnis gestoßen“, bemerkt Grund rückblickend. Homburg würdigt vor allem das Engagement der Jugendlichen: „Die Jungs bringen schon einiges an Geduldmit. Aber am Ende wollen sie auch erkennen, wie sich das alles gut zueinander fügt. Und die Freude am Auftreten darf dabei auch nicht zu kurz kommen.
Aber alle sind auch stolz darauf, dass sie das Raschèr-Saxofon-Quartett als Mitspieler gewinnen konnten, das einen herausragenden Ruf in Sachen zeitgenössischer Musik hat. „Einerseits sorgen sie für extreme Kontraste, indem sie regelrecht in den Chorklang hineinschneiden, dann unterstützen sie aber auch den Gesang oder nehmen Teile von ihm vorweg“, so Grund.