Bernhard Bauer, Vorsitzender des Bahnprojektvereins Stuttgart–Ulm, wirft Kritikern beim Bahnprojekt Stuttgart 21 gezielte Skandalisierung vor.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Am 11. Dezember nimmt die Bahn die Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Ulm in Betrieb. Einer, der das Projekt von Anbeginn begleitet, ist Bernhard Bauer – anfangs als Spitzenbeamter in der Landesverwaltung, nun als Vorsitzender des Bahnprojektvereins Stuttgart–Ulm. Im Interview warnt er vor einer Projekte ausbremsenden Überregulierung.

 

Herr Bauer, zur Hochzeit des Protests gegen Stuttgart 21 und die Neubaustrecke erfreute sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wer will schon nach Ulm?“ in Stuttgart einer gewissen Beliebtheit. Eine berechtigte Frage, oder?

Ich glaube, Ulm war immer schon eine Reise wert, als freie Reichsstadt, als Donaumetropole in unserem Land. Viele werden froh sein, nach Inbetriebnahme der Neubaustrecke am 11. Dezember schneller von Stuttgart nach Ulm und umgekehrt unterwegs zu sein. Und hinter Ulm geht’s ja auch weiter, da liegt München und noch weiter nach Wien und Bratislava.

Und die 15 Minuten Reisezeitersparnis rechtfertigen die Investition von vier Milliarden Euro?

Jede Investition in mehr Komfort und schnellere Reisezeit auf der Schiene ist richtig. Nur so schaffen wir die im Kampf gegen den Klimawandel notwendige Mobilitätswende. Zudem ist das Geld langfristig angelegt. Die Strecke wird ähnlich wie die Trasse durchs Filstal und über die Geislinger Steige mindestens 150 Jahre befahren werden.

Der Neubaustrecke fehlt aber noch bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21 die westliche Fortsetzung. Sie leistet jetzt nur einen Bruchteil dessen, was in Aussicht gestellt wurde. Haben die Kritiker nicht doch recht?

Nein, es ist ein Glücksfall, dass man sich für die Strecke entschieden hat und dass das Land die 950 Millionen Euro investiert hat, um den Bau vorzuziehen. Sonst gäbe es jetzt nichts zu feiern. Richtig ist, dass die volle Leistungsfähigkeit und eine nochmals reduzierte Fahrzeit erst mit Stuttgart 21 gegeben sind. Aber auch jetzt schon werden Kapazitäten auf der Filstalstrecke für neue Angebote frei. Und mit dem Merklinger Bahnhof erhält dieser Teil der Schwäbischen Alb einen Zugang zur Schiene. Davon können sich die Fahrgäste ab 11. Dezember selbst ein Bild machen. Und die Leserinnen und Leser Ihrer Zeitung schon in einem Sonderzug am Tag zuvor.

Die Kritik verstummt aber nicht.

Ich glaube, dass sich die Sicht auf das Projekt in all den Jahren sehr zum Positiven gewandelt hat. Und jetzt, mit der Inbetriebnahme der Strecke, wenn die Menschen die Vorteile sehen, wird die Zustimmung nochmals ansteigen. Und dasselbe werden wir, so meine Prognose, in drei Jahren in der Stadt erleben, wenn der neue Bahnknoten in Betrieb geht.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 warnt gleichwohl aktuell, eine Fahrt über die neue Strecke gehe mit unkalkulierbaren Risiken vor allem im Hinblick auf den Brandschutz einher.

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Projekthistorie, dass man versucht, viele Dinge zu skandalisieren, dass man mit Panikmache und Katastrophenszenarien die Menschen verunsichert. Es gibt in Deutschland klare Regeln, zum Beispiel beim Brandschutz. Und die werden hier eingehalten. Es kann nicht sein, dass jeder seine eigenen Regeln aufstellt und die zum Maßstab erhebt.

