Unter den Mitgliedern aller Gewerkschaften hat die AfD mehr Stimmen geholt als im gesamten Durchschnitt. Demnach haben es die Gewerkschaftsführungen nicht geschafft, an der eigenen Basis ihre Kritik an den Rechtspopulisten ausreichend deutlich zu machen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Alarmstimmung hat das Ergebnis der Bundestagswahl im Gewerkschaftslager ausgelöst. „Für viele war es ein Schock“, urteilt die IG-Metall-Führung in Frankfurt. DGB-Chef Reiner Hoffmann nennt es „erschütternd“. Mit vier Jahren Schwarz-Rot waren die Gewerkschaften gut gefahren, denn sie sind längst nicht mehr nur an der SPD ausgerichtet. Nun droht ihnen ein Rückfall in schwarz-gelbe Zeiten mit etwas grüner Anmutung.

 

Baden-Württembergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger findet es „frustrierend zu sehen, dass die eigentlich nicht schlechte Politik der vergangenen vier Jahre so gnadenlos abgestraft wird, wohingegen diejenigen abräumen, die inhaltlich so gar nichts zu bieten haben, außer die Menschen aufzuhetzen“, wie er dieser Zeitung sagte. Der Bezirksleiter ist als Beisitzer im SPD-Landesvorstand doppelt getroffen.

Verschlechterungen bei der Arbeitszeit befürchtet

Während die Wirtschaft in Erwartung einer Jamaika-Koalition schon ihre zentralen Ziele forciert, befürchtet Zitzelsberger zum Beispiel für die künftige Gestaltung der Arbeitszeit, „dass unsere Positionen unter die Räder kommen“. Da hoffe er auf Verlässlichkeit, sagt er mit Blick auf die CDU – damit sie nicht „jeden Quatsch“ wie die Abschaffung des Acht-Stunden-Tages mitmache, die die Wirtschaft massiv fordere. Auch die Rente steht im Fokus. Da sorgt er sich angesichts der FDP-Positionen, dass die Liberalen ein weiteres Absenken des gesetzlichen Rentenniveaus nicht verhindern. Kernanliegen wie die Bürgerversicherung können die Gewerkschaften völlig vergessen – grüne Bemühungen werden da wenig ausrichten. Umgekehrt sieht die IG Metall bei der FDP mehr Verständnis für ihre Haltung zur Automobilindustrie. Die Liberalen dürften dem Beschluss der Grünen, Verbrennungsmotoren ab 2030 zu verbieten, etwas entgegensetzen. „Da darf keine Symbolpolitik betrieben werden zu Lasten von Beschäftigung, wirtschaftlicher Machbarkeit und Umweltaspekten wie dem CO2-Ausstoß“, warnt Zitzelsberger.

„Mit sichtbaren Aktionen deutlicher positionieren“

Strategisch werden die Gewerkschaften zweigleisig fahren: Einerseits wollen sie die Koalitionsverhandlungen in Gesprächen begleiten. Andererseits „müssen wir uns auch deutlicher mit sichtbaren Aktionen positionieren“, sagt der Bezirksleiter. „Ohne dass ich damit die nächste Massendemonstration ankündige.“

Trotz aller Anstrengungen der Gewerkschaften haben laut der Forschungsgruppe Wahlen im Schnitt 15 Prozent ihrer Mitglieder (inklusive Beamtenbund) die AfD gewählt: Bei Arbeitern (19 Prozent) und Angestellten (14) hat die AfD relativ viel geholt und bei Beamten (10) relativ wenig – bei Männern (18) mehr als bei Frauen (10). Die SPD schwächelt zwar in Ostdeutschland, liegt in der Gunst aller Gewerkschafter aber noch vor der Union und der Linkspartei – bei den weiblichen Mitgliedern findet sich sogar eine deutliche Mehrheit für Rot-Rot-Grün. Die Beamten favorisieren traditionell CDU/CSU (35 Prozent).

Die inhaltliche Auseinandersetzung ist missglückt

Unterm Strich ist den Volksparteien ein Teil des Volks gerade im Arbeitnehmerlager verloren gegangen – ein Versagen auch der Gewerkschaftsführungen, die den anhaltenden Trend nicht aufhalten können. „Da haben wir als gesellschaftliche Kraft eine klare Aufgabe, diese Menschen zurückzugewinnen“, sagt Zitzelsberger. Der Versuch, die Mitglieder inhaltlich zu überzeugen, ist nicht geglückt – auch weil mehr AfD-Wähler aus Protest so gehandelt haben statt aus Überzeugung für diese Partei. Die Menschen zu beschimpfen, wäre jedenfalls das Falscheste, was man machen könne. „Wir müssen uns mit deren Motiven auseinandersetzen.“ Gemeint ist die Unzufriedenheit der Menschen mit zunehmender sozialer Ungleichheit, mit Problemen bei Sicherheit und Integration. Die Gewerkschaften müssen den AfD-Wählern, die ein Signal des Protestes geben wollten, zeigen, dass es echte Alternativen zu Fake-News, Hass und Rassismus gebe – „aber bitte nicht mit dem Duktus der Rechten“.

Teilen der Basis ist die IG Metall ohnehin zu zahm und zu pragmatisch geworden. Sie wünschen sich mehr Kampf und ein eigenständiges Profil. „Da müssen wir uns noch gegenseitig tief in die Augen schauen“, urteilt der Bezirksleiter. Die IG Metall müsse eigene Anliegen „stärker zuspitzen, statt sie nur klug und sachlich zu diskutieren, um dann bestmögliche Kompromisse zu machen“. Es brauche ein „stärkeres emotionales Moment“. Dies sei nicht mit dumpfem Populismus gleichzusetzen.