Am Nationaltheater Mannheim hat Ingo Kerkhof Mozarts Oper „Idomeneo“ inszeniert. Stuttgarts Philharmoniker-Chef Dan Ettinger dirigierte. Dabei kamen Musik und Szene nicht zusammen und blieben bruchstückhaft.

Mannheim - „So war es nicht“, sagt die Frau, die auf dem Boden kniet. Der erste Akt der Oper „Idomeneo“, die Mozart 1781 als 24-Jähriger für die damals in München residierende Mannheimer Hofkapelle schrieb, ist fast vorüber. Der traumatisierte Titelheld ist heimgekehrt aus dem Trojanischen Krieg, hat das erste Wesen, das ihm daheim begegnet, dem Gott Neptun versprochen, der ihn aus Meereswogen rettete – und traf seinen eigenen Sohn. Ein schrecklicher Stoff. Ein Opernstoff. Beim Festival „Mozartsommer“, mit dem das Nationaltheater Mannheim jeden Sommer Mozarts insgesamt 176-tägige produktive Anwesenheit in der Stadt feiert, ergänzt der Regisseur Ingo Kerkhof das Figurenarsenal des Stücks um eine sprechende Akteurin, die das Programmheft schlicht als Unbekannte tituliert. Giorgia Cappello ist (noch) keine Große ihres Fachs, aber immer wieder stört sie den tragischen Fortgang der Opernhandlung, flicht dem Gesang Texte aus dem „Idomeneus“-Schauspiel von Roland Schimmelpfennig ein. Das ist dann ein bisschen wie episches Theater: Ich zeige euch, was passiert, und dann denkt gefälligst selber nach.

 

Zu viele Themen und doppelte Böden

Das zieht dem Stück einen doppelten Boden ein. Das von Neptun gesandte böse Untier, schreibt Schimmelpfennig, will Idamantes sein, es will einen Platz haben im Herzen des Herrschers, und überhaupt könnte alles auch ganz anders sein.

Der König selbst sitzt zu Beginn des Stücks mit Krone und Mantel auf einem Sessel, den Rücken dem Publikum und das Gesicht einem riesigen Gemälde an der Rückwand des verkommenen Gesellschaftssaales (Bühne: Dirk Becker) zugewandt. Das Bild zeigt Wolkenmeere, je nach Beleuchtung auch ebenjene Meereswogen, denen der Titelheld eben mithilfe des Gottes entkommen ist. Am Ende sitzt Idomeneo wieder dort, aber um ihn herum ist alles wüst und leer. Leichen haben seinen Weg gepflastert. Idamante ist tot, Opfer eines leeren Himmels. Der Sohn ist tot, das aufgesetzte glückliche Ende der Oper ausgehebelt von der Regie, aber warum das so ist, weiß keiner – auf der Bühne ebensowenig wie davor und vielleicht auch dahinter.

Gedanken-Patchwork mit viel Rampentheater

Gute Ideen hat diese Inszenierung, aber sie fügen sich nicht zum Bogen, nicht zu einer packenden Geschichte. Vielleicht hat Ingo Kerkhof auch zu viele Ideen auf einmal gehabt. Er will die Entstehungszeit der Oper ebenso spiegeln wie unsere entgötterte Zeit, will die Brüchigkeit, die Mehrdeutigkeiten des Stücks bewusst unverbunden lassen und den Charakter des Experimentellen erhalten, er zeigt einen Vater-Sohn-Konflikt, dem er am Ende noch eine biografische Mozart-Volte hinzufügt, er will von Schuld reden, von Macht und Krieg, und dass die Sänger alle weiß angemalte Gesichter haben, hat aber wohl vor allem mit jener epischen Ebene des emotionsentleerten Zeigens und Verkörperns zu tun, der auch Schimmelpfennigs Texte zuarbeiten.

Heraus kommt ein Gedanken-Patchwork mit viel Rampentheater und einer oft unbeholfen wirkenden Personenführung, und den Charakter des Unorganischen trägt auch die musikalische Seite der Produktion. Bei allen Sängern – Lothar Odinius als Idomeneo, Juhan Tralla als Idamante, Cornelia Ptassek als Elektra und ein wenig auch bei Eunju Kwon als Ilia – liegen Momente der Überforderung neben schönen Stellen. Gleiches gilt für den Chor, der im „Idomeneo“ gefordert ist wie in keiner anderen Oper Mozarts. Der Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker, Dan Ettinger, bietet in seiner letzte Opernproduktion als Mannheimer Generalmusikdirektor ein uneinheitliches Bild: Da stehen intensive, dichte, klangfarblich fein ausgehorchte Arien, Szenen und Accompagnati neben viel zu Direktem und Lautem, und die Bruchstücke auf und unterhalb der Bühne fügen sich oft so wenig zusammen, dass man sich fragt, ob Dirigent und Regisseur überhaupt zusammen- und nicht doch eher nebeneinander her gearbeitet haben. „So war es nicht“, sagt die Unbekannte. Mag sein, dass auch sie Recht hat, aber das wäre dann auch egal.

Nochmals am 27. Juli