Es ist einer der verrücktesten Wettbewerbe überhaupt. Bei den 1. Ice Swimming German Open kraulen eiskalte Typen nur mit einer Badehose bekleidet im Wöhrsee in Burghausen. StZ-Redakteur Martin Tschepe ist mitgeschwommen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Burghausen - Eigentlich hatte ich immer gesagt: das mache ich ganz bestimmt nicht mit. Ich bin schon fast überall gekrault, sei es im Neckar bei Ludwigsburg, im Meer vor Sylt, im reißenden Inn oder im Mittelmeer von Inselchen zu Inselchen gewesen. Aber das Eisschwimmen in Burghausen ist noch einmal verrückter gewesen.

 

Martin Tschepe ist ein begeisterter Schwimmer. Foto: StZ
Das Wasser im Wöhrsee bei Burghausen hat knapp fünf Grad. Und wie alle anderen, die bei den 1. Aqua Sphere Ice Swimming German Open antreten, trage ich unmittelbar vor dem Start nur eine schnöde Wettkampf-Badehose, eine Badekappe, eine Schwimmbrille – und im Schlepptau eine mit Luft gefüllte Rettungsboje. Sicher ist sicher. Das Eincremen der Haut mit wärmendem Fett ist strikt verboten. Weil die Helfer am Ufer im Fall der Fälle – bei einem Herzinfarkt zum Beispiel – Schwierigkeiten hätten, den glitschigen Schwimmer aus dem See zu ziehen.

Was bitte schön mache ich hier?

Schuld an allem ist Oliver. Oliver Halder aus Winnenden. Er ist einer der Organisatoren dieses Wettkampfs an der bayerisch-österreichischen Grenze. Er hat mir vor ein paar Wochen eine Wildcard angeboten. Und wenn der Schwabe ein Gratisangebot erhält, dann denkt er zumindest einmal darüber nach. Also stehe ich Mitte Januar am Rande des 25-Meter-Beckens im klirrend kalten Wöhrsee und warte auf das Kommando des Starters.

„Zieht die Kleider aus“, das ist das erste Kommando. Dann heißt es ab ins Eiswasser. Das Startsignal ertönt. Das Wasser fühlt sich nicht so schlimm an wie erwartet. Das Probetraining im See des Frechbads in Schorndorf bei zwei Grad Wassertemperatur hat sich also gelohnt. In Burghausen hat Petrus ein Einsehen mit allen Novizen. Die Sonne scheint – es ist einigermaßen warm. Manche Wiederholungstäter indes hätten lieber Minusgrade und Schnee. Knapp fünf Grad Wassertemperatur, das reicht gerade so, damit die Rekorde im Eisschwimmen zählen. Meine 25 Meter sind nach rund 15 Sekunden geschafft. Später heißt es: Gratulation, Platz eins in der Altersklasse 50. Ich bin Eismeister.

Mehrere hundert Zuschauer feuern die Eisschwimmer an

Jetzt nichts wie raus aus dem Wöhrsee und aufwärmen. Die echten Eisschwimmer – mache Zuschauer sagen die komplett Durchgeknallten – geben sich hingegen längst nicht mit läppischen 25 Metern zufrieden. Für den amtierenden Weltrekordhalter über die Eismeile (rund 1600 Meter in 21:38 Minuten) und Erfinder der 1. German Open, Christof Wandratsch, müssen es die beiden Langstrecken sein: 450 und 1000 Meter. Es ist eine kaum vorstellbare, Respekt einflößende Meisterleistung, was diese Extremsportler schaffen. Wandratsch und einige andere Männer und Frauen schwimmen mehrere hundert Meter bei eisigen Wassertemperaturen – und das teilweise schneller als manch ein Leistungssportler in einem wohl temperierten Hallenbad.

Am Samstag gegen Mittag kündigt der Sprecher den „ersten absoluten Höhepunkt“ der German Open an: Das Rennen Wandratsch gegen den amtierenden Weltmeister über 450 Meter, den Esten Henri Kaarma. Die Kulisse ist grandios, über dem See thront die weltweit längste Burg. Mehrere hundert Zuschauer trommeln und applaudieren. Ein Kenner der Szene sagt: „Jetzt wird’s interessant.“ Recht hat er. Die 450 Meter werden sofort nach dem Start zu einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach gut 200 Metern zieht „Wandi“, der in Burghausen daheim ist, auf und davon. Das Publikum ist begeistert und tobt. Nach 5:48 Minuten schlägt der Meisterschwimmer, Jahrgang 1966, an. Deutlich vor dem knapp zehn Jahre jüngeren Mann aus Estland.

„Aktuelles Sportstudio“ interessiert sich für Eisschwimmer

„Das war gute Werbung“, sagt Wandratsch. Er und sein Trainer Stefan Hetzer wollen 2017 die Ice Swimming Weltmeisterschaften nach Burghausen holen. Wenig später sitzen Wandratsch und Kaarma in einem großen, mit warmem Wasser gefüllten Bottich, werden interviewt, gefilmt, fotografiert. „Ich wollte unbedingt gewinnen“, sagt Christoph Wandratsch und grinst. Dann macht er sich auch schon bereit für den Abflug. Der ehemalige deutsche Nationalschwimmer ist vom ZDF in das „Aktuelle Studiostudio“ eingeladen, „das ist das erste Mal, dabei schwimme ich schon seit 1974“.

Ich weiß nicht, wie sich 450 Meter oder sogar 1000 Meter im Eiswasser anfühlen, ich will es auch lieber nicht ausprobieren. Andere geben Auskunft: Steffi Praher aus Plüderhausen ist eigentlich Extremläuferin. Nach ihren 450 Metern sagt sie: „Ein paar Bahnen und alles ist eh egal, dann spürst du sowieso nichts mehr.“

Die Veranstalter der 1. German Open in Burghausen sind zufrieden, etwa 100 Schwimmer sind angereist – aus Deutschland und seinen Nachbarländern, aus der Türkei, Polen, Tschechien und Estland, aus den USA und sogar aus Südafrika, aus Argentinien und Brasilien. Zu den Promis gehört der Präsident der International Ice Swimming Association. Ram Barkai hat sich ein großes Ziel gesetzt: Er will, dass das Eisschwimmen möglichst bald Bestandteil der Olympischen Spiele wird, der Olympischen Winterspiele wohlgemerkt!

Martin Tschepe ist Redakteur der Stuttgarter Zeitung und seit 1974 Mitglied beim Schwimmverein Ludwigsburg. Beim Eisschwimmen hat Tschepe in seiner Altersklasse die 25 Meter Freistil gewonnen.