Igor Levit in Stuttgart Ganz leise vom Dunkel ins Licht

Der Pianist Igor Levit, hier bei einem Konzert in Berlin Foto: dpa/Christophe Gateau

Der Pianist Igor Levit sorgt für Ovationen im Stuttgarter Beethovensaal – fast wie bei einem Popstar. Aber das hat auch seinen Preis

Tief beugt sich Igor Levit über die Tasten des Steinway-Flügels, und die Töne, die er ihm entlockt, sind fast ausschließlich leise und zerbrechlich. Piano und pianissimo nähert er sich den Noten, die Franz Schubert in seinem letzten Lebensjahr 1828 auf Papier schrieb, und dieser Tonfall bleibt, so lange die ersten beiden Sätze der B-Dur-Sonate dauern. Also gut eine halbe Stunde.

 

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Das ist lang. Zu lang für viele im Saal, in dem es ungewöhnlich unruhig ist. Menschen gehen, es wird gehustet und geredet. Mag sein, dass das konzentrierte Lauschen in den hinteren Parkettreihen bei Levits Dauer-Pianissimo anstrengend gewesen ist. Aber vielleicht zeigt sich hier auch die Kehrseite des Ruhms, der für einen so gut gefüllten Raum gesorgt hat. Da ist einerseits ein kluger Künstler, der mit Altem Neues gestalten will – und da ist andererseits ein Medienstar, der nicht nur Kenner anzieht, sondern auch Fans, für die Levit ein Popstar der Klassik ist und die ihn, wie eine Besucherin in der ersten Reihe, auch mal zwischen zwei Sätzen fotografieren wollen.

Was Igor Levit am Mittwochabend in der Meisterpianisten-Reihe von Russ Klassik bietet, ist aber kein Pop. Und es ist extrem. Es ist der Versuch, den Ton von Trauer und Abschied in Schuberts Werk radikal ernst zu nehmen, und das klangliche Ergebnis ist viel zu zerbrechlich für die Weiten des Beethovensaals, den noch dazu ein Dauer-Störfeuer von Handytönen durchwabert. Dass Levit das Geklingel gelassen nimmt, ja, dass er gar einwirft, ihn störe nur dessen mangelnde harmonische Übereinstimmung mit seiner Musik, ist bewundernswert, besonders vor dem Hintergrund der inneren Dunkelheit, von der sein Konzert seinen Ausgang nimmt.

Der Flügel singt, die Musik darf einfach sein

Zahlreiche Pianissimo-Anweisungen in der Partitur legitimieren Levits Ansatz, und das leise Dauer-Dunkel der Darbietung verstärkt im zweiten Satz das Gefühl der Zeitlosigkeit. Es nivelliert aber gleichzeitig auch die Kontraste. Die Wechsel zwischen Licht und Schatten hat der Komponist nämlich auch notiert, ebenso den wiederkehrenden tiefen Triller, mit dem etwas Bedrohliches die mögliche Idylle aushebelt. Über der Gestaltung kleiner Details und über zahlreichen Stauungen geht Levit außerdem manchmal der rote Faden verloren, den es trotz der zahlreichen Brechungen in der Musik eben doch gibt. Klanglich ist ebenfalls Luft nach oben; manchmal tönt der Flügel so, als habe man eine dicke Decke über ihn geworfen. Und wer das Stück gut kennt, wird etliche Töne vermisst haben, vor allem in den folgenden raschen Sätzen.

Schumanns heterogene, kaum je gespielte Nachtstücke op. 23 wirken in vielfacher Weise als Bindeglied. Sie bilden auch eine Brücke zwischen Jenseits und einem Diesseits, das schließlich in einen finalen Rausch mündet. Für ihn sorgt Chopins dritte Sonate, und so, wie sie hier erklingt – wiederum nicht ohne Präzisionseinbußen, aber oft federleicht – ist zu fragen, warum sich Levit nicht schon früher auf diesen Komponisten eingelassen hat. Im letzten Satz wären ein bisschen mehr Beweglichkeit bei Phrasierung und Tempogestaltung und eine klarere Konturierung der Akkorde ein Gewinn gewesen. Aber der Flügel singt, die Musik darf einfach sein, und als Zugabe ertönt eines jener Lieder, für die Mendelssohn, der Glückliche, keine Worte gebraucht hat.

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