Berthold Huber hat die Geschichte der IG Metall im Südwesten und auf Bundesebene geprägt. Nun verlässt er nach sechs Jahren als Vorsitzender die große Gewerkschaftsbühne. Seine Stärke war es, wo nötig, zu versöhnen und zu vermitteln.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Frankfurt - Die Abschiedstournee des Arbeiterführers fällt bescheiden aus. Berthold Huber ist kaum noch öffentlich aufgetreten in letzter Zeit. Neulich in Heidelberg haben ihn ergraute Jubilare der IG Metall wie einen alten Freund in den Ruhestand geherzt. Einer der Ehemaligen erwähnt ein Seminar zur analytischen Arbeitsplatzbewertung, das Huber vor 40 Jahren gegeben haben soll. „Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wo das war“, merkt der Gewerkschaftschef danach an. Wie soll er sich auch im Detail erinnern an 42 Jahre bei der IG Metall – bei all dem, was der gebürtige Ulmer zunächst im Südwesten und dann bundesweit für die Organisation bewegt hat. „Ihr seid gelebte Gewerkschaftsgeschichte“, ruft Huber den Heidelberger Jubilaren zu. Dabei hat er selbst die jüngere Geschichte der IG Metall geprägt.

 

Offensichtlich wird dies am Montag, wenn die Kanzlerin zum Gewerkschaftstag nach Frankfurt kommt. Den 63-Jährigen zu verabschieden, lässt sie sich auch in diesen hektischen Tagen nicht nehmen. Selbst wenn Huber das Verhältnis zu Angela Merkel als distanziert beschreibt, so haben sie sich einiges zu verdanken. Als intellektueller Kopf hatte er den Respekt der Regierungschefin. Es ist nicht zuletzt der Kooperation dieses ungleichen Paares zu verdanken, dass Deutschland gut durch die Krise kam. Seither sind die Gewerkschaften wieder voll akzeptiert in Politik und Gesellschaft. Auch für Huber war die große Koalition ein Glücksfall, nun, da sie wieder vor der Tür steht, tritt er ab.

Guter Draht zu Topmanagern

2010 spendierte Merkel dem gerade 60 Jahre alt gewordenen Huber ein Essen im Kanzleramt. Auch einige Wirtschaftsbosse ließen sich das Backhendl schmecken. Zu etlichen Topmanagern wie VW-Chef Martin Winterkorn, noch ein Schwabe, pflegt der Gewerkschafter bis heute den direkten Draht. Doch hat dies auch Argwohn in den eigenen Reihen geweckt und bohrende Fragen im Beirat provoziert, ob er mit den Mächtigen zu eng verbunden sei. „Ich habe meine Arbeit nie mit Macht identifiziert“, wendet Huber ein. Und sein Kontakt zu Merkel sei auch nicht so unmittelbar, wie man es ihm nachsage. Zudem war der Sozialdemokrat stets ein Verfechter der Einheitsgewerkschaft, die offen ist für linke wie konservative Strömungen. Das hat ihn unabhängig gemacht, mit Angela Merkel genauso zu reden wie mit Sigmar Gabriel – gerade in diesen Tagen. Dies hat vor ihm noch kein Gewerkschaftschef vermocht.

In den siebziger Jahren ist der gebürtige Ulmer noch durch kommunistische Gefilde geirrlichtert. Heute sagt er: „Von Klassenkampf halte ich eigentlich nicht viel.“ Viel mehr hält Huber von Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung. Die Zukunftsaufgaben der Industrie ließen sich nur gemeinsam lösen. „Dies hat aber nichts mit mangelnder Konfliktbereitschaft zu tun.“ Die Mischung aus politischer Kraftmeierei und Mut zum Kompromiss wurde von der Gegenseite goutiert. Dieter Hundt, der als Arbeitgeberpräsident gerade selbst die Bühne verlassen hat, schwärmt „uneingeschränkt“ von einer „sehr guten, vertrauensvollen Zusammenarbeit“ mit dem Metaller. Und selbst diejenigen, die Huber zuweilen intern infrage gestellt haben, attestieren ihm eine große Gabe zu integrieren. Der direkte Diskurs mit den Menschen sei seine Stärke, heißt es vielerorts.