Regelungen sind das Stichwort: Dass Großprojekte uferlos lange in der Umsetzung dauern, wird von vielen auch auf die Regulierung zurückgeführt. Sie sind auch stellvertretender Vorsitzender des Normenkontrollrats Baden-Württemberg. Lassen sich unter den geltenden Vorgaben Großprojekte überhaupt noch bewältigen?

Natürlich können wir das noch – insbesondere können es die, die die Vorhaben umsetzen. Unser Problem liegt im Vorfeld, ehe es an die Realisierung geht. Es ist Fakt, dass Verfahren, sei es für Straßen, Windkraft oder Schienenwege, bis zur Umsetzung oft viel zu lange dauern. Selbst das Aufstellen eines Mobilfunkmasts dauert heute von der Idee bis zur Realisierung zwei Jahre, bei einer Windkraftanlage sind es sieben und mehr Jahre. Eine Blaupause, wie es anders gehen könnte, ist das aktuelle Flüssiggas-Beschleunigungsgesetz. Da werden wegen des überragenden öffentlichen Interesses Auslegungs- und Einwendungsfristen erheblich verkürzt, die Umweltverträglichkeitsprüfung wird eingeschränkt und nur noch eine Gerichtsinstanz ist für Streitigkeiten zuständig. Leider reden wir viel von Bürokratieabbau, ohne dass am Ende Taten folgen würden. Und dies, obwohl das Instrumentarium bekannt ist.

Ist Bürokratieabbau gleichbedeutend mit dem Abbau von Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung?

In den vergangenen 15 bis 20 Jahren haben wir die Beteiligungsrechte tatsächlich so ausgeweitet, dass sie auch dazu beigetragen haben, den Bau von Großprojekten zu verzögern. Wichtig ist daher, Bürger frühzeitig, aber auch abschließend, zu beteiligen, um Verfahren zu beschleunigen. Projekte der Daseinsvorsorge, unter anderem der Verkehrs- und Energieinfrastruktur, die also von besonderem Interesse sind, könnte der Gesetzgeber beschließen und so Verwaltungsverfahren überflüssig machen. Die öffentliche Beteiligung ist dann der parlamentarische Prozess.

Die Arbeit des Projektvereins, den sie leiten, kann man auch als Teil der öffentlichen Beteiligung verstehen. Richten Sie sich langsam auf das Ende des Vereins ein, wo nach und nach die Teile des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm fertig werden?

Bis 2025, wenn Stuttgart 21 in Betrieb geht, geht uns die Arbeit nicht aus. Mit dem Infoturm haben wir ein Ausstellungsgebäude, das unglaublich nachgefragt ist. Das könnte auch über 2025 hinaus Anlaufpunkt sein, wenn es etwa um die Internationale Bauausstellung, um die Entwicklung des Stadtteils Stuttgart-Rosenstein oder der Bahnprojekte Nordzulauf und Pfaffensteigtunnel geht. Unser Auftrag endet aber satzungsgemäß mit der Inbetriebnahme von Stuttgart 21.

So kommen Sie zu kostenlosen Tickets für eine Sonderfahrt

Leserfahrt
Bereits einen Tag vor der Inbetriebnahme der Strecke Wendlingen–Ulm haben 150 Leserinnen und Leser die Möglichkeit, bei einer kostenlosen Fahrt im Sonderzug die Strecke zu erkunden. Treffpunkt ist am Samstag, 10. Dezember, um 14 Uhr zur Akkreditierung an Gleis 1 des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Die Rückkehr ist für 16.30 Uhr vorgesehen.

Anmeldung
Karten gibt es beim Projektverein über eine Online-Plattform. Sie werden online im Anmeldezeitraum von Sonntag, 27. November, 12 Uhr, bis Montag, 28. November, 8 Uhr unter STZN-NBS22.eventbrite.de vergeben, das Passwort lautet: MediaNBS22. Je Interessent werden maximal zwei Karten vergeben. Die Buchungsbestätigung wird per E-Mail verschickt und muss am Reisetag vorgelegt werden. Im Zug ist das Tragen einer FFP2-Maske obligatorisch.