Exklusiv Auf dem Gelände der früheren Firmenzentrale in Vaihingen sollen die denkmalgeschützten Eiermann-Pavillons erhalten bleiben. Zudem könnten neue Wohn- und Büroflächen entstehen – es wäre das derzeit größte Wohnbauareal in Stuttgart.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Erst am kommenden Dienstag will die Stadt die Gemeinderäte und vermutlich auch die Öffentlichkeit informieren – bis dahin gibt es keine offiziellen Aussagen zu den neuen Planungen auf dem Gelände der früheren Deutschlandzentrale von IBM in Vaihingen. Doch die Vorlage für  die nichtöffentliche Sitzung offenbart Spektakuläres: Nicht nur sollen die Gebäude des berühmten Architekten Egon Eiermann aus den Jahren 1969 bis 1972 gerettet werden – zugleich könnte auf dem Gelände das größte Neubaugebiet Stuttgarts entstehen. Bisher waren die drei Büropavillons und das Kantinengebäude vor allem deswegen im Gespräch, weil sie unter Denkmalschutz stehen, die Gläubigerbanken aber einen Abrissantrag gestellt hatten.

 

Das Gelände ist riesig, es umfasst 19,5 Hektar, was etwa der Fläche von 27 Fußballfeldern entspricht. Da ein Teil geschützter Wald ist, stehen letztlich 14,5 Hektar zur Bebauung zur Verfügung. In drei Sitzungen zwischen Juli und September hat OB Fritz Kuhn (Grüne) alle zu einem Kolloquium gebeten, die in der Sache wichtig sind: die Insolvenzverwalter des seit vier Jahren leer stehenden Areals, die   Denkmalschützer, aber auch potenzielle künftige Nutzer wie das Fraunhofer-Institut. Einbezogen waren auch die Architektenkammer sowie das Planungsbüro Drees & Sommer, das gewährleisten sollte, dass alle Überlegungen technisch und wirtschaftlich realistisch sind.

Grundlage ist ein zwei Jahre altes Konzept von Oliver Sorg

Grundlage des neuen Konzeptes ist der Plan, den der Stuttgarter Architekt Oliver Sorg vor zwei Jahren für den insolvent gegangenen damaligen Eigentümer CB Richard Ellis angefertigt hatte. Sorg hatte vor zwei Tagen noch dementiert, an den Gesprächen beteiligt zu sein. Vereinfacht könnte man sagen: in Vaihingen soll an der Pascalstraße ein neuer Wirtschafts- oder Universitätscampus entstehen. Die vier denkmalgeschützten Eiermann-Gebäude sollen saniert werden; die drei Pavillons mit einer Geschossfläche von 37 000 Quadratmetern könnten weiter als Büros genutzt werden und das Kantinengebäude soll ein Veranstaltungszentrum werden. Der vierte, nachträglich gebaute Pavillon aus dem Jahr 1984 steht zur Disposition – entweder wird er ebenfalls saniert oder es muss an dessen Stelle ein Neubau in gleicher Form und Größe errichtet werden.

Die bisherigen Parkplätze für 2500 Beschäftigte sollen nun sehr dicht bebaut werden – auf diese Weise wird für den Investor, der erst noch gefunden werden muss, ein wirtschaftlicher Ausgleich für die teure Sanierung der Altgebäude geschaffen. Laut den Plänen könnten zwölf Gebäude mit vier bis sieben Geschossen sowie ein Hochhaus mit 15 Etagen entstehen. In diesen Häusern sind weitere Büros und auf einer Fläche von 52 000 Quadratmetern Wohnungen geplant – grob geschätzt dürfte das 500 Wohnungen entsprechen. Damit wäre das Projekt etwas größer als das derzeit größte Neubaugebiet in Stuttgart, der Seepark mit 467 Wohnungen.

Stadt kann sich einen Forschungscampus vorstellen

Arbeiten und Wohnen soll in denselben   Gebäuden stattfinden – die Stadt spricht von „Hybrid“-Häusern. Mit den Gewerbe-  und Handelsflächen geht es in Alt- und Neugebäuden insgesamt um fast 200 000 Quadratmeter Geschossfläche. Daneben ist ein Parkhaus mit 420 Plätzen und eine Kita angedacht. Die Stadt könnte sich laut Vorlage das IBM-Gelände als „Dienstleistungs-, Innovations- und Wissenschaftsstandort“ vorstellen. Die Wohnungen wären dann vorzugsweise für Mitarbeiter und Studenten gedacht. Eventuell ist die Planung in der letzten Sitzung des „Kolloquiums“ am Dienstag noch überarbeitet worden; die Vorlage gibt den Stand nach den ersten beiden Sitzungen wieder.

Die ebenfalls denkmalgeschützte Parkanlage würde durch die Bebauung stark beeinträchtigt oder eigentlich zerstört– das nähme die Stadt hin, um die vier Eiermann-Gebäude zu retten. Die drei Waldflächen würden wohl angetastet – sie müssten laut Gesetz an anderer Stelle in Stuttgart ersetzt werden. Die Gebäude könnten so gebaut werden, dass sie der nahen Autobahn abgewandt quasi ihre eigene Lärmschutzwand bildeten. Denkbar seien auch – ähnlich den Eiermann-Pavillons – Gebäude mit dann ruhig gelegenen Innenhöfen.

Weitere Gutachten sind noch notwendig

Die Stadt will, sobald ein Investor Interesse bekundet hat, mit weiteren Gutachten in Vorleistung gehen: So müssen die Eingriffe in den Wald, der Artenschutz, der Lärmschutz oder auch die technische Infrastruktur näher untersucht werden. Diese Kosten will man später zurückhaben, wenn der Investor das Projekt konkret anpackt. Ob das Konsortium der Gläubigerbanken, darunter die führende DG Hyp, selbst aktiv werden möchte, ist unbekannt. Der frühere Eigentümer hatte das Gelände 2007 für 83 Millionen Euro gekauft – alle nannten dies einen zu hohen Kaufpreis; manche sprachen sogar von Immobilienspekulation.

Der technische Zustand der Eiermann-Gebäude wird als relativ schlecht angesehen. Heizung, Strom- und Wasserleitungen müssten komplett erneuert werden. Dennoch sprechen sich heute viele Architekten auch aus ökologischer Sicht für die Sanierung alter Gebäude aus. Es gelte, die bereits vorhandene „graue Energie“ in der Bausubstanz zu nutzen.