Huber befriedete den desolaten Bezirk Baden-Württemberg

Diese Fähigkeit hat ihm zweimal sehr geholfen: 1998 gelang es ihm als Bezirksleiter, den damals tief zerstrittenen und desolaten Bezirk Baden-Württemberg zu befrieden, indem er die renitenten Funktionäre auf seine Seite zog und das Lagerdenken überwand. Ähnliches glückte später auf Bundesebene: 2003 bewahrte Huber die IG Metall vor der Spaltung, als er sich dem weithin ungeliebten Jürgen Peters unterordnete, der nach dem altbekannten Muster vom Vize- auf den Chefposten wechseln wollte. Huber geduldete sich, wurde sein Stellvertreter und 2007 mit noch mehr Respekt an die Spitze gewählt. „Vielleicht ist das eines der schwierigsten Dinge, die ich mit mir selbst gemacht habe“, erinnert er sich. Hätte er nicht zurückgesteckt, wäre die totale Konfrontation ausgebrochen.

Von der Philosophie konnte Huber nicht lassen

Seither wird Huber von der IG Metall fast verehrt. Der Schwabe war sozusagen das wärmende Feuer für die Gefolgsleute. An ihm konnten sie sich aufrichten, aber auch reiben. Von Anfang an musste er mit Etiketten leben: Für die Medien war er stets der Erneuerer und Reformer, der Modernisierer und Pragmatiker, der Denker und Philosoph. Letzteres, weil er mal Philosophie studiert hat und von jener Welt nicht mehr lassen konnte. All die Bezeichnungen habe er manchmal wohlgefällig entgegengenommen, wie ein Wegbegleiter meint. Von seinem sehr geräumigen und großzügig verglasten Eckbüro im 15. Stock der Frankfurter Vorstandsverwaltung blickt der Vorsitzende auf eine eindrucksvolle Kulisse mit Main und Skyline. Das verführt zu Höhenflügen. Und niemand in der Zentrale holt den Vorsitzenden gern auf den Boden der Tatsachen zurück. Demnach ging es Huber mit der Entfernung vom operativen Geschäft

Berthold Huber, ein gebürtiger Ulmer, lebte jahrelang aus Koffern – so viel war er unterwegs. Foto: dpa
immer weniger darum, neue Ziele für die IG Metall zu definieren als vielmehr über die Welt zu räsonieren.

Dieser Charakterzug verstärkte sich nach dem altersbedingten Rückzug seines langjährigen Pendants auf Arbeitgeberseite, Martin Kannegiesser. Huber hat den früheren Gesamtmetall-Präsidenten wegen dessen Integrationsfähigkeiten geschätzt. Der Schwabe und der Ostwestfale, die konnten miteinander. Vor allem konnten sie gedankliche Ausflüge über die Zukunft der Tarifpolitik unternehmen. Und sie sind entschlossen voranmarschiert, wenn eine Tarifrunde reif für die Entscheidung war. Als Kannegiesser nicht mehr amtierte, fehlte etwas Verbindendes zur Arbeitgeberseite. Was genau, wird man noch erkennen, wenn der Lohnpoker von Tarifmanagern dominiert wird: verlässlich, aber ohne große Hingabe.

Ein Mann für den Schlagabtausch

Die Verehrung schützt Huber nicht vor Anwürfen – was ihn als sensiblen Charakter umtreibt. Er habe den Anspruch, mit seinen Kritikern im Reinen zu sein, heißt es in seinem Umfeld. Gelitten habe er darunter, wenn er nichts habe entgegnen können. Harmoniesüchtig ist Huber aber keineswegs. Vielmehr beherrscht er den Schlagabtausch. Oder um es in der Boxersprache zu sagen: Der Mann bevorzugt den Infight, bei dem er mit seinem Kontrahenten dicht aneinandergerät.

