Eine Studie des IT-Konzerns IBM belegt, wie sehr sich die Manager etablierter Unternehmen durch quasi aus dem Nichts auftauchende, digitale Konkurrenten unter Druck sehen. Der Taxi-Dienstleister Uber ist hier eines von vielen Beispielen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Disruption, das ist seit einigen Jahren ein modisches Schlagwort, um zu umschreiben, wie digitale Anbieter traditionelle Geschäftsmodelle aggressiv umkrempeln – manchmal quasi aus dem Nichts. Der Fahrtenanbieter Uber, der mithilfe einer App weltweit das Taxigewerbe aufmischt und dadurch binnen eines halben Jahrzehnts zum Multi-Milliardenunternehmen aufstieg, ist dafür ein Paradebeispiel.

 

„Die Angst vor der Uberisierung“ so hat der IT-Konzern IBM in diesem Jahr seine alljährliche Umfrage unter weltweit 5200 Managern weltweit umschrieben. Binnen zweier Jahre ist die Angst der Führungskräfte massiv gestiegen, dass sie dank digitaler Technologien von neuen Wettbewerbern plötzlich überrollt werden können. Inzwischen sind 54 Prozent der Meinung, dass dies auch in ihrer Branche geschehen kann – vor zwei Jahren lag der Wert mit 43 Prozent noch deutlich niedriger.

Diese Veränderungen zwingen zu neuen Organisationsstrukturen: 48 Prozent der Befragten planen stärker dezentrale Entscheidungen in ihren Firmen, bei denen Mitarbeiter mehr Einflussmöglichkeiten haben. Zudem werden externe Partnerschaften wichtiger: 54 Prozent suchen inzwischen außerhalb des eigenen Unternehmens nach Innovationen und 70 Prozent bauen ihre Partnernetzwerke aus.

Die Autoren der Studie sparen nicht mit drastischen Formulierungen. Noch vor wenigen Jahren hätten die Manager künftige Bedrohungen frühzeitig erkennen können: „Das größte Risiko war das Auftauchen eines neuen Mitbewerbers mit einem besseren oder günstigeren Produkt“. Doch nun sei das anders: „Heute sehen Unternehmen die Konkurrenz oft erst dann, wenn es bereits zu spät ist.“

Die digitalen Invasoren schnappen sich die Erlöse

Auf einmal bündelten digitale Angreifer die Geschäftsmodelle neu: „Einige Formen der Konvergenz – zum Beispiel die Verbindung von Unterhaltungselektronik und Gesundheitswesen in den digitalen Fitness-Trackern der Firma Fitbit – sind ziemlich offensichtlich.“ Doch schwieriger sei es, wenn die Attacken quasi aus dem Nichts kämen. Wenn der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin auf einmal mit einem auf die Analyse von Erbgut spezialisierten Unternehmen zusammenarbeite, um im Gesundheitswesen Fuß zu fassen, dann könne das die etablierte Konkurrenz kaum auf dem Radarschirm haben. Konkurrenz drohe jedoch auch „von digitalen Invasoren mit völlig anderen Geschäftsmodellen“, wie die Studie sagt. Diese Firmen fassen dort Fuß, wo die bisherigen Anbieter am meisten Geld verdienten. Die neuen Konkurrenten, „umgehen die etablierten Anbieter und erobern die Kontrolle über die Kundenbeziehung, wodurch andere Anbieter irrelevant werden.“

Laut der Untersuchung geht der Konkurrenzdruck einerseits von großen Digitalfirmen wie Amazon von Google aus. Doch fast noch gefährliche seien frisch gegründete, kleinere Anbieter, für die es im Management-Jargon inzwischen einen drastischen Begriff gibt – die „Wadenbeißer“: „Sie sind klein, smart und agil. Sie werden nicht durch eine traditionelle Infrastruktur behindert. Tatsächlich haben sie oft überhaupt keine Infrastruktur, da sie die Assets anderer Anbieter nutzen.“ Etablierte Konkurrenten würden die neue Konkurrenz oft erst bemerken, wenn sie zugeschnappt habe. Als Paradebeispiel nennt die Studie die Bankenbranche: „Früher musste jeder, der Geld sparen oder leihen, mit Wertpapieren handeln oder Fremdwährungen kaufen wollte, eine Bank besuchen. Heute gibt es Nutmeg für Spareinlagen, Kabbage für Darlehen, Robinhood für den Aktienhandel und Currency Cloud für grenzüberschreitende Zahlungen – neben vielen weiteren ähnlichen Anbietern.“

Allerdings ist die diesen Wahrnehmungen zu Grunde liegende, vom US-Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen um die Jahrtausendwende postulierte Theorie der „ Disruption“ in jüngster Zeit kritisiert worden. Wissenschaftler der Universität Vancouver stellten in einer aktuellen Analyse fest, dass nur neun Prozent der 77 von Christensen zitierten Fallbeispiele dem Muster der überfallartigen Eroberung von Märkten durch überraschende Konkurrenten entsprochen hätten.