Das Backnanger Kaess-Areal mit dem ikonischen Kesselhaus und der Fabrikhalle soll sich zu einem modernen Ort für Arbeiten, Bildung und Begegnung wandeln. Studierende haben dazu visionäre Entwürfe vorgelegt.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Wie kann aus einem monumentalen Industrie-Ensemble ein lebendiger Ort für die Arbeitswelt von morgen werden? Dieser Frage widmeten sich Architektur-Studierende der University of Applied Sciences Frankfurt im Rahmen ihrer Masterarbeit. Im Zentrum stand das Kaess-Areal an der Fabrikstraße in Backnang mit dem markanten Kesselhaus und der angrenzenden 120 Meter langen Fabrikhalle.

 

Die Aufgabenstellung reichte dabei weit über eine Gestaltung hinaus: Bis 2055 soll das Ensemble schrittweise zu einer attraktiven Adresse für Arbeiten, Bildung, Wohnen und Begegnung in der Stadtregion Stuttgart entwickelt werden – unter besonderer Berücksichtigung von Erschließung, Raumqualitäten und Energieversorgung. Vorgegeben waren mögliche Funktionen wie einfache Gewerbe- und Lagereinheiten, Büros und Co-Working-Spaces, aber auch an temporäres Wohnen sowie Bildungseinrichtungen, Gastronomie und Sportangebote im Bereich Murr und Kesselhaus konnten die Studierenden in ihren Entwürfen berücksichtigen – der Freiraum für individuelle Konzepte war groß.

Das Kaess-Areal aus der Luft

18 Studierende hatten das Thema bearbeitet, die besten fünf wurden kürzlich nach Backnang in die alte Fabrikhalle eingeladen, um ihre Entwürfe in einer kleinen Ausstellung zu präsentieren. Eine Jury aus Professorin Claudia Lüling (Hochschule Frankfurt), Wolfgang Kaess (Eigentümer des Areals) und Tobias Großmann (Stadtplanungsamt Backnang) bewerteten die Arbeiten und kürten einen Sieger. Alle Arbeiten zeichneten sich durch hohe gestalterische Qualität und unterschiedliche Schwerpunkte aus, so der Tenor der Jury.

Mariam Abu-Ayyad zum Beispiel legte in ihrer Arbeit einen Fokus auf die Wiederverwertbarkeit der Materialien und schuf einen „Teppich“ aus recycelten Klinkersteinen sowie einen filigranen Aussichtsturm aus Ziegeln und Glasbausteinen als Landmarke – für ihren Entwurf erhielt sie einen Sonderpreis.

Flexible Nutzungskonzepte

Im Entwurf von Eva Hoffmann würdigte die Jury die gelungene Eingangssituation an der Kopfseite des Gebäudes und die Idee, durch eine Aufstockung des Hallengebäudes um anderthalb Meter mehr Geschosse zu erhalten. Sie hatte sich zudem überlegt, dass künftige Mieter in einer Produktionshalle vor Ort Bauteile für ihre Gewerbeeinheiten nach Bedarf fertigen lassen könnten.

Zwei zweite Plätze gingen an Suse Brand und Dominik Entzel. Brand wurde für ihre „Werkmitte“ und den Umgang mit der räumlichen Situation gelobt. Entzels Entwurf bewies unter anderem dadurch Charme, dass die lange Fabrikhalle komplett erhalten bleibt und geschickt angesetzte Baukörper das Gebäude erweitern. „Das ist genial“, lobte der Eigentümer Wolfgang Kaess diesen Ansatz. „Ich könnte den Altbau stehen lassen und weiter vermieten, während parallel der Neubau entsteht.“

Innovativer Siegerentwurf: „Grün statt Grau“ für Kaess-Areal

Den ersten Platz für ihren Entwurf erhielt Kiana Khederzadeh für ihren Entwurf „Grün statt Grau“, der das historische Ensemble aus Kesselhaus und Fabrikhalle in eine offene, durchgrünte Arbeitslandschaft überführt. Als zentrale Merkmale würdigte die Jury auch bei ihr den Erhalt und die Weiterentwicklung der Bestandsgebäude. So wird das Kesselhaus sanft aufgestockt, energetisch ertüchtigt und funktional aufgewertet. Die Nutzungen sind klar gegliedert und gut erschlossen durch präzise gesetzte Zugänge, Wege und Höfe. Freiräume werden nicht nur landschaftlich gestaltet, sondern programmatisch eingebunden – als Begegnungsorte, Bewegungsräume oder um Nutzungen nach außen zu erweitern. Besonders gestaltet die 25-Jährige den Eingang des Kesselhauses („Das Herzstück des Areals“); durch einen erhöhten Anbau soll eine klare, einladende Ankunftssituation geschaffen und dem Areal eine sichtbare Adresse im Stadtraum gegeben werden. „Das ist auch aus städtebaulicher Sicht eine sehr gute Lösung“, sagt der Amtsleiter Tobias Großmann. Und Professorin Claudia Lüling ergänzte: „Das ist der einzige Entwurf, wo man reinläuft und sich sofort zurecht findet.“

Backnang sei eine tolle Stadt und das Kaess-Areal biete viel Potenzial, sagte die Preisträgerin. Besonders gereizt habe sie an der Aufgabe das Bauen im Bestand sowie der Charme der Gebäude. „Das Kesselhaus hat eine schöne Struktur, stammt aus den 1960er Jahren – das ist total mein Fall.“

Mut und Kreativität bewiesen

Wie viel von ihrem und den Entwürfen ihrer Mitstudierenden am Ende ins Bauprojekt einfließen werden, ist offen. Das Gelände gehört zum IBA’27-Projektgebiet, die Umgestaltung ist also auch Teil der internationalen Bauausstellung. „Die Transformation dieses Areals ist eine riesige Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte“, sagte Tobias Großmann. „Die Ideen sind umsetzbar und geben uns neue Blickwinkel für Denkansätze bei unserer täglichen Arbeit.“ Er dankte den Studenten für deren Mut und ihre Kreativität. Als besondere Wertschätzung vergab der Eigentümer Wolfgang Kaess ein Preisgeld an die fünf Studierenden.

Und wer weiß, vielleicht wird der eine oder andere Ansatz, wenn auch nur in Teilen, ja tatsächlich in die Realität umgesetzt. Siegerin Kiana Khederzadeh würde sich freuen: „Wenn ich in zehn bis 15 Jahren hier wieder herkomme und es wäre ein Hauch von meinem Entwurf sichtbar, dann fände ich das schön.“

Info

Präsentationen
Die einzelnen Beiträge findet man auf der Homepage der Stadt Backnang unter https://www.backnang.de/stadt-gestalten/iba_27