Der feministische Klassiker „I Love Dick“ der US-Autorin Chris Kraus ist jetzt auf Deutsch erschienen. Seit Jahren gilt er als Geheimtipp für Eingeweihte, nun soll es bald auch noch eine Serienverfilmung des Romans geben.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Seien wir ehrlich, niemand muss heute ein gewitzter Entdecker sein, um literarisch in die feuchtesten Gebiete vorzudringen. Bücher wie „Fifty Shades Of Grey“ oder Enthüllungsgeschichten von Charlotte Roche stehen in allen Buchhandlungen bereit, die Hitlisten bei Amazon sind voll davon. Das weibliche Begehren, Wollen, Scheitern wurde in den vergangenen Jahren neben all dem literarisch Zweifelhaften ebenso lustvoll wie klug, amüsant und öffentlichkeitswirksam seziert, man denke an Lena Dunham („Girls“), Greta Gerwig („Frances Ha“), Sheila Heti („Wie sollten wir sein?“) oder auch an die neue, britische Amazon-Serie „Fleabag“. Sachbücher wie Carolin Emckes „Wie wir begehren“ oder „Warum Liebe wehtut“ von Eva Illouz erfuhren eine große öffentliche Aufmerksamkeit.

 

Einer der Romane aus diesem weit gefassten Dunstkreis war bisher weit weniger bekannt: „I Love Dick“ wurde von der amerikanisch-neuseeländischen Autorin Chris Kraus in den USA bereits 1997 veröffentlicht. Jahrelang galt er als Geheimtipp für Eingeweihte. Erst jetzt ist „I Love Dick“ in einer Übersetzung von Kevin Vennemann erstmals auf Deutsch erschienen. Und ganz allmählich kommt der Roman aus einer Nische heraus, nicht zuletzt, da in den vergangenen Jahren international bekannte Künstlerinnen wie Lena Dunham oder die Sängerin Lorde immer wieder auf das Buch als eine persönliche Bibel oder Urknall-Erfahrung verwiesen haben. Sheila Heti: „Ich weiß, dass es eine Zeit gab, bevor ich ‚I Love Dick‘ gelesen habe, aber es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern.“ Der „Guardian“ behauptete: „Das wichtigste Buch des 20. Jahrhunderts über Männer und Frauen.“ Und Amazon hat im Herbst die Pilotfolge zur Serienverfilmung des Romans veröffentlicht. Die weiteren Episoden sind für Mai angekündigt, Jill Soloway („Transparent“) führt Regie.

Sie war zwanzig Jahre zu früh dran

Als Chris Kraus ihren stark autobiografisch geprägten Debütroman Ende der Neunziger schrieb, war die Stimmung im amerikanischen Künstlermilieu größtenteils noch eine andere. Man warf der Autorin Narzissmus und Selbstbespiegelung vor. Eine Frau, die sich in ihrem Schreiben derart selbst offenbarte, hatte man zuvor noch nicht erlebt. Im Roman heißt es: „Ich glaube, dass es sich bei der bloßen Existenz von sprechenden, seienden, paradoxen, unerklärlichen, schnodderigen, selbstzerstörerischen, doch in allererster Linie öffentlichen Frauen um das überhaupt Allerrevolutionärste auf der ganzen Welt handelt.“ Es gebe schlicht „nicht genug niedergeschriebene weibliche Unbändigkeit“. Auch wenn die Autorin damals fürchtete, sie könne „zwanzig Jahre zu spät dran sein“. Heute weiß man, ganz im Gegenteil: Sie war wohl zwanzig Jahre zu früh dran.

Dick bezieht sich im medienwirksamen Titel des Buchs natürlich nicht (nur) auf das männliche Geschlecht oder einen unangenehmen Typen, wofür das Wort im Englischen auch steht. Dick ist im Roman der Name des Mannes, in den sich die Protagonistin verliebt. Zu Beginn der Erzählung steht eine gewisse Chris Kraus, belesene Filmemacherin und Künstlerin, gelangweilt in ihrer Ehe mit dem Geisteswissenschaftler und Verleger Sylvère Lothringer (Kraus verwendet die wirklichen Namen). Bei einem gemeinsamen Abendessen lernt sie Dick, einen Kollegen Sylvères kennen – und dreht durch. Noch in der Nacht schreibt sie eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Abstrakte Romantik“, beginnt Briefe zu verfassen: „Lieber Dick, jeder Brief ist ein Liebesbrief.“ Das ist der Beginn einer wilden, größtenteils imaginierten Affäre, in die auch der Ehemann verwickelt wird und an der Dick selbst erst spät und überhaupt kaum persönlich teilnimmt.