Auch physisch fordert der Vorsitz der IG Metall seinen Tribut. Vor allem die vielen Reisen und das Leben aus dem Koffer schlauchen. Bis zu zwei Dutzend Einladungen wie die zur Jubilarehrung in Heidelberg erhält der Vorsitzende übers Jahr. Das ist nicht nebenbei zu schaffen, also geht er nur noch dorthin, wo er schon zu oft abgesagt hat. Obwohl Huber raucht und keinen Sport treibt, hat er das lange Zeit durchgestanden. Doch dann musste er vor drei Jahren eine Auszeit nehmen – alles einmal auf null stellen für ein paar Wochen. Dies bewirkte offenkundig einen Sinneswandel: Noch vor dem Gewerkschaftstag vor exakt zwei Jahren entschied er sich, bei der Verjüngung der IG-Metall-Spitze voranzuschreiten und auf halber Strecke seiner Legislaturperiode Platz zu machen. Zudem befürchtete er ein Hauen und Stechen, falls 2015 gleich vier Mitglieder des Führungsteams an die Altersgrenze gekommen wären. So nahm er sich wieder einmal selbst in die Pflicht, wie schon vor zehn Jahren.

Weiterhin im Aufsichtsrat bei Volkswagen und Siemens

Auch wenn seine öffentlichen Auftritte rar geworden sind, so war Huber in den vergangenen Wochen weiterhin viel unterwegs. Insbesondere als Aufsichtsratsvize bei Volkswagen und Siemens – beide Posten will er bis zum Ende der jeweiligen Amtsperiode behalten. Hinzu kommt der Vorsitz des internationalen Verbandes Industriall Global Union. Dort ist er unverzichtbar. Nur in das Geschäft des künftigen Führungsteams Detlef Wetzel und Jörg Hofmann mischt er sich nicht mehr ein.

Aufhören, weil die Kräfte schwinden

Heute geht es der Wirtschaft blendend. Somit muss sich die Gewerkschaft neu orientieren. Der Typus Krisenmanager ist nicht mehr gefragt. „Jede Zeit braucht ihre eigenen Figuren“, sagt Huber. Organisationen wie die IG Metall wollen nicht nur von Zeit zu Zeit neue Gesichter sehen – sie brauchen auch führende Persönlichkeiten, die in der Lage sind, einfache Dinge einfach auszusprechen. Er kann das, aber er tut es ungern. Mit zunehmendem Alter ist er skeptischer geworden gegenüber den eigenen Sprüchen. Schlichte Antworten reichen ihm nicht mehr. Spätestens dann sei es richtig aufzuhören. Manchmal tut man sich schwer herauszuhören: Ist das jetzt noch Nachdenklichkeit oder schon wieder Ironie?

Huber spürt, dass die Kräfte schwinden. Im Februar wird er 64 – manchmal fühlt er sich wie ein Vierzigjähriger, manchmal steinalt. Er ist komplett aufgegangen in seiner Funktion und mit all seinen Pflichten. Oft hat ihn die Frage gequält: Hast du genug gemacht? Er hat so viele Nächte arbeitend verbracht, dass seine Frau insistierte, ob er damit nicht mal aufhören könne. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn er mal wieder lesen und schlafen könnte, sinniert er.

Den Kindern verpflichtet

Nun muss sich das Familienoberhaupt daheim erst mal ein Zimmer reservieren, das er bisher nicht nötig hatte, weil er sowieso nicht da war. Mit seinen drei Kindern verbindet ihn ein gutes Verhältnis, auch wenn er oft nicht greifbar war. Ihnen fühlt er sich nun umso mehr verpflichtet. Nachdem sich die Familie allzu oft seinem Kalender beugen musste, will er sich jetzt ihrem Kalender beugen. Seine Frau stammt aus Hessen, und auch die Kinder sind dort aufgewachsen oder wohnen in Frankfurt. Nach Baden-Württemberg wird er nur noch zurückkommen, wenn ihn die Fangemeinde in „seinem“ Pilotbezirk ruft – oder zur Jubilarfeier vielleicht.