Die Integration der Flüchtlinge werde nur über Arbeit funktionieren, sagte der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, der am Donnerstag in der Reihe „StZ im Gespräch in Esslingen“ zu Gast war.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Die Gewerkschaften arbeiten mit den Menschen“, sagt Jörg Hofmann, „erst wenn sich die Menschen auf der Straße zeigen, dann werden wir handlungsfähig!“ Politik jedoch funktioniere ganz anders, und das ist die Lebenserfahrung eines Mannes, der als Chef der IG Metall fast häufiger in Berlin als im heimischen Esslingen ist.

 

Das Publikum erlebte beim Redaktionsgespräch am Donnerstag eine Lehrstunde über Politik und Gewerkschaft. Es schien so, als würden zur Zeit die Gewerkschaften anstelle der Politik den Menschen Antworten geben. Antworten etwa auf die Flüchtlingskrise. Die Integration von Flüchtlingen könne nur durch Arbeit funktionieren, sagt Jörg Hofmann.

Der mächtigste Gewerkschaftsboss der Welt

„Eine Maschine kennt weder Religion noch Herkunft“. Doch gehöre noch mehr dazu, um eine Integration gelingen zu lassen. Es dürfe keine Sonderprogramme für Flüchtlinge geben, sonst sei der soziale Unfriede programmiert, meinte der Gast. Außerdem müsse die Integration sofort nach der Ankunft versucht werden, bevor die Flüchtlinge in eine geschlossene „Community“ abdrifteten, in der man nicht mehr an sie herankomme.

Jörg Hofmann vermittelte den Eindruck, dass Politiker diejenigen sind, die die Welt verändern, und die Gewerkschaften diejenigen, die den Menschen sagen, „in dieser veränderten Welt habt ihr eine Stütze: uns.“ Vielleicht ist das ein Teil der Antwort, warum die IG Metall die größte Einzelgewerkschaft der Welt ist und Jörg Hofmann somit der mächtigste Gewerkschaftsboss der Erde. Nur – so wirkte der 60-Jährige gar nicht.

Im Gespräch mit dem Esslinger StZ-Redaktionsleiter, Kai Holoch, wirkte er freundlich und besonnen, aber auch ein wenig unnahbar. Vielleicht zeugt das von der Vereinzelung eines engagierten Gewerkschafters, den die Belegschaften nach vorn in den Tarifkonflikt schicken, ohne ihm in den Konflikt zu folgen. Vielleicht bekommt man deswegen einen Charakter, der so wenig von sich preisgibt, der unnachgiebig, standfest und überzeugend, aber gleichzeitig auch tolerant und freundlich argumentiert.

Die „blöde Halsstarrigkeit“ macht ihn „narret“.

Man spürte förmlich die Armlänge Abstand, die er um sich aufbaute, und manche Fragen plumpsten vor seine Füße wie Blindgänger: „Was passiert bei den Tarifverhandlungen?“, wollte der Chef des Esslinger Büros wissen. „Es wird viel gequatscht“, antwortete Jörg Hofmann. Nur manchmal durchbrach Kai Holoch die Deckung: „Was regt Sie dort am meisten auf?: „Diese blöde Halsstarrigkeit, wenn es bloß darum geht, Recht zu behalten. Dann werd’ ich narret.“

Die Zurückhaltung liegt wohl in der Natur der Dinge. Denn wer sich in den Verhandlungen in die Karten gucken lässt, der hat meist verloren. Deswegen verlor Hofmann auch nicht viele Worte über seinen Lebenslauf. Im ländlichen Umfeld auf den Höhenzügen des Remsufers aufgewachsen, wollte er zunächst Bauer werden, studierte aber Ökonomie, wurde Mitarbeiter an der Universität Hohenheim und später Berater für Betriebsräte. 1987 wurde er Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall Stuttgart, wechselte von dort in den Bezirk Baden-Württemberg und wurde 2015 Chef der IG Metall.

Ein großes Rätsel bleibt, warum er von der Agrar-Universität weg zur IG Metall ging. War es der Radikalen-Erlass? „Es war der Traktor, den ich bei meiner bäuerlichen Verwandtschaft fahren musste“, scherzt er. Wer’s glaubt. Am wahrscheinlichsten war es die generelle Politisierung in diesen Jahren, die viele Mitglied der IG Metall werden ließ, weil sie es richtig fanden, die Arbeiter zu unterstützen.

Zuletzt wechselte Hofmann vom Aufsichtsrat der Daimler AG in den Aufsichtsrat von VW. Nein, zerstreute er die Bedenken eines Fragenden, der Konzern werde nicht in die Knie gehen: „Jetzt bin ja ich dabei.“ Aber man dürfe wegen möglicher Schadensersatzzahlungen nicht die Zukunftsinvestitionen in Frage stellen.

Es geht ums Geld, aber auch um Arbeitsmodelle

Hofmann ist dafür bekannt, dass er das Möglichste aus Tarifverhandlungen herausholt. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um neue Arbeitsmodelle, die seiner Ansicht nach die deutsche Wirtschaft stärker gemacht haben. „In der vergleichsweise kleinen Krise 1994/95 haben wir 20 Prozent der Metallarbeitsplätze für immer verloren. In der großen Krise 2008 durch Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit kaum welche.“ Für die immer mehr geforderte Flexibilität fordert auch er Heimarbeitsplätze.

Doch brauche die Arbeit von Zuhause aus Vertrauen, auch das Vertrauen der Chefs in ihre eigene Autorität. Homeoffice müsse freiwillig sein und für alle verfügbar, müsse genauso exakt vergütet werden, wie die Tätigkeit am Arbeitsplatz und in festen Zeitgrenzen ablaufen.

An anderer Stelle ist er doch strikt gegen die Grenzen. „Europa war als Friedens- und Wohlfahrtsunion gedacht und nicht als 28 Einzelstaaten mit Schlagbäumen.“ Ein Argument, das er in der Flüchtlingskrise richtet, weil „die Angst vor dem Anstieg des Rechtspopulismus größer ist, als die Vernunft im Hirn.“